Dienstag 27 Abend

Große Freude liebes Herz daß Dein zweiter Brief noch Gestern an einem ruhigen Tage ankam wo er recht konnte genossen werden. Abends kamen noch Schedes denen ich auch daraus mitgetheilt habe, und heute habe ich auch noch der Fischer davon geschrieben. Gesehen habe ich sie nur noch Gestern; da sagte sie mir sie hätte über Linchen wol schon allerlei im Gefühl, aber noch keine so bestimmte Anschauung daß sie wagte sie auszusprechen. Es würde sie über der Zeileihr aber noch heller werden und dann wollte sie dir schreiben. Sie wollte den Brief eigentlich schon heute schicken; viel leicht thut sie es Morgen noch. Mir hat sie denn auch noch vielerlei vorgeschrieben, und war im Ganzen ruhig über meine Abreise, wiewol sie einmal etwas besorgt sagte: Wenn Sie doch wenigstens bis Freitag warten könnten. Das ist das unbequemste in dem Verhältniß mit solchen Pro pheten, daß sie einen durch solche Aeußerungen leicht irre machen kön nen. In meinem Charakter lag es aber nicht deshalb aufzuschieben, da es unsern ganzen Plan umgestürzt hätte, und da sie | 9v durchaus keine be stimmte Anschauung hatte. Es läßt sich ja auch alles Gott sei Dank sehr gut an. Das Wetter hat sich seit Gestern außerordentlich gebessert (denn hier haben wir bisher nicht nur Wind und herbstliche Kälte, sondern auch Regen gehabt) ich habe mich, wie immer nach einem Besuch bei der Fischer, gestern ausnehmend wohl befunden, auch heute ganz leidlich die Buschelei die nicht gering ist und das Reimersche Diner bestanden, und so denke ich, mit vielen Amuleten und noch mehr Regeln und Vorschrif ten ausgerüstet soll alles gut gehn.

Wegen Emma ist es gegangen wie ich dachte. Kein Mensch weiß ohne das Kind gesehn zu haben oder wenigstens ohne eine bestimmte Be schreibung etwas genaues zu sagen. Ich weiß nur daß wenn das Kind zugleich eine Hasenscharte hat diese nothwendig operirt werden muß, daß man aber nicht wissen kann ob jezt schon angehn wird, ferner daß der falsche Gaumen allerdings öfter muß erneuert werden daß dies aber nichts bedeutendes ist. Also wird doch nothwendig das Kind schon um gesehen zu werden nach Berlin | 10 müssen, und so ist wol am besten, daß es jezt geschieht; denn ohne eine solche Gelegenheit würde sich Mühlenfels doch weit schwerer entschließen

Der armen alten Lotte geht es recht hart an daß sie nun grade einen Tag zu spät ihre Freiheit erhalten hat; daß sie aber mit uns reisen könnte daran war auf keine Weise zu denken. Ihre größte Angst ist nun, daß Dörte sich verrechnet hat und unversehens hier wieder kommt. Dies hat schon die komischsten Momente hervorgebracht. Gott gebe nur daß sie sich bei leidlicher Gesundheit erhält; gestern und heute hat sie sehr ge klagt.

Heute habe ich nun mein Rectorat niedergelegt, die lezten Stunden desselben noch an ein Verhör gewendet und auch noch die lezten blanken Früchte eingeärndtet, die meine Erwartung etwas übertrafen. Die Predig ten sind untergebracht, die Papiere aber in der größten Confusion zurük geblieben und der Plato nicht fertig geworden. Doch was schadet das der Koffer ist gepakt und Morgen früh um 5 Uhr soll es fortgehn. Dir ent gegen freilich mein liebstes Herz aber es kommt mir vor als ob meine Strohwittwerschaft nun erst recht anginge weil die Hofnung Nachrichten von dir zu bekommen gar dünn | 10v wird. Hast Du bei Zeiten daran gedacht so konntest Du freilich nach Kiel unter Twestens Adresse geschrieben haben. Noch kannst du es sicher wenigstens nach Rostok an Konopak. Ich werde Dir schreiben von Hamburg und Kiel aus damit Du nicht ohne Nachricht von meiner Gesundheit bleibst.

Gestern grade als Dein Brief ankam war Ehrenfried so eselhaft gewe sen, daß ich Deinen zärtlichen Gruß nur in bittere Thränen verwandeln konnte, indem ich ihm sagte ich sollte ihn zwar abküssen, ich könnte es aber nur wenn er wirklich lieb und gut wäre. Im Ganzen kann ich nicht unzufrieden mit ihm sein

Gott befohlen mein Herz. Ach schreibe nur einmal recht viel im Fluge. Das ist ja am allerschönsten. Warum soll mir denn der Genuß verbittert werden durch das Gefühl daß dud dir Mühe giebst?

Von Acht Uhr an bis Mitternacht habe ich hier gesessen und geschrie ben und Nanny gelaufen und gepakt; nun wollen wir beide ins Bett eilen um noch einige schöne Stunden zu schlafen. Gott sei Dank, daß ich so ruhig sein kann über Dich und die Kinder. Küsse mir die lieben Würmer und grüße alle Freunde aufs herzlichste mich verlangt auch recht mich einmal wieder mit ihnen einzuleben. Aber Du thust gar nicht als ob ihnen was an Dir gelegen wäre

A dio ich küsse Dich tausendmal

Dein alter treuer

27st Aug

[Charlotte Schleiermacher:]

Zitierhinweis

4292: An Henriette (Jette) Schleiermacher (auch von Charlotte (Lotte) Schleiermacher). Berlin, Dienstag, 27.8.1816, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007737 (Stand: 26.7.2022)

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