Weimar den 14.11.11.

Länger, als ich wollte, habe ich Ihren Brief, mein innig verehrter Freund, unbeantwortet gelassen, nicht um Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sondern um Ihnen zugleich mit meiner Antwort einliegende kleine Schrift, welche eben fertig geworden, zu übersenden. – Schon seit 1 1/2 Jahren beschäftigt mich das Studium der Religionsgeschichte auf der einen, und das des Plato auf der andern Seite. Das erstere führte mich auf die Acta Sanctorum; Calderons standhafter Prinz ward hier gerade gegeben und so hatte ich eine aeußere Veranlassung zu dieser Schrift. – Wie es mit dem Eingange gemeint sey, brauche ich Ihnen nicht erst zu sagen. Es würde mich freuen, wenn Sie Muße fänden, das Ganze zu lesen und mir Ihr Urtheil mitzutheilen. – Trotz des Motto, welches ich gewählet, hat Goethe mir seine Zufriedenheit über die Arbeit zu erkennen gegeben auf eine höchst freundliche Art. Denn Sie müssen wissen, er haßt den Novalis so sehr, | 7v daß er bey einer Gelegenheit, wo ich eine Predigt mit dem Gedichte: Wenn alle untreu u.s.w. geschlossen, er einer schalen Theegesellschaft gesagt: Niemand möge ihm Novalis Schriften in sein Haus bringen. – Es ist merkwürdig, daß Goethe sich in allem, was das Christliche betrifft, in trauriger Verwirrung selbst verkennt. – Die beyden Sonnette gebe ich Ihnen nach meiner Uebersetzung; vielleicht ist sie Ihnen nicht unerfreulich. –

Meine vor einigen Monaten bekanntgemachten Reden über die Christliche Religion würde ich Ihnen schon gesandt haben, wenn ich nicht erst Marheinekes Urtheil abwarten wollte. – Wenn er glaubt, daß ich sie Ihnen mittheilen kann, so sollen Sie nächstens ein Exemplar erhalten. Jetzt werde ich in langer Zeit, ausser meinem Winkelmann, nichts Schriftstellerisches liefern, weil meine Studien mir keine Zeit lassen. – Aber dann hoffe | 8 ich nach einigen Jahren mich gereifter und in würdiger Gestalt zeigen zu können. – Je mehr ich mir selbst klar werde, um desto deutlicher erkenne ich, daß die Religion das Element meines Lebens ist, und daß alle meine übrigen wissenschaftlichen Bestrebungen sich in Theologie auflösen werden. – Ihre Schrift hat mich ungemein erfreut, und ich glaube, alles darinn nicht nur verstanden, sondern mir aus den einzelnen Sätzen das Ganze der Theologie nach  korr. v. Hg. aus: ihrerIhrer Ansicht construirt zu haben. – Ihr Recensent in der Hallischen Zeitung muß ein rechter Tropf seyn. – Aber denken Sie, auch Augusti meinte, mit dem Buche könnte es wohl nicht Ihr Ernst seyn. – Sie haben jetzt Augusti in Breslau; aber er muß sich sehr ändern, wenn er als akademischer Lehrer sich geltend machen will. – Ich hospitirte in diesem Sommer in seiner Dogmatik – er sprach gerade über die Göttlichkeit des Christenthums. – Aber auf | 8v welche seichte und triviale Weise! Nein! ich habe nie etwas Kläglicheres gehört. – Und nun liest er Wort für Wort aus seinem Heft; keine Periode konnte er bilden; er gab nichts als einzelne Sätze. – Doch er hat einen Namen! – Uebrigens ist er ein sehr guter Mensch, dem ich persönlich mich geneigt fühle. – Der Staatsrath Uhden sagte mir viel Gutes von David Schultz, mit dem ich in Halle studirt und im Seminar gewesen – Wie dieser etwas Tüchtiges als Theologe leisten kann, begreife ich nicht. – Was er geschrieben, ist doch herzlich schlecht. – In Jena geht Alles zu Grunde; Herr Gabler ist das Fac totum, da Griesbach wenig liest wegen seines hohen Alters. – Ich gestehe Ihnen, daß ich mit Freude nach Breslau gienge; Dogmatik, Encyklopaedie der theologischen Wissenschaften, und auch Kirchengeschiche mögte | 9 ich gern lesen. – Nebenher auch einige philologische Collegia z.B. Geschichte der Griechischen Poesie, die ich zu meinem Vergnügen ganz ausgearbeitet, wie auch die Geschichte der zeichnenden Kunst bey den Griechen. – Täglich fühle ich je länger je mehr, daß ich als Universitätslehrer noch mehr nützen könnte als in meiner gegenwärtigen Lage, wiewohl ich die Freude habe, mehrere tüchtige gründliche Philologen gezogen zu haben. – Nächstens sende ich Ihnen zwey nach Berlin, die sich der Theologie widmen; es sind zwey herrliche Menschen.

Das Predigen habe ich fast seit einem ganzen Jahre unterlassen, wegen der vielen Nackenschläge, die ich von der hiesigen Geistlichkeit erfahren mußte. – Der Herzog, dem alles Kirchliche verhaßt ist, hat sich absichtlich höchst unbedeutende Menschen zu seinen Consistorial-Räthen gewählt. – Es geht ihnen, wie den Vögeln im Aristophanes: | 9v wir wissen nichts, wir haben nichts gelesen. – Natürlich sind sie daher beschränkt und anmaaßend. –

Nothwendig muß ich bald meine Lage verbessern; das heißt, ich mache keine Ansprüche, auf eine Besoldung, wie Augusti in Breslau erhalten; aber frei von Nahrungssorgen mögte ich leben können. – Ach! es müßte eine Seeligkeit seyn, als theologischer Docent seinen Zuhörern die Wahrheiten des Christenthums zu entwickeln und sie mit Liebe und Begeisterung für die göttliche Wissenschaft zu erfüllen. –

Nach Weihnachten erhalten Sie den dritten Band unsers Winkelmanns, und wenn Ihnen die früheren Bände nicht misfallen, so glaube ich von diesem mit Grund ein Aehnliches hoffen zu können. – Ich habe ihn fleissiger als die andern gearbeitet. – Mit dem 4ten Bande schließt die Kunstgeschichte und des freue ich mich, damit ich einen noch freiern Spielraum zu | 10 meinen übrigen Studien gewinne. Indessen lerne ich viel bey dieser Ausgabe. –

Blanc hat mich vor einiger Zeit besucht; Sie waren oft der Gegenstand unsrer Unterhaltung. – Gott weiß, wie unendlich ich Sie liebe und verehre. – Nichts sehnlicheres wünsche ich, als Sie bald einmal in Ihrem Familienkreise zu sehen.

Viele herzliche Grüße an Boekh und Marheineke. – Der letztere ist mir eine Antwort schuldig. – Ist Spaldings Stelle schon vergeben? –

Leben Sie wohl, theurer Verehrter, und lassen Sie mich nicht zu lange auf eine Antwort harren. –

Ihr ewig dankbarer Schulze.

Zitierhinweis

3702: Von Johannes Karl Hartwig Schulze. Weimar, Donnerstag, 14.11.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007760 (Stand: 26.7.2022)

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