Berlin, d. 3t. Jul. [18]16

Ich muß es für ein ganz eigenes Unglück ansehen, mein lieber Freund, daß wenigstens zwei Briefe von mir an Sie verloren gegangen sind, wie ich von Mühlenfels gehört habe. Zuerst schrieb ich Ihnen im Herbst [18]14, als die liturgische Angelegenheit hier in der größten Bewegung war, vorzüg lich in Bezug auf diese. Hernach noch einen im vorigen Jahre, ich weiß nicht mehr recht, wann, zunächst um mich zu erkundigen, ob Sie erhalten hätten, was ich Reimern aufgetragen hatte Ihnen zu schicken, und dem nächst noch über allerlei. Die Sendung bestand nemlich im 3t. Band mei ner Predigten und einer einzelnen, im März 1813 gehaltenen, und ich wiederhole auch jetzt die Frage, denn nur zu leicht verkrümeln sich die Büchersendungen. Um die einzelne Predigt ist es mir vorzüglich zu thun; sie ist durch Ungeschicktheit von Reimers Stellvertreter (er selbst war damals im Felde) fast gar nicht in den Buchhandel gekommen und also auch nirgends mit den andern politischen Predigten, wie man sie nennt, angezeigt worden, und das thut mir leid, weil ich sie für ganz gut halte. Fast dasselbe Schicksal hat eine andere im vorigen Herbst einzeln er schienene auf den 18t. October sich beziehende Predigt. Und wunderli cher Weise auch meine Schrift gegen Schmalz, bei der es nun freilich nicht daran liegt, daß sie nicht in den Buchhandel gekommen wäre, denn es sind über 2000 Exemplare davon sehr schnell verkauft worden. In inlän dischen Blättern durfte nun freilich wegen des unmittelbar darauf er schienenen Verbotes nichts geschehen, aber auch keine ausländische hat ein Wort über sie verloren. Doch warum verderbe ich das Papier und die Zeit mit diesen Dingen.

Was die liturgische Sache betrifft, so habe ich gehört, daß Sie mir das Glückwunschschreiben abgesprochen haben, – ich habe es aber doch wirklich geschrieben, doch muß dies noch fortwährend unter uns bleiben, in dem verlorenen Briefe gestand ich es Ihnen nicht einmal. Man hat der Schrift bittere Ironie gegen die Personen der Commission vorgeworfen. Allein wenn man nur festhält, ich wollte durchaus nicht in der Person eines Berliners schreiben, sondern eines ganz Entfernten, der diese Män ner nur literarisch kennt: so muß dieser Schein wol ganz verschwinden. Aber gegen das Publicandum wollte ich freilich die bitterste Ironie auf tischen, und die hat auch gezogen.

Der Minister ist in solchem Haß gegen mich ergrimmt, daß er mich gern auf den bloßen Verdacht hin cassirt hätte, wenn es gegangen wäre, und daß er im Frühjahr [18]15 eine gute Gelegenheit, nemlich meine Wahl zum Secretariat der philosophischen Klasse der Akademie ergriff, mich, jedoch auf die ehrenvollste Weise, aus dem Ministerium zu entfer nen, wodurch ich denn etwas an Muße gewonnen habe. Dies ist die Frucht, die mir das Glückwunschschreiben getragen hat; ob es sonst ir gend mit daran Schuld ist, daß so wenig aus der Sache geworden ist, kann ich nicht beurtheilen. Mein Entschluß stand fest. Wenn, wie es anfangs sehr das Ansehn hatte, etwas daraus entstanden wäre, was die Freiheit der einzelnen Geistlichen in der Amtsverwaltung beschränkt hätte, ohne zugleich eine freie Verfassung der Geistlichkeit zu gründen, dann würde ich namentlich aufgetreten sein und die Opposition auf das Aeußerste getrieben haben. Dazu eben wollte ich mir das Namentliche versparen. Das bloße Warnen schien mir besser ohne Namen zu geschehen. Jetzt ist nun wirklich stark die Rede von einer allgemeinen Einführung einer Syn odalverfassung. Was und wie, darauf bin ich neugierig. Bei der Beschaf fenheit unserer Geistlichkeit sind für den Augenblick keine bedeutenden Folgen davon zu erwarten; aber es ist doch ein Ende, bei dem die Sache auch angefangen werden muß, und ich will mich immer freuen.

Wenn Sie nun meinen, man merkt in der Welt nicht eben viel davon, daß ich an Muße gewonnen, so ist das freilich wahr. Theils ist sie darauf gegangen dadurch, daß ich mich sehr habe müssen in die Angelegenheiten unserer Akademie hinein arbeiten, die auch sehr im Argen liegt, theils habe ich allerlei im Stillen vorgearbeitet und hoffe, wenn ich einmal an fange, recht rasch hinter einander vielerlei geben zu können, was mir noch sehr auf dem Herzen liegt …

Schleiermacher habe Daubs Schrift „Judas Ischarioth oder das Böse im Verhältnis zum Guten“ noch nicht lesen können

wie ich denn darin überhaupt ein großer Sünder bin.

Ich knüpfe nun gern noch allerlei an, da ich einmal im Zuge des Schreibens bin, allein um nicht dasselbe Unglück zu haben, will ich eben den Brief unserm Schinkel mitgeben, von dessen Reise ich zu spät erfah ren habe. Sie werden ihn, wenn Sie ihn sehen, gewiß lieb gewinnen, wie wol sein Geschäft Ihnen nicht gefallen wird, wenn er anders, wie man sagt, den Auftrag hat mit Boisserees wegen ihrer Rückkehr ins Preußische zu unterhandeln. Indeß ihr Heidelberger habt doch kein Recht auf sie und könnt zufrieden sein, daß wir euch eure Handschriften zurückgegeben haben …

Zitierhinweis

4273: An Friedrich Heinrich Christian Schwarz. Berlin, Mittwoch, 3.7.1816, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007768 (Stand: 26.7.2022)

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