Hanau den 20ten April 1815.

Als ein vom Tode zum Leben Genesener begrüße ich Sie, meinen ewig theuren Lehrer und Freund, heute zum ersten Male nach einer langen für mich schmerzlichen Zeit. Fast vier Monate habe ich an einer Brustkrank heit gelitten, welche tödtlich zu werden drohte; meine Aerzte, welche im Ganzen wie im Einzelnen meinen Zustand eben nicht sehr richtig zu wür digen verstanden, hielten es für den Anfang der Lungenschwindsucht und gaben mich ohne Hoffnung verloren. Wohl bekannt mit der Gefahr, wor inn ich schwebte, suchte ich meine Rechnung mit der Erde abzuschließen, damit ich ruhig und besonnen den letzten Gang zu gehen vermögte. – Aber wider Erwarten und Hoffen hob sich nach einem zweymonatlichen Schlummer meine Natur in ihrer ganzen Stärke, und wagte noch einen entscheidenden Kampf mit dem bösen Feinde, der mich von allen Seiten umlagert hielt; die Crisis trat ein und schien um so sicherer zum Leben zu führen, je langsamer sie sich nahte; die Stimme welche ich ganz verloren hatte, kehrte wieder; die Heiserkeit verlor sich je länger je mehr; die Brustbeklemmungen wurden erträglich und der fürchterliche Husten en dete gänzlich. So bin ich seit wenigen Tagen wieder fähig geworden, mein Amt zu verwalten, aber gewiß nur auf kurze Zeit; denn unter den gegen wärtigen Verhältnissen kann ich hier nicht länger bleiben. – Die hiesigen Schulen, das Gymnasium und die Bürgerschule, | 17v hatten in kurzer Zeit durch mein unermüdliches Streben und das freundliche Zusammenwir ken meiner Amtsgehülfen eine schöne Blüthe erreicht. – Der Kurfürst kam; die in seiner Abwesenheit gemachten Verbesserungen der Schulen wurden nicht sogleich aufgehoben, weil alle Einwohner Hanau's sich für die Erhaltung der Schulen und besonders für mich dringend bey ihm verwandten; ein provisorischer Zustand wurde von Seiten der Regierung eingeführt; neun Monate mußten wir warten, ehe wir einen Heller un serer Besoldung erhielten, und jetzt sind wieder sieben Monate verflossen seitdem man uns den wohl verdienten Lohn vorenthält. Ein Lehrer nach dem anderen verlor endlich den Muth; zwey gaben ihr Amt auf, zwey starben; ich oder vielmehr die Schulcommission machte Vorstellung über Vorstellung, und bat um Wiederbesetzung der offen gewordenen Stellen, um eine endliche Entscheidung. Aber bis jetzt vergebens! Um den Ein sturz des ganzen Gebäudes noch aufzuhalten, habe ich im vorigen halben Jahre wöchentlich dreißig Lektionen in den beyden obersten Klassen ge geben. Endlich erlag mein Körper dem Kummer und der übermäßigen Arbeit. – Kurz der Zustand der Lehrer unter der Hessischen Regierung ist unerträglich; die Universität Marburg hat ein ähnliches Schicksal wie die hiesigen Schulen erfahren | 18 und man kann sie als aufgelöst betrachten.

Sie begreifen leicht, mein geliebter Freund, daß ich unter solchen trau rigen Verhältnissen auf einen andern Wirkungskreis denken muß. Görres hat mir im Namen des GeneralGouverneurs Sack vor drey Monaten die Stelle eines SchulInspektors in Coblenz angetragen; ich konnte ihm wegen meiner Krankheit erst jetzt antworten, und sein Stillschweigen läßt mich fürchten, daß die Stelle jetzt nicht mehr offen ist. Darum nehme ich zu Ihrer Freundschaft und Liebe meine Zuflucht; in den an Preußen gefal lenen Ländern des Rheins wird es wohl nicht an Gelegenheit fehlen, mir einen passenden Wirkungskreis im Schulfache zu eröffnen, wenn Sie in der Sektion des öffentlichen Unterrichts meiner mit Wohlwollen gedenken wollen. Daß Sie in mir keinen Unwürdigen empfehlen, glaube ich versi chern zu können. An den StaatsRath Süvern habe ich, wie Sie wissen, vor längerer Zeit geschrieben und Passow hat ihn hinlänglich in Hinsicht meiner unterrichtet. Ungern mögte ich mich, wie Süvern mir gerathen, noch an den Herrn von Schuckmann in einer officiellen Eingabe wenden. Marheineke und Rühs, welche mich in meinem hiesigen Wirkungskreise zu sehen Gelegenheit hatten, wollten beim Staatsrath Nicolovius meiner gedenken. So wird es vielleicht nur einer neuen Anregung von Ihnen be dürfen, | 18v um mich dem Druck meiner hiesigen Verhältnisse zu entreißen, und um diese Gunst wollte ich Sie dringend gebeten haben.

Den vierten Band unsres Winkelmann's, welcher die Kunstgeschichte beschließt, werden Sie nächstens durch Buchhändler-Gelegenheit erhal ten, und sich hoffentlich ueberzeugen, daß ich besonders auf diesen Band allen nur möglichen Fleiß verwandt. Die Uebersetzung des Trattato preli minare woran ich jetzt arbeite, weil die Sudeley von Bruns unbrauchbar ist, wird nebst den vollständigen Registern den fünften Band ausmachen.

Einen besondern Dank habe ich Ihnen noch zu bringen für die Erbau ung, welche mir der dritte Band Ihrer Predigten während meiner Krank heit gewährte. Ich habe keine Worte für die schöne Stimmung, worinn mich diese Ergießungen eines frommen Gemüths versetzten.

Meine künftige Frau, deren zärtlicher Sorgfalt ich größtentheils meine Genesung verdanke, empfiehlt sich Ihnen und den Ihrigen. Leben Sie wohl, mein ewig theurer Freund. Mit treuem Herzen

Ihr J. Schulze.

Zitierhinweis

4133: Von Johannes Schulze. Hanau, Donnerstag, 20.4.1815, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007764 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.