B. d 15t. Dienstag Abend.

Aufs wunderbarste liebste Jette werde ich immer in meinen Plänen für Deine Rükkunft gestört, und immer wieder aufs neue gespannt und auf vielfältige Art wunderlich bewegt. Ich hatte mir nun ausgesezt über den ursprünglichen Text geschriebenausgerechnet noch einmal durch Roeder an Dich zu schreiben (denn mit der Post glaube ich nicht daß ein Brief ankommt) und dich mit seinem Rath und Hülfe flott zu machen. Nun steht hier in der einen Zeitung der russische Kaiser sei in Kalisch also ist sehr möglich Wolkonsky auch da und Roeder auch, und es ist damit wieder vorbei. Dann höre ich eben diesen Abend von Schede daß Buttmann nach Breslau reisen will um seine Frau von da zu holen. Es wäre sehr schön wenn Du Dich an ihn anschließen könntest, er wird den sicheren Weg auf dem rechten Oderufer gehn, und du hast dann doch einen Mann in der Nähe; aber wie soll ich es machen um es Dir zu wissen zu thun? – Dann ist Scheibler hier gewesen, hat Schede's besuchen wollen da er sie aber in der Stadt nicht gefunden hat er gesagt, er würde sie wol nicht sehen können, denn er sei nur auf kurze Zeit hier. Bei mir scheint es nicht als ob er sich hätte sehen lassen. – Endlich ist Czernischef diesen Abend erwartet worden, wie leicht kann Alexander mit sein! wie leicht kann er es vielleicht nicht gut haben vermeiden können! Was wird er thun? Ich muß Dir gestehen liebes Herz das sezt mich in große Spannung. Ach ich gestehe Dir wenn er sich nicht stark genug fühlt sich so wie es möglich ist an uns anzuschließen so fürchte ich auch daß er der Gewalt der Leidenschaft wieder unterliegen kann und daß es ein tragisches Ende nimmt! O Gott! Wenn er mit Czernischef nach dem Hauptquartier geht und er erfährt daß Du nur wenige Meilen von ihm bist, und er sollte nicht widerstehen können Dich zu sehen! Nein, ich will es nicht fürchten und Gott verhindere es! Ach Jette ich könnte mich anklagen daß mir solche Gedanken kommen wenn ich an seinen Brief denke; aber | 37v ich spreche mich auch wieder los denn wie wenig hat er sich doch in dieser ganzen Sache gekannt, und wie wenig sich in seiner Gewalt gehabt, wie heftig ist er in seiner Leidenschaft und wie leicht kann sein böser Geist sich seiner bemächtigen. Gott möge ihn leiten daß er nicht s über den ursprünglichen Text geschriebenetwas seiner unwürdiges und uns Allen verderbliches begingen über den ursprünglichen Text geschriebenbeginge Könnte er annehmen und festhalten was ich ihm so freundlich angeboten habe! oder wenn nicht wenigstens fest in der Ergebung bleiben die sein Brief ausspricht – Thue ich Dir weh? Ach das möchte ich gar nicht, aber ich will Dir auch solche Besorgniß nicht verschweigen. Hältst Du es für unmöglich bei völliger Klarheit deines Bewußtseins, so wird schon das mich sehr beruhigen. Gute Nacht meine süße einzige Dir und den Kindern. Es war ein hübscher Abend mit Schedes und Loders, Richter kam auch mit, Schedens blieben noch etwas länger und erzählten von einer Explication die sie mit Wilhelminen gehabt Gott wie schreklich ohne alle natürliche Liebe ist das Mädchen!

Mittwoch Mittag Zuerst was mich und dich am meisten interessirt. Dies über den ursprünglichen Text geschriebenDiesen Vormittag erscheint Scheibler bei mir, meine erste Frage ist nach Alexander, Alexander ist hier, seit Vorgestern. Scheibler sagt mir er habe mich schon zweimal besuchen wollen mich aber nicht gefunden. Es bleibt möglich daß er das Scheiblern nur so gesagt hat; daran dachte ich aber im Augenblik nicht, sondern in der Freude daß ihm so war daß er kommen wollte bat ich Scheibler ihm zu sagen er möchte doch so bald als möglich kommen und bezeichnete ihm die Stunden wo er mich gewiß draußen findet. Nun will er nicht so wird er auch so nicht kommen. Möglich ist aber gerad superwordindeß doch daß Gestern und Vorgestern grade niemand in der Stadt im Hause gewesen ist. Nun thut mir nur leid daß Du nicht leicht noch in diesem Briefe | 38 etwas näheres darüber erfahren kannst denn der soll heute fort. Hedemann der mit seinem Prinzen gekommen ist begegnet mir eben im Begriff zu uns zu kommen und sagt mir daß Bötticher Morgen ins russische Hauptquartier geht. Der soll den Brief mitnehmen und von dort auf die Post besorgen, ich will ihn nemlich an Roeder einschließen denn Hedemann weiß daß der dort ist. – Es ärgert mich daß ich mich durch den Waffenstillstand habe verführen lassen zwei ordentliche Briefe der Post anzuvertrauen die Du nun gewiß nicht bekommst. In dem einen war die Assignation auf 50 r; ich will mir Mühe geben heute noch eine secunda zu bekommen und die dann einlegen. Mit Buttmanns Reise sieht es noch weitläuftig aus. Er weiß noch nicht wann er reist und will einige Wochen in Breslau bleiben, auch nur vielleicht die Frau zurükbringen. Aber da nun von Schmiedeberg nach Breslau offenbar die Post gehn muß so schreibe doch an Gass oder laß aber auch zugleich (weil vielleicht die Regierung nicht dort sein könnte) jemand anders an einen sichern Freund schreiben und sichere Nachrichten einziehn wie man von dort aus auf dem jenseitigen Oderufer am nächsten über Züllichau (denn Crossen möchte auch nicht mehr sicher sein) reiset, ob ein PostCours eingerichtet ist und oder ob man, was doch auch sonst besser wäre, einen Fuhrmann bis wenigstens Züllichau haben kann und für welchen Preis. Autorfußnote (mit Einfügungszeichen am unteren Rand, mit Einfügungszeichen auf den unteren Rand von Bl. 37v überlaufend)Oder reise nur gleich nach Breslau, wenn es anders von den Franzosen wie der Waffenstillstand besagt geräumt ist. Du erfährst dort gewiß alles mit minderem Zeitaufwand als wenn du erst schreibst. Außer Gass und vielleicht auch Raumer ist ja Heindorf noch da. Außer diesen kannst du dich auch noch an einen alten Bekannten den Oberlandesgerichtsrath Wenzel wenden. – Das Duplicat der Assignation liegt bei. Es gilt nur für den Fall wenn das erste Exemplar nicht angekommen ist. Adieu. Deine baldige glükliche Rükkunft ist der Gegenstand meiner sehnlichsten Wünsche. Wie gern reiste ich selbst Dich zu holen aber es wäre unvernünftig und würde doch nur länger aufhalten da ich erst Urlaub suchen müßte. Wenn Du mit den 50 r die Du hoffentlich nun bekommen wirst auslangst desto besser, wo nicht so denke ich kannst Du dir wol in Schmiedeberg einen kleinen Credit bei Friedchen oder Waeber machen die ja bei der ersten ofnen Gelegenheit auf mich ziehen können. Kannst | 38v Du Päss russische Pässe oder dergleichen brauchen, so wird Roeder sie dir hoffentlich besorgen; stößt Dir sonst noch eine Schwierigkeit auf so schreibe nur an ihn, ich seze Dir der Sicherheit wegen noch einmal seine Adresse hieher „Major von Roeder Königlich Preußischer Adjutant bei dem Russisch Kaiserlichen Generallieutenant Fürsten Wolkowski im Hauptquartier Sr. Majestät des Kaisers von Rußland.“ Lerne in Breslau die Steffens kennen wenn sie da ist, die Nothwendigkeit Dir einen Fuhrmann zu schaffen wird Dich doch nöthigen ein Paar Tage da zu bleiben, genieße die auch nur soviel Du kannst, frage gleich nach Gass der dir am besten dazu helfen  korr. v. Hg. aus: kannstkann, er wohnt auf der Sandgasse nicht weit vom Thore sieh ja die alten Kirchen, vornemlich Elisabeth und den Dom, du möchtest doch sobald nicht nach Breslau kommen. Ist eine ordinäre fahrende Post auf dem rechten Oderufer eingerichtet so würde ich Dir lieber rathen wieder so zu reisen, gieb aber Acht daß man Dir die Kinder nicht für zu viele Personen anrechnet, und gieb nicht zu übertriebene Trinkgelder etwa wie bei Extrapost; ich vermuthe aus der großen Dankbarkeit und Freundlichkeit der Postdiener daß Du das auf dem Hinwege gethan hast. Nimmst Du einen Fuhrmann so laß dir ja durch Gass oder durch Aulock(?) irgend einen Freund [...] [...] einen Bekannten und sichern Mann zuweisen von dem Du eine Art von Schuz hast. Nun liebes Herz es möchte sobald nicht wieder eine so sichere Gelegenheit kommen, ich wünsche oft recht sehnlich daß dieser Brief baldmöglichst in deine Hände komme und daß es Dir gelingen möge Deine Rükreise ganz nach meinem Wunsch auszug über den ursprünglichen Text geschriebenauszuführen. Bis dahin spaziert denn auf eurem neutralen Territorio recht sorgenfrei herum und genießt die Tage wenn sie so schön sind als hier. Auf Alexanders Besuch bin ich gar nicht gespannt sondern sehr ruhig und heiter denn wenn er wirklich kommen will ist alles wie ich es wünsche. Scheibler schien zu wissen daß Du nicht hier bist denn er fragte gar nicht nach Dir, ich

Zitierhinweis

3916: An Henriette (Jette) Schleiermacher. Berlin, Dienstag, 15.6. bis Mittwoch, 16.6.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007728 (Stand: 26.7.2022)

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