Seiner Hochwürden / des Herrn Doktors und Professors / Schleierma cher / in / LangenSchwalbach / frei [Bl. 14v]

Hanau den 14ten August 1814.

Endlich gewinne ich einen ruhigen Augenblick, um mit Ihnen reden zu können, mein theurer innig geliebter Lehrer und Freund. Zu meiner gro ßen Freude habe ich vernommen, daß Sie schon seit den ersten Tagen Ihres Aufenthalts in Schwalbach einen wohlthätigen Einfluß des Bades auf Ihren Körper verspürt. Das Wetter begünstigt Ihre Kur, und so darf ich hoffen, daß Sie neu gekräftigt unsere Gegend verlassen werden. Gern hätte ich noch einige Tage mit Ihnen verlebt; aber meine Pflicht rief mich nach Hanau zurück, und ich folgte dem Rufe, weil ich in Allem, was meine öffentliche Wirksamkeit betrifft, die strengsten Forderungen an mich zu machen pflege. Wenn die Hessische Regierung mich nichtsdesto weniger den drückendsten Sorgen für den Augenblick, und der peinlich sten Ungewisheit über die Zukunft fort und fort Preis giebt: so wird mich dies nicht wankend machen in meinem ernsten Streben, von dem Punkte aus, wo ich stehe, nützlich zu werden nach dem Maaße meiner Kräfte. Die Bildung einer schön aufblühenden Jugend, welche mir anvertraut worden, ist wohl einiger, wenn  korr. v. Hg. aus: gleichergleich schwerer Opfer von meiner Seite werth. Aber ich bin fest entschlossen, hier nicht zu bleiben, wenn das Hessische Unwesen in diesem Lande fortdauern sollte. Ich stehe zu allein, und ich werde zu wenig von der Regierung begünstigt, als daß ich hoffen könnte, für die Länge dem täglichen Kampfe gewachsen zu seyn. Bis jetzt habe ich muthig ausgehalten unter dem peinlichsten Drucke äußerer Ver hältnisse, um nicht den Schein der Feigheit und Eigennützigkeit auf mei nen reinen Namen zu werfen. | 13v Von allen Seiten will man jetzt behaupten, daß Hanau und Mainz nach dem Wiener Congresse an Baiern fallen. In diesem Falle wäre mir eine Versetzung ins Preussische besonders ange nehm, so daß ich Ihnen meinen Wunsch noch einmal zu empfehlen wage. Offen und vertrauensvoll, wie es meine unbedingte Liebe zu Ihnen von mir forderte, habe ich Sie mit meiner Lage bekannt gemacht; würdig, wie ich begonnen, wünsche ich mein Leben abzuschließen, und ich glaubte in Ihren Mienen zu lesen, daß Sie mit meinem früheren Leben, wie mit dem, was ich für die Zukunft zu thun beschlossen, zufrieden sind. Dies freut mich um so mehr, je inniger ich Sie achte und liebe, und je höher ich Ihr günstiges Urtheil, Ihren Beifall schätze.

Marheineke's Begleiter, der Professor Rühs hat mir einliegenden Brief gegeben. Rühs gefällt mir sehr wohl, obschon ich erst einen Tag mit ihm zusammen gewesen. Sein Wesen ist mir so einfach offen und natürlich erschienen, daß man ihm gut seyn muß; und bei wissenschaftlichen Ge sprächen besonders zeigt sich, wie ernst sein Streben, und wie redlich sein Bemühen um die Wissenschaft ist. Wolf wird heute oder morgen hier eintreffen und einen Tag bei mir verweilen. Er scheint vor allen Berlinern eine solche Furcht zu haben, daß er Marheineke und Rühs wohl schwer lich aufsuchen wird; ich fühle mich in seiner Nähe, wie freundlich er auch immer gegen mich seyn mag, stets eingeengt, seinem fürchterlichen in Witz | 14 gehüllten Egoismus gegenüber, muß ich alles, was von höherer Liebe in mir lebt, verschließen.

Meine Hausgenossinn empfiehlt sich Ihnen und Ihrer lieben Frau. Le ben Sie wohl und lassen Sie mich bald von Ihrem Befinden hören. Mit treuer Liebe und Freundschaft

Ihr J. Schulze.

Zitierhinweis

4066: Von Johannes Schulze. Hanau, Sonntag, 14.8.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007762 (Stand: 26.7.2022)

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