Der / Frau Professorin Schleiermacher / geb von Mühlenfels / zu / Berlin / Kanonirstraße No 4. [Rückseite des zweiten Blatts]

Hirschberg d. 20t. Sonnabends

Deinen Brief erhielt ich Gestern früh in dem Augenblik wo wir ausfahren wollten; ich sah nur flüchtig hinein wie alles stände und las ihn erst ordentlich am Kochelfall und dankte Gott mit Thränen liebstes Weib daß ich dich habe. Wie sollte ich mir nur einbilden können daß ich dich leicht missen könnte! Das Leben was ich jezt führe kommt mir gewaltig leer vor ohnerachtet ich weiß daß ich einen edlen Zwek verfolge und ohnerachtet diese Tage reich gewesen sind an schönen Genüssen. Aber das liebste auch in diesen war mir immer die Erinnerung an die Zeit, wo ich mich mit dir an diesen Schönheiten erquikte. Und nicht nur hierbei sondern immer denke ich Dein und der lieben Kinder und des kleinen Hauses. Es ist mir wie ein lichter Punkt in einer schönen Landschaft von der Sonne beschienen hinter der aber ein gewaltiges Gewitter sich bildet. Einschlagen wird es wol nicht aber Verwüstungen wird es einher anrichten und die schöne heitere Abendbeleuchtung ist erst zu erwarten wenn es vorübergezogen ist. – Es ist die Wirkung der schönen Umgebungen, daß meine Gedanken so pittoresk heraus gekommen sind. Ich habe das Beste von unsrer schlesischen Reise Vorgestern und Gestern wiederholt. Vorgestern fuhr waren wir auf der Koppe. Das Wetter war schön aber wir sahen nur den Vordergrund und Mittelgrund des schönen Gemäldes, der Hintergrund war durch Dünste verdekt. Gestern fuhren wir über Stohnsdorf und Warmbrunn nach Schreiberhau, gingen zum Zaken und Kochelfall und fuhren nur bis hieher zurük um heute nach Greifenberg zu fahren wo ich Luise in die Hände des Majors der von seinem | ältesten Sohne begleitet schon da war weil ich ihm von Görliz aus geschrieben hatte, übergeben habe. Jezt eben ist Frize wieder nach Hause gefahren (Karl war schon heute früh von hier aus zurük gegangen) und ich bleibe über Nacht hier, weil ich mich schon früher auf Morgen Mittag hier versagt hatte, um einige interessante Bekanntschaften zu machen. Das ist die kurze Erzählung von den vergangenen Tagen. Es wäre Dir gewiß interessanter etwas von der Zukunft zu hören. Allein ich weiß Dir wenig davon zu sagen, und am wenigsten etwas tröstliches. Denn ich mag rechnen wie ich will wenn ich alle meine Sachen in Ordnung bringen will komme ich nicht eher als den 28ten nach Breslau; da muß ich 3 auch vielleicht Vier Tage bleiben[.] Dann muß ich mich vielleicht einen Tag in Liegniz aufhalten dann einige Stunden wenigstens in Bunzlau (denn der Major der von der größten Herzlichkeit war hat mich zu sehr gehalten; und es ist auch da ich einmal doch nach Liegniz muß gar nicht aus dem Wege) und so fürchte ich daß ich nicht vor dem 8ten oder 9ten ankommen werde. Jeder Tag den ich einfördern kann soll mir Gewinn sein; aber ich zweifle daß es möglich sein wird; denn ich mache alle mögliche Oekonomie mit der Zeit. Das einzige wäre gewesen wenn ich Luisen hätte die Gebirgstouren mit den Geschwistern allein machen lassen aber das kam mir zu hart vor, und ich hätte dann auch schwerlich verhindern können daß Karl die Kosten davon getragen hätte. Nun besehe ich mir jede Stunde aber ich bringe doch keine andre Rechnung heraus. Ich wollte ich könnte wie bei einem förmlichen Concurs alle Leute, mit denen ich zu thun habe zusammen citiren; dann würde mir gewiß alles gelingen weil ich es als eine Art von Predigt abmachen könnte, aber das geht nun einmal nicht. also über den ursprünglichen Text geschriebenDoch genug hievon.

Wie mich alles freut was Du mir schreibst kann ich nicht sagen. Ich hatte eigentlich bezweifelt daß Elisabeth mich suchen würde und freue mich desto mehr darüber. Aber vergessen muß sie mich nothwendig haben | ehe ich zurükkomme, und so ist diese Reise in unserm Verhältniß wie eine Wunde die zwar sehr leicht heilt aber doch nie ganz vernarbt. Ihr Bewußtsein von mir ist unterbrochen und es muß eben ein ganz neues angehn. Ach was mag in dieser Hinsicht über das arme verborgene Würmchen beschlossen sein. Doch wir wollen nur muthig und heiter der Zukunft entgegensehn. Du hat ja so recht darin: wahre Zerstörung kann sie uns nicht bringen. Auch von Gott kann uns die nicht kommen – wenn du die durch den Tod ausnimmst, die ja immer gleich nahe ist und gleich fern – und der Teufel hat ja kein Recht an uns. Ich hätte Dir noch gar viel zu sagen liebstes Weib aber die Post drängt mich also auf nächstens; vielleicht noch ehe ich einen zweiten Brief von Dir habe. Es freut mich gar sehr daß Du Schneidern wieder hast, daß es mit den Kindern in so schöner Ordnung ist und gut geht, und daß auch die Freunde sich Deiner annehmen. Sei nur auch nicht zu ängstlich mit dem Golde. Ich habe heute in Greifenberg ein halb Schot Leinwand für 9 r Courant für Dich gekauft, Frize hat es ausgesucht. Für mich werde ich jezt nichts kaufen glaube ich; die Ausgabe wäre zu groß.

Adieu mein Herz ich umarme Dich auf das allerinnigste.

Dein ewig treuer Ernst.

Dienstag denke ich von hier nach Gnadenfrei zu unserer Lotte zu gehn, von da nach Glaz und so nach Breslau. Von Reimer habe ich bis jezt nichts gehört.

Zitierhinweis

3686: An Henriette (Jette) Schleiermacher. Hirschberg, Sonnabend, 21.9.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007707 (Stand: 26.7.2022)

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