Sonnabend d 22t. Abends

Ungeheure Freude liebste Jette habe ich an Deinem Briefe gehabt, den ich wieder empfing kurz nachdem der meinige auf die Post gegeben war, so große Freude daß ich darüber die Parole versäumt habe worüber ich nun Gewissensbisse empfinde. Nun schriebe ich Dir gern noch recht viel aber ich kann nicht. Ich habe Besuch gehabt erst kamen Sack und Pischon, dann Twesten dann Dreist dann Schede und zulezt noch Wilhelmine. Karoline hatte auch kommen wollen war aber wegen Kopfweh am Thore umgedreht. Nun habe ich noch an meine Predigt zu denken die keinesweges in Ordnung ist – und keine sonderliche Stimmung wird sein weder heute dran zu denken noch Morgen sie zu halten. Diesen Mittag ist ein Courier angekommen mit der Nachricht von dem glüklichen Gefecht am 19ten. Dieser ist aber abgegangen vom Schlachtfelde während eines allgemeinen Gefechts am 20ten wo wir damals sollen überall im Vortheil gewesen sein, nun ist aber jedermann gespannt auf die Nachricht von der lezten Entscheidung. Diesen Zustand sollte man den Menschen doch ersparen denn sie haben keine Kraft dazu; es wird ja unser einem sogar schwer. – Du Arme hast gewiß viel mehr ausgestanden als du dir merken läßt und es ist wol nur deine Bravheit die Dich so zufrieden mit der Reise macht. Desto mehr | 15v muß ich Dich loben und lieben, und glaube nur daß ich es auch recht anerkenne wie auf Dich zu rechnen ist, meine starke heldenmüthige Frau – So so bin ich unterdeß in Ordnung gekommen mit der Predigt und will Dir nun gute Nacht sagen. Ich sollte sehr bewegt sein, aber wegen der zu erwartenden Entscheidung; ich bin es nicht, Deine Ueberzeugung ist zu fest in mir daß diese Sache nicht an Einem Tage hängt. Eine gänzliche Deroute der Unsrigen erwarte ich nicht da sie einmal im Vortheil sind, der Geist der Truppen so herrlich ist und die Führung von oben doch einen besonnenen Charakter hat. Eben so wenig erwarte ich daß Bonaparte gänzlich geschlagen wird, dazu ist er zu geschikt und zu kräftig. Selbst die Entscheidung unseres baldigen Wiedersehns scheint mir mehr von andren Begebenheiten abzuhängen. Irgend anderwärts, von Oestreich aus oder von der Niederelbe muß etwas kommen was ihn bewegt so weit zurükzugehn daß wir hier wieder sicher werden – Könnt ich doch dem Brief Flügel geben der Dir die Sorge wegen des Briefes und Allem abnimmt. Daß er nicht schreibt laß Dich nicht irren, er wird ja ewig verschikt und Du weißt ja wie er sich frei und ungeplakt fühlen muß um ordentlich zu schreiben. Er weiß daß wir durch Voss die Ankunft des Briefes wissen und das ist ihm vor der Hand genug.   Schlafe mir nun recht sanft und schön.

Montag Vormittag, in der Stadt. Gestern bin ich ganz darum gekommen Dir zu schreiben. Ich hatte schöne Zeit dazu nach Tische in der Stadt; allein ich hatte dies Blatt nicht mitgenommen und wollte pedanti- scherweise nicht ein zweites Blatt anfangen, da | 16 habe ich dann die Zeit benuzt um an Luise zu schreiben. Gegen Abend konnte ich nur ein kurzes Weilchen draußen sein; war marode mit etwas Magenkrampf behaftet mußte zaubern und las dabei deinen Brief wieder. Dann ging ich mit ziemlich starkem Magenkrampf zu Reimer, er nemlich war hier, ist aber diese Nacht schon wieder nach Potsdam wo Eichhorn war und Bardeleben der zum ArtillerieCommandanten von Spandau ernannt ist, und Scheel, der nun natürlich jenseit der Elbe nichts mehr administriren kann aber zu Bülow gehn will und Arndt der wieder hier ist und Bothmer der von Hamburg gekommen ist und auch wieder zu Wallmoden geht. Ich habe ihm aufgetragen sich um Alexander zu bekümmern und ihn zum Schreiben zu ermahnen. Sehr lebendig bin ich nicht gewesen theils war ich angegriffen vom Magenkrampf, theils hatten mir schon den ganzen Tag alle Gebrechen an denen die Führung der großen Sache laborirt sehr stark im Sinne gelegen und diese Stimmung wurde dort noch sehr erhöht. Ich kam erst gegen Mitternacht gar marode nach Hause und konnte nur unmittelbar schlafen gehn. Meine Predigt würde Dir vielleicht von vorne herein auch etwas künstlich vorgekommen sein wie damals; sie war eine Charakteristik des Petrus auf die gegenwärtigen Umstände angewendet und hatte einen begeisterten und gewiß sehr guten Schluß der die Ermahnung enthielt sich recht der Schwachen anzunehmen, und ihnen Muth und Glauben einzuflößen. Viele Lücken merkte ich allerdings unter den Zuhörern, und die Oede in Deinem Stuhl, nur Pischon war darin und Eine Hökerin(?), brachte mir Thränen in die Augen. Ich freue mich recht liebes Herz daß du es in diesem Stük besser hast als ich, Du hast die Kinder, hast ein sehr ausgefülltes Leben, und fremde angenehm zerstreuende Umgebungen. Deine Sehnsucht nach mir kann nicht leicht den Charakter annehmen den die mei | 16vnige oft hat. Und nun will ich Dir gleich noch Eines gestehen eine Schwachheit muß ich Dir klagen. Sieh in der Entfernung verdunkelt sich mir oft superwordbisweilen auf Augenblike das Bild Deiner herzlichen und so ganz neu verschönten Anhänglichkeit an mich  über der Zeile⎡etwas und ich fühle dagegen lebhafter den Stachel davon was ein Anderer Dir ist. Du kannst ja gewiß sein daß ich das nicht aufkommen lasse. Aber du mußt mir helfen, Du mußt mir recht viel schreiben und besonders mich Deine Sorge um Alexander Dein zärtliches Andenken an ihn recht theilen lassen, das wird mir immer die beste und sicherste Haltung geben. Du verstehst das gewiß recht mein süßes Herz wie es in mir ist. Schreibe ihm nur auch bald. Du siehst es kommt doch alles richtig an wenngleich spät, und es kann mir hier jezt an sichern Gelegenheiten gar nicht fehlen – ganz neu verschönten Anhänglichkeit an mich  über der Zeile⎡etwas und ich fühle dagegen lebhafter den Stachel davon was ein Anderer Dir ist. Du kannst ja gewiß sein daß ich das nicht aufkommen lasse. Aber du mußt mir helfen, Du mußt mir recht viel schreiben und besonders mich Deine Sorge um Alexander Dein zärtliches Andenken an ihn recht theilen lassen, das wird mir immer die beste und sicherste Haltung geben. Du verstehst das gewiß recht mein süßes Herz wie es in mir ist. Schreibe ihm nur auch bald. Du siehst es kommt doch alles richtig an wenngleich spät, und es kann mir hier jezt an sichern Gelegenheiten gar nicht fehlen^#. –

Von Hirschberg aus flüchtet man wie mir Savigny erzählt hat. Laß Dich das nicht irren bleibe ruhig wo du bist. Sollte es aber so weit kommen daß in dortiger Gegend der Landsturm aufgeboten würde dann mache daß Du in das nächste böhmische Städtchen kommst. Viel kann im Gebirge nicht vorfallen, die Thäler sind leicht zu vertheidigen und der Feind kann keinen Grund haben sich in denselben halten zu wollen. Wird also diese Maaßregel je nöthig so denke ich kann es nur auf ganz kurze Zeit sein. Ich gebe Dir weiter keine Vorschriften für andere besondere Fälle sondern verlasse mich ganz auf Dich und Karl. – Die deutsche Legion soll nun endlich nahe an der Oder stehen und Stülpnagel wird schon auf den Freitag hier erwartet. Da wird man ja wol auch bald von Friz und Helvetius etwas hören. Mir ist schon der Wunsch durch den Kopf gegangen daß die Legion mich zu etwas möchte brauchen können; ich ginge gerne mit. – Wilhelm und Eugen Röder sind beide nach der Schlacht vom 2ten Major geworden   ersterer hat auch den russischen AnnenOrden bekommen, lezterer aber ist in Gefahr ein Auge an den Folgen eines Schusses zu verlieren. Mauderode ist endlich auch bei der Armee. Carl Sack hat ihn einmal ganz unerwartet auf einer Feldwacht gefunden.

Abends. Ich kann doch meinen Tag hier draußen nicht beschließen ohne wenigstens noch ein Paar Worte mit Dir geplaudert zu haben. Liebe, denke dir nur was ich Dir oben geschrieben habe nicht schlimmer und laß es Dich nicht traurig machen. Ich habe es nur hingeschrieben zur Steuer der vollen Offenheit die | 17 ich Dir gelobt habe, und alle Worte sind zu grob und hart. Im tiefsten Grunde habe ich immer die volle Sicherheit und Ruhe die ich diese ganze Zeit gehabt habe, und nie verliere ich den Standpunkt auf dem wir gewiß fürs Leben fest stehn. Alles andere sind mir oberflächliche Bewegungen eines Augenbliks, und auch diese sind nur Wirkungen der Sehnsucht nach dir, nach dem schönen klaren Eindruk den mir Deine Gegenwart immer macht. – Nun liebes Herz wollte ich Dich noch auf einige Lücken in Deinem Briefe aufmerksam machen die Du mir nächstens ergänzen mußt. Du schreibst mir kein einziges besonderes Wort über Lieschen wie sie sich betragen hat und wie sie sich befindet. Ich mache daraus wol den guten Schluß daß ihr Unwohlsein in den lezten Tagen dir auf der Reise keine Sorge gemacht hat aber Du mußt mich auch darüber vollkommen beruhigen daß Du mir gewiß alles schreibst was den Kindern zustößt. Unnüze Angst werde ich mir schon nicht machen denn ihr habt ja Neygenfind da auf den ich viel Vertrauen seze. – Vom Wetter hast Du mir auch kein Wort gesagt. Ich war oft in Sorgen um Euch der kalten Nächte wegen; überhaupt wenn es dort nach Verhältniß eben so kalt ist so müßt ihr einheizen. Wenn aber das Wetter schön ist liebe so genieß es auch und sei nicht zu peinlich mit den Geschäften. Laß Dir keine hübsche Parthie die Ihr zu Fuß abmachen könnt und die Du noch nicht kennst oder die Dir aus alter Bekanntschaft lieb ist entgehn, und spende auch gern Dir einige Thaler dran um die Hauptgebirgsparthien  über der Zeilezu wiederholen theils Christels wegen, theils wäre es doch auch für euch sündlich. Karl giebt vielleicht manche Abänderungen an die Hand wodurch Ihr auch noch an neues kommt. – Mit dem Reisewagen ist es freilich vor der Hand gar nichts schon deshalb weil die Lotterie abgesagt ist; aber ich kann den Gedanken, wenn die Sachen gut gehn Euch irgendwie abzuholen doch noch nicht fahren lassen; ich hege mich damit auf die angenehmste Weise. Wenn die Sachen gut gehn! Leider habe ich zu den nächsten Ereignissen wenig Vertrauen und lege mich immer mit der Sorge zu Bette daß am | 17v andern Tage ein Unglüksbote kommt. Man trug sich heute wieder mit günstigen Nachrichten ohne allen Grund, desto mehr schaudert mich immer. Mit der östreichischen Allianz muß es doch irgend einen Haken haben weil man gar nichts förmlich darüber bekannt macht, da man doch wissen muß wie sehr dies den Muth und die Stimmung heben müßte. Mit der Entfernung der Staatsdiener, das ist so so. Niemand kennt den königlichen Befehl ganz bestimt. Auf jeden Fall ging er zunächst nur die Departmentschefs an, und da hat denn jeder gemacht wie er wollte, der eine seine Räthe mitgenommen, der andere sie sizen lassen, und wenn die Räthe keinen Befehl bekamen haben sie auch gemacht wie sie wollten. Man verdenkt es aber denen gar sehr die ohne ganz bestimmten Befehl und ohne daß es in ihrem Beruf von selbst lag gegangen sind. So auch dem guten La Roche, denn andere seiner Collegen sind hiergeblieben so auch Albertin über den ursprünglichen Text geschriebenAlberti und vielen. Von unserem Departement ist bis jezt keiner gereiset als Nicolovius den Schuckmann in die andere Provinz geschikt hat und Ancillon der wahrscheinlich wohl zum Kronprinzen gegangen ist. Hoffentlich werden die offenbar feigherzigen sowol die Königlichen Diener als auch die Bürger – denn auch viele reiche Privatleute sind fort, besonders sagt man fast alle reiche Juden – ihrer gerechten Strafe nicht entgehen. Die kleine Spinne(?) ist auch sehr voreilig davon gegangen. Sie hat ihrer Frau Gemahlin erklärt sie müßte gehn, könnte aber nicht ohne sie, die Gemahlin hat wieder erklärt sie könnte nicht ohne Pine, Pine wieder sie könnte nicht ohne Albert und Adolf und so sind sie alle abgeschwirt(?). – Richter ist glüklich wieder gesund geworden, aber D. Flemming wird wahrscheinlich sterben am Lazarethfieber, im Ganzen aber lassen die Krankheiten sehr nach. Reil ist auch Hauptmann beim Landsturm, und wie es scheint ziemlich eifrig; wenn es nur lange dauert. Rühs hat das Fieber und der Correspondent den ihm Göschen übertragen hatte muß sich nun wahrscheinlich allein | 18 schreiben und war die lezten Male ziemlich schlecht. Reimer hat mich gebeten, ich solle mich seiner doch etwas annehmen, aber ich sehe auch die Möglichkeit dazu nicht recht ein.   Und nun liebstes Weib muß ich Dir gute Nacht sagen. Ach es ist ein melancholisches Schlafen da oben in dem Sarge! ohne Dich und die Kinder. – Morgen geht wahrscheinlich viel leeres Papier mit auf die Post denn den Vormittag habe ich mit dem Landsturm zu thun, Mittags esse ich bei Schedes und da wird wol keine Zeit zum Schreiben übrig sein. Harscher hat sich seit jenem Abend nicht wieder sehen lassen, sich aber doch wie mir Schedes sagten meiner guten Behandlung gerühmt. Ob er wol an Nanny geschrieben hat?

Dienstag.   Da haben wir nun die Nachricht von zwei mörderischen Schlachttagen die wieder wie es scheint für das Ganze keine bedeutende Entscheidung gebracht haben. Nach einem officiellen Brief vom Thiele haben wir auf der einen Seite mehr gesiegt als sie auf der andern, nur hat er durch seine dreisteren Manövres wieder das Terrain gewonnen. Ich bitte Dich nur liebes Herz laß dich nicht ansehn von solchen Menschen die alles zu ängstlich ansehn deren es gewiß auch dort in Menge giebt beunruhigen. Es ist jezt doch alles darauf zu wetten daß man den Kopf nicht verliert, und wenn das nur ist so muß in die Länge alles gut gehn. Die Schweden werden nun bald anfangen ernsthaft zu operiren und dadurch werden große deutsche Massen frei und in Bewegung gesezt werden. Gott wird gewiß weiter helfen. Details weiß ich noch gar nicht am wenigsten etwas von einzelnen Menschen. Morgen fahre ich dann mit Eichhorn Scheel und Arndt nach Spandau wohin Reimer auch kommt und | 18v wo wir uns dann von Bardeleben alles wollen zeigen lassen. Alles wol nicht; denn da man schon wieder arbeitet um die Festung herzustellen so wird nicht alles mehr zu sehn sein. Vielleicht schreibe ich Dir einiges darüber da Du es ganz versäumt hast. Nun lebe wohl mein liebes süßes Herz, schreibe mir ja so viel und oft Du irgend kannst. Denke daß es der beste Theil meines Lebens ist. Herze und grüße mir alle Kinder recht innig. Jette und Friede frage doch ob sie noch wissen wozu ich sie ermahnt habe vor der Reise, und Elsbeth erzähle von mir und erhalte mein Andenken bei ihr. Mit Trudchen ist das nun unmöglich und meine erste Bekanntschaft mit ihr geht rein verloren

Hier mache ich nun den Brief zu bei Schedes. Alle grüßen recht herzlich. Herrmann ist jezt unter Reils Mitaufsicht und scheint auf gutem Wege zu sein. Harscher läßt sich dort auch fast gar nicht sehen, und scheint überhaupt nicht zu wissen was er mit sich machen soll. Die arme Nanny. Grüße sie und Christelchen recht herzlich, und hilf doch lezterer möglichst etwas genießen. Schedens grüßen sehr. Die arme Karoline hat Kopfweh.   Morgen hoffe ich zuversichtlich auf einen Brief. Du mußt mir wenigstens zweimal wöchentlich schreiben

Ganz
Dein treuer

Zitierhinweis

3879: An Henriette (Jette) Schleiermacher. Berlin, Sonnabend, 22.5. bis Dienstag, 25.5.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007717 (Stand: 26.7.2022)

Download

Dieses Dokument als TEI-XML herunterladen.