Dienstag 18t. Abends

Bestes Weib was für eine unerwartete Freude hat mir Dein Zettelchen aus Crossen gemacht. Ich fand es heute gegen Abend in der Stadt und im halbdunkel erkannte ich an der Aufschrift Deine Hand nicht, sondern erst als ich es erbrach. Gott sei Dank der Euch so weit glüklich geholfen hat. Aber daß Du immer auf der ordinären Post bleibst also um soviel langsamer fährst und nicht einmal eine Nacht ausruhen kannst wahrscheinlich ohne einmal dabei zu sparen das thut mir leid. Wenn Du nun nur nicht grade in Sagan den unglüklichen Einfall bekommst zu ruhen. Diese Angst kann ich gar nicht los werden! – Von einem Zurüktreten Oestreichs weiß man hier nichts (nur Sachsen soll sich bestimmt für Frankreich erklärt haben) vielmehr heißt es einmal übers andere die Allianz sei gewiß; aber öffentlich bekannt gemacht wird nichts davon, und eher freilich glaube ich nicht daran. Es liegt gewiß an selbstsüchtigen Negoziationen, welche sie noch fortsezen. Was unsere Lage hier in Berlin betrift so vergeht mir die Lust schon dich mit allen Gerüchten | 9v zu unterhalten die fast stündlich wechseln. Bald soll etwas vortheilhaftes vorgefallen sein, bald etwas nachtheiliges bald soll ein Corps sich weggezogen haben bald ein anderes im Anmarsch sein. Ich freue mich nur wenn der Abend gekommen ist und ich ruhig heraus wandern kann, wo mich jedesmal die Nachtigall begrüßt wo mir heimlich zu Muthe ist – denn das Haus in der Stadt ist mir in diesem Zustande recht im innersten zuwider – und wo ich so still und ungestört bei Dir sein kann. Indeß am Tage treibt es mich doch immer hinein weil es immer etwas zu thun geben kann bei der Schuzdeputation, und ich auch noch nicht ganz vollkommen marschfertig bin. Ich habe mich deshalb gegen Savigny und Eichhorn erboten ihnen auf dem Ausschuß zu helfen und werde damit vielleicht Morgen schon den Anfang machen. Aus dem Studiren kann doch nicht eher etwas werden bis die nächste Krisis vorüber ist. Meine Collegia lese ich indeß fort, aber ich glaube daß ich der einzige bin. In diesem schwankenden Zustande liebstes Weib halte Dich nur daran: je eher wir hier von den Franzosen überfallen werden um desto weniger darfst du für mein | 10 Leben besorgen weil man dann die Stadt nicht wird vertheidigen wollen; je später sie kommen desto besser werden wir gerüstet sein. In dem ersten Falle wäre nur das einzige zu besorgen daß vielleicht die Umstände so sein könnten daß es unmöglich für uns wäre unsere Retirade nach Schlesien zu nehmen, sondern wir sie nach Pommern nehmen müßten. Das wäre äußerst hart, weil wir dann auf eine nicht zu berechnende Zeit könnten getrennt werden. Dies ist für jezt meine einzige Sorge; sie drükt mich freilich schwer aber wie leicht kann sie ganz vergeblich sein

Die Kinderfrau hat mir heute Abend mit Thränen erzählt, es wäre ihr heute besonders trübe gewesen, sie hätte immer im [...](?) über den ursprünglichen Text geschriebenGeist Trudchen hier herumlaufen sehn. Ach Gott wenn wir lange getrennt bleiben: so vergessen die kleinen Würmer mich ganz! Das ist recht hart. Ich werde anfangen wie Luise zu bitten, daß Du ihnen bisweilen von mir erzählst. Von Luise ist ein Brief an Nanny da; ich halte ihn vielleicht einen Posttag zurük in der guten Absicht ihr selbst einiges dav über den ursprünglichen Text geschriebendaraus zu beantworten aber freilich kann ich nicht dafür stehen ob es wirklich geschieht. Ich will Dir noch ehe ich Dir gute Nacht sage meinen Entschluß sagen für | 10v den Fall daß wir von hier nach Pommern ziehn müßten und es zu gefährlich wäre sich nach Schlesien durchzuschleichen. Ich würde dann zu Dohna nach Preußen gehn, der würde mich vielleicht irgendwie brauchen daß ich nicht ganz auf der Bärenhaut läge, dort würde ich fürs erste das weitere abwarten aber doch nichts so sehr im Sinne haben als mich bald möglichst auf eine oder die andere Weise mit Euch zu vereinigen. Liebes Herz es ist mir doch fast gewiß, daß ich in allen Fällen, die Confusion müßte zu groß werden, ganz besonnen und möglichst geschikt handeln werde. Aber fahre nur fort dies Dein Hauptgebet für mich sein zu lassen wie es auch das meinige ist. Ich freue mich des guten Muthes mit dem Du reisest. Gott bewahre Dich ferner mit all dem lieben Volk. Tag und Stunde war auf Deinem Crossenschen Zettel nicht bemerkt das hat mir leid gethan. Von unserm Jüngling habe ich noch nichts weiter gehört. Die unglükliche Geschichte des Majors hat heute Alberthal auf eine solche Art erzählt, daß der Major vollkommen recht gethan hat, wie er denn auch sein Commando ganz ungestört fortsezt. Nun gute Nacht mein liebstes Leben. Wüßte ich Dich nur nicht in kühler Nacht auf ofnem Postwagen oder gar in Sagan auf verrätherischen Betten. Gott halte seine gnädige Hand über Euch. | 11

Donnerstag Mittag. Hier habe ich nun eine Anweisung glüklich von Fetschow bekommen. Sie ist eigentlich erst den 26ten zu haben; du kannst sie ihm aber doch gleich präsentiren vielleicht zahlt er sie Dir auch gleich. Ich wollte du gingest selbst zu ihm; vielleicht giebt es dir Gelegenheit ein vernünftiges Wort mit dem alten Herrn der doch eigentlich gut ist über Karl zu reden. – Findet Sophie Träger: so kommen heute Nannys Secretär den ich draußen gar nicht brauche denn ich schreibe nur an diesem Tisch des Bücherspind und die Betten herein, ohnerachtet man heute wieder sagt es sei gar nichts zu besorgen, und abermals den Tag wissen will wo die Oestreicher in Sachsen einrüken werden. Einen Brief von Hanne Steffens habe ich bekommen, welche sehr bittet Nanny sollte bei ihr wohnen und nicht bei Gass was auch bedenklich wäre weil Gassens den 24ten aufs Land ziehen wollten; sie bittet sehr dringend. Von der Reise ihrer Schwestern wußte sie eben so wenig als von der eurigen als sie aber den Brief siegeln wollte ist die Herz in die Stube getreten, und sie schließt nun mit dem Wunsch daß auch Du doch kommen möchtest. Von ihrem Manne hatte sie Nachrichten vom 13ten wo er recht wohl war und man eine neue Schlacht erwartete, es ist aber wol dieselbe die man noch immer erwartet. Die Reimer hat mir ein Zettelchen geschrieben daß er noch Acht Tage gewiß in Potsdam bleibt und Morgen | 11v herüber kommen will. Schedens sind noch hier und reisen gewiß nur im äußersten Nothfall. Ich esse diesen Mittag dort. Ich hoffe nun wieder wenn es ruhig bleibt viel mehr draußen zu sein und arbeiten zu können da die Schuzdeputation nun so weit in Ordnung ist daß es weniger zu laufen und zu deliberiren giebt. Hätte ich nun nur erst bald Nachricht von eurer glüklichen Ankunft und wüßte daß auch das kleine Volk die Strapazen der Reise glüklich überstanden hat. Schreibe mir doch auch wie sich Christelchen hält und was für einen Eindruk euch superwordrihr das Gebirge macht oder laß sie mir selbst bald etwas strichen. Und sobald Ihr Euch erholt habt und das Wetter schön ist macht eine Koppen und eine WasserfallParthie damit Ihr das gewiß habt wenn vielleicht das gute Glük wollte, daß Ihr bald zurükkommen könnt. Ach liebste einzige Jette! es thäte mir recht Noth daß das geschähe, ich kann es recht kommen sehn wenn nicht ganz große Begebenheiten mich herausreißen wie ich dumpf und leer werde, und wie allerlei böse Geister anfangen mich zu plagen. Noch ist es alles nur Ahndung; noch bin ich völlig frisch

Das gab noch eine große Noth mit dem Koffer sie ist aber glüklich beendigt. Ich wünsche nun daß alles glüklich ankomme. Eben finde ich einen Brief von der Voss. Unsre Briefe vom 13ten April sind nun bei Alexander angekommen. Gott sei Dank. Mein lezter Brief wäre nun überflüßig gewesen, thut mir aber doch nicht leid. Die Voss will übrigens wissen daß die Schweden nicht kommen. Noch glaube ich es nicht.

Grüße alles und herze die Kinder.
Ganz und ewig Dein.

Zitierhinweis

3873: An Henriette (Jette) Schleiermacher. Berlin, Dienstag, 18.5. bis Donnerstag, 20.5.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007716 (Stand: 26.7.2022)

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