Weimar den 15.1.11.

Wüßte ich nicht, vereehrter Lehrer und Freund, daß Sie durch die Menge von Arbeiten, welche aus Ihrer jetzigen Lage hervorgehen, an der Beantwortung meiner Briefe verhindert wurden: so müßte ich Anstand neh- men, mich aufs neue vielleicht einem gleichen Schicksal Preis zu geben. Aber jetzt hat Sie meine Seele nicht nur entschuldigt sondern auch gerechtfertigt. Gern trete ich, der Einzelne in den Hintergrund, da Sie mit unermüdlichem Eifer dem größern Ganzen Ihre Zeit und Kräfte weihen. Sie erhalten daher von mir keine Vorwürfe; sondern meinen besten Dank für die regsame Sorgfalt, mit welcher Sie, Ihre persönlichen Verhältnisse für den Augenblick vergessend, die Errichtung einer Universität in Berlin endlich errangen. Das Werk wird den Meister loben und verstummen machen das Gekrächz der Raben, die übelgesinnt sich dem schönen Gedanken widersetzen. – Die gerechte Nachwelt wird loben, was die neidische schlaftrunkne Gegenwart als ein nichtiges in sich selbst zerfallendes Beginnen darstellen mögte. – Es ist unglaublich, wie viele Widersacher die Berliner Universität in unserer Gegend wie überhaupt im südlichen Deutschland hat. Man ärgert sich, in unsrer Zeit | 5v wo fast nur von Zerstörung die Rede ist, ein neues schön gedachtes Werk entstehen zu sehen und man mögte sich gerne dem jungen kräftigen Ganzen widersetzen, wenn man nicht bedächte: Rühre nicht, Bock, denn es brennt. –

Selbst Goethe, mit dem ich seit einiger Zeit in etwas freundlichem Verhältnisse stehe, sieht mit Unwillen auf Ihre Universität, und hat sich laut darüber geäußert, was sonst, wie ueberhaupt das bestimmte männliche Urtheilen, nicht seine Sache ist. Denn immer fürchtet er anzustoßen und seine bequeme behagliche Ruhe, die ihm über alles geht, zu unterbrechen. – Doch dies unter uns!

Nehmen Sie den zweyten Band der Winckelmannischen Kunstgeschichte mit gewohnter Freundlichkeit auf. Vielleicht ist die Liebe, mit welcher ich ihn gearbeitet, nicht ganz ohne Folgen gewesen. Sehr wenige mögten im Stande seyn oder Lust in sich fühlen zu untersuchen, was und wie viel ich in Verbindung mit Meyer gearbeitet. Und dies ist auch unnöthig; wenns nur gemacht ist und gut gemacht; der Mann thut nichts zur Sache und auf Dank habe ich nie gerechnet. | 6

In diesem Sommer ward ich durch meine schwankende Gesundheit zu einer angenehmen Reise durch das südliche Deutschland, die Schweiz und einen Theil Italiens veranlaßt. Sie hat auf meine innere Stimmung wie auf meinen Körper einen wohlthätigen Einfluß gehabt. – Auch Ihren Marheineke lernte ich kennen; es ist ein liebenswürdiger Mann. Die theologische Fakultät in Heidelberg hat mich zu seinem Nachfolger in Vorschlag gebracht. Wie gern wäre ich gegangen, da das theologische und besonders das kirchenhistorische Studium mir so viele Freude macht, und mich mein jetziges Amt zu sehr zerstreut, verhindernd, daß ich mich concentriren und mit ganzer Seele Einem Fache widmen kann. Und das wird doch jetzt nothwenig, denn heute bin ich 25 Jahre geworden und ich fühle mich in Rücksicht meines aeußern und innern Wesens 10 Jahre älter als ich wirklich bin. Denn das Leben geht jetzt, dem Zeitgeiste gemäß, rascher und schneller als jemals zu Ende. Auch meine hiesige aeußere Lage zwingt mich, an einen andern günstigeren Aufenthalt zu denken; von meinem Gehalt kann ich nicht leben, und knickern habe ich nie gekonnt. Unser Herzog steht mit Unrecht in dem guten Ruf, als begünstige er Kunst | 6v und Wissenschaft. – Goethe bekümmert sich durchaus um gar nichts. – Ich stehe hier mit meinem Streben ganz verlassen und allein; von allen Seiten werden mir Hindernisse in den Weg gelegt; Weimars Blüthe ist vorüber, alles neigt sich zum Untergang, und ich mag in den Tagen der Jugend und eines kräftigen Lebensgefühls nicht unter verwitterten Trümmern wohnen. – Mein Freund Passow hat mir die erste Professur am Paedagogio zu Jenkau bey Danzig unter sehr günstigen aeußerlichen Bedingungen angetragen. Allein ich bin und bleibe vielleicht leider immer unverheirathet; dort auf dem Lande würde mir das einsame, von aller Welt abgeschlossene Leben in der Länge lästig werden. Auch muß ich darauf denken, an einem Orte zu wohnen, wo wissenschaftliche Berührungspunkte sind und eine öffentliche Bibliothek ist. – Nach Heidelberg werde ich wohl nicht kommen, da Paulus sich um die Stelle bewirbt und einen großen wenn gleich, wie ich denke, unverdienten Ruf hat. – Am liebsten wäre mir eine Stelle, wo ich Katheder und Kanzel mit einander verbinden könnte. Vielleicht ist es Ihnen in Ihrer gegenwärtigen Lage möglich, eine für mich passende Stelle zu  Schadhafte Stelle [...]

Zitierhinweis

3576: Von Johannes Karl Hartwig Schulze. Weimar, Dienstag, 15.1.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007758 (Stand: 26.7.2022)

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