Hanau den 7ten December 1815.

Unmittelbar nach einer Krankheit, die tödtlich zu werden drohte, und später nach meiner Verheirathung habe ich an Sie, mein geliebter Lehrer und Freund, geschrieben um Sie von entscheidenden Ereignissen meines Lebens, welches besonders durch Sie geweckt und gebildet worden, nicht ununterrichtet zu lassen. Aus Ihrem bis jetzt beobachteten Schweigen würde ich schließen müssen, daß Sie mich vergessen hätten, wenn ich nicht wüßte, wie treu und warm Sie einen Jeden festhalten, der Ihnen mit Liebe und aus einem Herzensdrange entgegen kam. Auch finde ich die Ursache Ihres Schweigens theils in den stürmischen Begebenheiten dieses Jahrs, theils in Ihrer fortdauernden Unpäßlichkeit, von welcher ich zu meinem Schmerze schon während des verflossenen Sommers gehört. – Neulich war ich in Frankfurt, und machte die Bekanntschaft der beyden Sack, welche aus Frankreich zurückgekehrt waren; bald führte uns das Gespräch auch auf Sie, mein geliebter Freund, und wir freuten uns, in Ihnen unseren gemeinsamen Lehrer dankbar verehren zu können. Die beyden Sack baten mich, gelegentlich ihren Gruß an Sie zu bringen, und so will ich denn heute mein gegebenes Versprechen erfüllen, und Ihnen zugleich einiges über mich und meine Verhältnisse sagen. Ihres Antheils bin ich gewiß.

In meiner Familie lebe ich glücklich und ich erkenne mit dankbarer Rührung die hohe Himmelsgabe, welche mir in dem Besitze meiner Frau geworden. Aber mein Verhältniß zur | 19v Hessischen Regierung, welche nicht nur ihren negativen Charakter gegen die hiesigen Schulen fortdau ernd behauptet, sondern selbst grausam und ungerecht gegen uns Lehrer handelt, ist so verzweiflungsvoll, daß es der ganzen Kraft des Mannes bedarf, um nicht in dem Kampfe für die gute Sache zu unterliegen. 42 öffentliche Lehrstunden sind seit dem Abgange dreier Lehrer fort und fort wöchentlich in meinem Gymnasium unbesetzt; eine ganze Klasse habe ich aus Mangel an Lehrern schließen müssen, und ich besorge jetzt ganz allein den Unterricht für die erste und zweite Klasse, damit die unschul dige Jugend nicht für die Schuld der Regierung büße. Nichtsdestoweniger harre ich mit allen hiesigen Lehrern schon seit neun Monaten auf unsere Besoldung, und alle auch die dringendsten Bitten der hiesigen Schulcom mission, Bürgerschaft und Regierung konnten uns bis jetzt noch nicht zu unserm wohlverdienten Lohne verhelfen. – Auch die gute Kurprinzessin, welche getrennt von ihrem Manne jetzt hier lebt, und deren Töchter ich aus Achtung gegen die unglückliche Mutter unterrichte, hat sich bis jetzt vergebens für die hiesigen Lehrer verwandt. – Diese Thatsachen werden hinreichend seyn, Sie, mein väterlicher Freund, zu | 20 überzeugen, daß ich, ohne zum Verräther gegen mich und meine Familie zu werden, in dieser unwürdigen Lage nicht länger bleiben kann. Ich habe den Staatsrath Sü vern, und durch diesen den Minister von Schuckmann um eine Anstellung im Preussischen Staate, dem ich von Herzen angehöre, dringend gebeten; der Oberpraesident Graf von Solms, welcher mir wohl will, hat mich in seinem Organisations-Berichte zu einer meinem billigen Wunsche voll kommen entsprechenden Stelle in den Preussischen RheinProvinzen vor geschlagen. Süvern, den ich in Wiesbaden persönlich begrüßte, hat mir in seinem letzten Brief vom 15ten Oktober Hoffnung auf eine baldige Er füllung meines sehnlichsten Wunsches gemacht. Ich mögte, um vor Sü vern, dessen Achtung mir viel gilt, nicht zudringlich oder gar unbeschei den zu erscheinen, nicht gern noch einmal in meiner Angelegenheit an Süvern schreiben. Und doch ist es mir für mein Leben, das jetzt auf alle Weise gefährdet ist, von der größten Wichtigkeit, so bald als möglich die Hessischen Fesseln und mit ihnen den Gram abwerfen zu können, wel cher zerstörend an meinem Daseyn nagt. Darum komme ich vertrauens voll zu Ihnen, bittend daß Sie eine schickliche Gelegenheit suchen mögen, um den Staatsrath Süvern, auf dessen wohlwollende Gesinnung für mich ich wie auf einen Felsen baue, | 20v noch einmal ans Herz zu legen, wie wünschenswerth für mich eine baldige Entscheidung ist. Sie werden in meiner Lage und noch mehr in der Liebe, welche ich für Sie fühlte und fühle, eine hinlängliche Rechtfertigung meiner Bitte finden.

Meine Frau empfiehlt sich Ihnen und den Ihrigen zum freundlichen Andenken. Ich bleibe mit treuem Herzen

Ihr dankbarer J. Schulze.

Zitierhinweis

4204: Von Hartwig Schulze. Hanau, Donnerstag, 7.12.1815, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007765 (Stand: 26.7.2022)

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