Heidelberg den 27ten Dec. 16.

Hochverehrtester Freund!

Schon wieder müssen Sie Sich es gefallen lassen eine kleine Schrift von mir zu empfangen, die aber vielleicht, als eine Stimme unter mehreren zur Bildung der Theologen, Ihnen nicht unwillkommen ist. Denn es ist doch jetzt an der Zeit, darüber zu rathschlagen. Und so sehen Sie, wenn Sie ein Paar Augenblicke Muße haben, ob diese Stimme gehört zu werden ver dient. Meinen Grundriß der Dogmatik haben Sie wohl durch die Buch handlung, der ich es auftrug, erhalten; und durch einige Blicke in das Büchlein finden Sie dann etwa, wie ich es mit der Verbindung mit der Ethik meyne so daß Sie es auf solche Art vielleicht noch gelten lassen. Indessen gehen Sie von wissenschaftlichen Prinzipien aus, die mir auch nicht ganz bekannt sind, und weßhalb ich recht sehr | 21v Ihrer Ethik entge gen harre. Denn seit der Erscheinung Ihrer Kritik der Sittenlehre sehe ich immer nach Ihnen hin als nach dem Manne, der in dieser noch so unsi cheren Wissenschaft etwas Tüchtges aufbauen wird. Eher mag ich auch in meinen akademischen Studien nicht daran gehen, so lieb mir auch von Anfang die Ethik vor anderen Disciplinen gewesen, bis ich von Ihnen darin weitergeführt worden. Unsere Zeitgenossen, und selbst noch ganz andre als die Hallischen und Leipziger Recensenten, sind in dieser Sache leider so gar sehr im Reinen, daß wir von ihnen doch nichts mehr darin hoffen und lernen können. Deßhalb war mir Daubs Judas eine so erfreu liche Erscheinung. Was halten Sie von Theremins Schrift: die Bered samkeit eine Tugend? Ich habe sie leider erst in diesen Tagen kennen gelernt; und sie ist mir ungemein wichtig erschienen. | 22

Ihre Predigten habe ich durch BuchhändlerGelegenheit richtig erhal ten. Nehmen Sie dafür meinen innigsten Dank. Jetzt gehe ich an ein ge naueres Studium dieser Muster von origineller Art, und da ich eben die praktische Theologie, und darin die Homiletik (worauf Sie freylich nicht viel halten!) mit neuer Liebe lese, so müssen Sie Sich es gefallen lassen, auf meinem Katheder und in meinen Conversatorien zur Unterhaltung zu dienen. Ihre Schriften waren mir immer eine ganz eigne Aufgabe und Belehrung, und ich weiß nicht ob mehr da, wo wir übereinstimmen oder wo wir nicht übereinstimmen. Eigentlich ist mir Ihr ganzer Geist eine günstige Aufgabe. Wenn ich Ihnen nur einmal in die Seele blicken könnte, wie sie es im tiefsten Grund mit dem Christenthum halte! Ich gestehe Ihnen gerne, daß ich bey dem Bewußt | 22vseyn freyer Forschung in meinem Offenbarungsglauben immer mehr befestigt werde, und daß ich also na türlicher Weise das auch von Ihnen wünsche. Aber wenn es auch bey Ihnen nicht der Fall wäre, so würde ich doch das Tiefere Ihres Gemüths immer für christlich halten und nur etwa Ihre große dialektische Kunst anklagen; auf jeden Fall immer von Ihnen lernen. – Nehmen Sie diese, so wie alle meine Äußerungen gegen Sie mit Ihrer Liebe auf; ich rede so gerne von Herzen mit Ihnen.

Sie kommen doch zu Zeiten zu unserm Freund Savigny? Deßhalb be lästige ich Sie mit der Bitte ihm das eine Exemplar der beyliegenden Schrift nebst meinem herzlichen Gruß zuzustellen. Von Daub und Creu zer habe ich viele Grüße an Sie. Der Gehaltreiche freundliche Brief, den Sie mir nach Ihrer Reise geschrieben haben, hat mich sehr erfreut; nur hätte ich auch gerne gesehen, daß Ihrer Gesundheit die Reise gut ange schlagen sey. Ihrer verehrten Gattin bitte ich mich auch zu freundlichem Andenken zu empfehlen. Ganz der Ihrige Schwarz

Zitierhinweis

4317: Von Friedrich Heinrich Christian Schwarz. Heidelberg, Freitag, 27.12.1816, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007771 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.