Berlin, d. 13ten September 1811.
Sie müssen in der That, mein werther Freund, eine große Masse von Geduld für mich aufbringen, aber ich rechne auch sehr auf die gütigen Gesinnungen, die Sie in Ihrem letzten Briefe äußern, wenn gleich ich mir nicht alles, was Sie mir zur Entschuldigung annehmen, wirklich zuschreiben kann. Wie groß mein Einfluß auf die wirkliche Errichtung der hiesigen Universität gewesen, wage ich nicht zu bestimmen; ich halte ihn nur für gering und für sehr indirekt. An der Organisation habe ich Anfangs aber auch eigentlich nur bis Ende des vorigen Jahres einen sehr lebhaften Antheil gehabt; indeß ist, wie es denn zu gehen pflegt, auch schon damals, wie viel mehr noch seitdem, manches geschehen und unterblieben, was ich nicht auf meine Rechnung nehmen möchte. Was Sie mir in Ihrem Briefe von den Gesinnungen gegen diese neue Anstalt sagen, hat mich in der That überrascht. Ich dächte, wo man nur irgend deutschen Sinn hat, könnte man nicht anders, als sich darüber freuen. Mir wenigstens ist es sehr einleuchtend, daß weder die ausländischen Regierungen, noch die willkürlichen Constitutionen so stark und so unfehlbar auf die Ertödtung des Nationalgeistes wirken werden als die Umwandelung der Unterrichtsanstalten, wie sie jetzt in den neuerrichteten Departements betrieben wird, und der intellektuelle Despotismus der kaiserlichen Universität. Daher sollte man sich freuen in einem Staat, welcher direkten Einflüssen dieser Art bis jetzt am wenigsten ausgesetzt ist, ein neues Asyl für deutsche Art und Wissenschaft errichtet zu sehen. Behalten wir nur Friede, so denke ich wird dieses Geschrei sich bald verlieren und die Sache über ihre Gegner sehr glänzend siegen. Mit dem Erfolg dieser beiden Semester haben wir alle Ursache zufrieden zu sein. Mir hat sie doch auch schon etwas eingetragen, meine theologische Encyklopädie hat sich zu einem kleinen Compendium gestaltet, das freilich, wie ich fürchte, an und für sich sehr schwer verständlich ist, aber doch mir und den Zuhörern, wie ich erprobt habe, sehr gut ausreicht. Bei den nächsten Vorlesungen will ich eine kleine litterarische Anleitung hinzufügen, die dann, so Gott will, in eine zweite Auflage mit übergehen kann. Nächstdem habe ich unter dem Namen der Dialektik ein allgemeines philosophisches Collegium, ich kann noch nicht sagen ausgearbeitet, aber doch angelegt, wodurch meine Ansichten über diese Gegenstände völlig in Ordnung gekommen sind, indeß bin ich bis jetzt gesonnen sie lange oder immer esoterisch zu halten. Für die Disciplinen, die ich sonst vorgetragen, haben mir leider meine Geschäfte nicht zugelassen etwas bedeutendes zu thun; dieses würde, da ich auch nichts litterarisches gearbeitet habe, nicht erklärlich, wenn ich nicht sieben Monate am Magenkrampf auf eine fast unerträgliche Art gelitten hätte. Jetzt bin ich endlich seit wenigen Wochen befreit, nachdem ich mich fast drei Monate lang magnetisiren lassen, was auch die Zeit weggenommen hat.
Ihre Wünsche, mein lieber Freund, habe ich seit Empfang Ihres Briefes fleißig im Auge gehabt. Die Univesität Breslau hätte wohl eine Gelegenheit dargeboten Ihnen Kanzel und Katheder vereint anzuweisen, wenn nicht die Universitätspredigerstelle schon längst eventualiter für den Consistorialrath Gaß, der sich auch sehr dazu eignet, bestimmt gewesen wäre. Die theologische Fakultät dort ist indeß vor der Hand so besorgt, daß man bald merken wird, es reicht nicht hin, und eine Predigerstelle könnte sich dann, da es Ihnen an Beifall nicht fehlen wird, in der Folge dazufinden. Allein Sie müssen uns zuvor irgend ein Specimen theologischer Erudition in die Hände geben, damit ich etwas reales anzuführen habe. Doch vielleicht erfüllt Augusti's Abgang nach Breslau Ihre Wünsche auf eine andre Weise. Den ersten Theil Ihres Winkelmann habe ich mit Genauigkeit gelesen und so, daß ich mir von Ihrem Fleiß eine eigne, sehr erfreuliche Ueberzeugung erworben habe; mit dem zweiten ist es mir leider noch nicht so gut geworden. In Ihren Predigten lese ich mit vielem Vergnügen; das einzige, was ich dagegen sagen möchte ist, daß Sie in Absicht der Sprache eben so viel von Ihren Zuhörern fordern als man mir Schuld giebt, aber auf andre Art; ich glaube nämlich, daß meine Zuhörer eher wissen werden, was sie nicht genau verstehen, die Ihrigen aber sich leichter einbilden werden verstanden zu haben, weil das Schwere sich unter einem poëtischen und sehr gefälligen Gewande verbirgt. Die poëtischen Schlüsse sind eine sehr schöne Zugabe; es sammeln sich auf diese Art treffliche Elemente zu einem Liederbuche; nur das in Ihrem letzten Briefe scheint mir wegen dieser bestimmten Form von Allegorie der Kanzel unmittelbar weniger angemessen. – Sollte sich, was Sie das Christliche am Sophokles nennen, auch zu einer besondern Schrift eignen, wiewohl sich dergleichen besser gelegentlich beibringen ließe, so würde ich doch einen weniger paradox klingenden Titel wünschen. Doch ich muß ungern abbrechen mit der Versicherung meiner herzlichen Anhänglichkeit.
Schleiermacher.Zitierhinweis
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