Freitag d 27t. Sept.

Liebste Frau Du klagst so wemüthig und still über die Kleinheit meines Briefes daß es mich recht innig gerührt hat. Aber es wird doch nicht anders möglich sein auf dieser Reise da ich zu gar keiner Ruhe komme. Es ist aber nicht das kurze allein sondern ich fühle es recht lebendig wie trokken Dir meine Briefe vorkommen müssen. Das ist nun mein Unglük wenn ich so verbuschelt bin, daß nichts aus mir heraus kommt wenn ich auch alles unverrükt und rein in mir trage. Denke dir nur daß ich das müde Haupt an Deine liebe Brust lehne und daß bald alles besser sein wird.

Was Du von Dir und den Kindern sagst liebste Jette, daran ist wol etwas, aber es ist doch gar nicht so wie du es machst, und es hängt auch gar nicht so zusammen wie du meinst. Das Ganze ist nur ein vorübergehender Zustand, und verloren ist nichts. Du und die Kinder mußten eine lange und schwere Schule machen um erst Festigkeit und Gewöhnung an Festigkeit in das Leben zu bringen, was in Deinen früheren Verhältnissen rein unmöglich gewesen war. Dem Mann ist es natürlich über diesen Punkt alles andere hintanzusezen und diesen stren | 4vgen Ton habe ich angegeben. Es ist auch natürlich daß in diesem Bestreben der Ernst gewaltig hervortritt und das zärtliche Wesen eben so sehr zurük. Nun scheint mir aber auch die Sache gethan zu sein, und grade der Zeitpunkt wo die Kinder anfangen auch mit andern Menschen in ein Verhältniß des Gehorsams zu treten, derjenige zu sein welcher von selbst und ohne daß wir etwas ausdrükliches dazu thun allmählig eine Wandlung hervorbringen wird. Das Mutterherz ist den Kindern noch niemals entfremdet gewesen und die Liebe nicht erkaltet. Meine liebste Jette solche Unnatur kann nicht in unserm Sein und Wirken stekken. Ja sogar ich habe das feste Gefühl in mir daß die Kinder mich innig und herzlich lieben, und nichts kann mich darin irre machen. Ich glaube beinahe daß sie mich jezt gar nicht mehr vermissen, wie Du denn auch nichts davon schreibst, und daß Du Dir manche Mühe giebst mein Andenken in ihnen lebendig zu erhalten; aber demohnerachtet ist die Liebe gar fest in ihnen und wird immer schöner heraustreten. Habe Du nur denselben Glauben, er wird dich nicht trügen, und laß dir nur über den äußern Geschäften und Sorgen und | 5 über irgend vorübergehenden Stimmungen nicht die köstlichen Augenblike entgehn wo Du es recht lebendig schauen kannst. Und wie kannst du nur sagen daß Du ungeliebt bist. Wie weh es mir thut daß Nanny sich nicht mehr zu Dir gezogen fühlt und daß Luise dir nicht mehr zusagt, das weißt Du aber denkst Du nicht an die Herz, nicht an Lotte Pistorius, nicht an meine ehrliche Lotte, und kannst Du Dir wirklich einbilden daß Lotte Kathen nur durch pflichtmäßige oder unwillkührliche Treue an Dich gefesselt ist. Nein liebstes Herz da hast Du einmal schwarz gesehn – aber es ist mir recht lieb daß Du mir auch aus dieser Stimmung heraus geschrieben hast.

Ich hoffte heute zwei Briefe von Dir zu bekommen, einen grade hieher und einen aus Schmideberg nachgeschikt. Der leztere hat sich aber nicht eingestellt und wahrscheinlich hast Du einen Posttag überschlagen. Vom Unterricht der Kinder schreibst Du mir nichts weiter, ich denke mir also alles in dem neuen schönen Gang ruhig fort. Deine Nachricht von Nusselchen ist mir auch wenig befriedigend; Du sagst nicht ob sich das Zahnen durch Unwohlsein ankündigt | 5v indeß ängstigt es mich gar nicht. Sehr lebendig erhältst Du mir aber das Bild des lieben Kindes. Schade daß es mich doch ganz muß vergessen haben ehe ich zurükkehre

Vorgestern Abend überfielen uns Heindorfs beim Thee und blieben und der Abend machte sich sehr heiter. Gestern Morgen ließ ich mich überreden auf den Sontag in der reformirten Kirche in deren Nähe ich meine ersten Tage verlebt habe, zu predigen – ich wußte nicht es abzuschlagen wiewol ich nicht begreife wie es unter diesem Tumult gut ablaufen soll. Nachmittags machte ich einen sehr ausführlichen Besuch beim Präsident Merkel, einem der herrlichsten Menschen die es hier giebt. Wir waren bis nach 7 Uhr im Garten so köstlich warm war der Abend. Indeß seit heute endlich fängt es an zu regnen worauf das ganze Land sich schon lange gefreut hat. Heute Vormittag habe ich erst eine alte Freundin meiner seligen Mutter und hernach einen alten Schulkameraden besucht. Mittags war eine kleine Gesellschaft bei Gass; hernach war ich in der UniversitätsCommission und dann zum Thee bei Schulzens. – Morgen Mittag soll ein Pikenik auf dem Lande sein mit einigen Bekannten und Unbekannten; dann will ich noch einmal zu Merkel (der heute auch Friedensnachrichten gek über den ursprünglichen Text geschriebenerhalten hat) und werde deshalb wol einen Brief vor Tische schliessen müssen, und nun will ich Dir die schönste gute Nacht wünschen und mich zu Bette legen

Zitierhinweis

3692: An Henriette (Jette) Schleiermacher. Breslau, Freitag, 27.9. bis Sonnabend, 28.9.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007711 (Stand: 26.7.2022)

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