Donnerst. d 24t. Abends.

Liebstes Herz wüßte ich nur erst daß du unterwegens wärst und daß alles glüklich ginge. Ich habe eigentlich darüber viel Sorge und es thut mir manchmal leid, daß ich nicht doch gereist bin dich abzuholen; aber es war doch theils gar nicht zu machen ohne  über der Zeile⎡durch Pflichtversäumniß an- dere Menschen in Verlegenheit zu sezen, theils zu ungewiß ob ich Dich fände theils auch hielt ich es nicht für rathsam 70 r unter denen ich nicht weggekommen wäre dran zu sezen. Alexander wollte mir zwar Geld geben, allein jezt darf man keine Schulden machen. Kommst Du nun nach Breslau so findest du Gass nicht der in Reinerz ist und vielleicht keinen einzigen Bekannten. Meine einzige Hofnung seze ich noch auf Schulz wenn Du glüklich genug bist den aufzufinden. – Gestern Abend war Alexander wieder bei mir. Ich hatte mir vorgenommen ihm wenn er käme von jenen merkwürdigen Tagen zu erzählen, aber es machte sich nicht. Wir sprachen zwar auch von Dir aber doch immer nur kurz. Der Krieg und die Politik nahmen die meiste Zeit. Nun er behält es noch zu gut; denn da die Briefe alle verloren sind muß er doch das nöthigste mündlich bekommen. Auch über ihn sprach ich etwas, daß ihn die Leute nicht so verständen wie ich wünschte, und daß es daher käme weil sie seine milde Seite nicht heraus finden könnten. Es machte ihn etwas nachdenklich er meinte aber doch er könne das nicht ändern, er könne | 41v nur mild sein weil wo er einverstanden wäre. Er ist viel mit den Gerlachs die sämtlich hier sind. Leopold kann freilich darin nicht vortheilhaft auf ihn wirken.   Ich konnte Dir Gestern nicht schreiben weil ich noch alle Hände voll zu thun hatte mit einer Abhandlung die ich heute in der Akademie vorgelesen habe. Es ist freilich eigentlich ziemlich triviales Zeug aber eben deswegen haben die Leute es geistreich und schön gefunden und wollen daß ich es in der öffentlichen Sizung vorlesen soll. Ich wollte es nicht abschlagen weil ich noch gar nicht öffentlich gelesen habe und sie es für Ziererei gehalten hätten. Sie handelt vom Uebersezen; es sind einige Seitenhiebe auf Wolfs Ansichten darin, ich weiß aber nicht ob jemand sie bemerkt hat. Und wer saß mir gegenüber und hörte ganz eifrig zu? Kotzebue, er ist richtig der den wir damals in der Loge sahen. – Mein Herzenskind wie wenig habe ich eigentlich gethan seit Du weg bist! Vier Predigten geschrieben und diese Abhandlung, einige ganz unbedeutende Studien gemacht und dann die currenten Geschäfte. Und dennoch will ich mich gar nicht bekehren sondern sinne drauf wie ich recht wieder einbringen und mit dir leben will. Meine Hauptspeculation geht darauf daß das Magnetisiren bald überflüßig werden soll und daß ich dann Nachmittags gar nicht herein zu gehn brauche. Gott weiß aber ob es nun gehn wird da ich mich habe entschließen müssen die Redaction des Correspondenten zu übernehmen. Ich konnte es aber nicht ändern, er hätte sonst müssen eingehn und Reimern ist zu | 42 viel daran gelegen. Viel Pein wartet dabei auf mich, unge- wohnte Arbeit bei der ich mich anfangs ungeschikt nehmen werde, Händel mit unserm abgeschmakten Gouvernement und mit der albernen Censur. Und wer weiß noch wie es Niebuhr aufnehmen wird. Ich tröste mich da ich es aus rein guter Absicht thue und mit der größten Aufopferung

Liebste Jette wie wird dir doch sein wenn du Alexander wieder siehst? Du wirst ihn verschönt finden noch dazu. Als er kam und ich ihn fragte was er nun dächte wegen der Zukunft, ob er sich geprüft hätte? sagte er nur O ich kann das sehr gut, vollkommen. Gar nicht als ob es ihm schwer wäre, gar nicht bedenklich so daß ein Anderer es für obenhin hätte halten können mir aber schien recht tiefe und feste Wahrheit drin zu sein, und ich will und kann keinen Zweifel in ihn sezen. Ueberhaupt hat er sich auch hier ganz seiner würdig genommen; nicht zerknirscht, oder Spuren von Betrübniß, still und, wie mir schien getroffen hat er es aufgenommen als ich ihm was eigentlich sein Unrecht sei vorgehalten, gegen mich war er sehr bald ganz unbefangen. Ich habe ihm auch mein und Dein Unrecht dargelegt; ich habe ihm gesagt in Dir hätte sich der leidenschaftliche Zustand zuerst entwikelt, auch das hat er stillschweigend bejaht. Auf Deinem Sofa haben wir es abgesprochen. Ich möchte nur wissen wie ich ihm in der ganzen Sache vorkomme, ob er mich auch recht und gründlich versteht; ich hoffe es, es wäre sehr schlimm wenn es nicht wäre. Nun sein Brief an Dich wird das wol besagen. – Wo schläfst Du nur geliebte Seele? Ach sei nur in keiner so kalten Nacht unterwegens.

Zitierhinweis

3925: An Henriette (Jette) Schleiermacher. Berlin, Donnerstag, 24.6.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007731 (Stand: 26.7.2022)

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