Wenn ich Dir sage mein Lieber daß ich mir schon Vorwürfe gemacht, daß ich auf deinen liebevollen Brief noch nicht geantwortet so wirst Du wohl glauben daß über jene Täuschung nichts stöhrendes in mir – – aber, daß es mir sehr weh gethan, kan ich nicht leugnen – auch war ich nicht eher wieder unbefangen bis ich am 1ten Aprill Vormittags Deinen Brief erhielt – Bloks besonders, sie – wunderten sich auch sehr – – wie die vortrefliche Gräfin, welche eben zu mir schikte – als ich mich anzog um mir ihren freundschaftlichen Seegen zu holen – ich habe einige köstliche Stunden bey ihr solo gehabt – von Mademoiselle Schock Schwester der Generalin Kassel – bekam ich einen treflichen Brief und einige Arien aus dem Tode Jesu – – die ich weiland zu Hause gespielt hatte – – Der Führer des kleinen Häufleins der Societät – ich gieng den Abend in die Stunde gab mir in einem biederen Handschlag und kräftigen Worten seine Theilnahme zu fühlen – von meinem lieben Gnadenfrey erhielt ich nichts – eben so wenig von Schmiedeberg – – leider weiß ich gar nichts von diesen lieben Men schen – ich habe 2 mahl sehr ausführlich von hier aus geschrieben – recht im Innersten geht es mir nahe des biedern Karls wie ich ihn nenne Schrift züge und lakonischen Styl nicht mehr zu sehen.   Wie ich übrigens den 31 verlebt solst Du gleich hören; im voraus bitte um Geduld wegen der lan gen Epistel – – – – – | 8v Früh war ich ein Stündchen ganz allein – – nach 7 uhr versamleten sich alle Kinder um mich her; recht nach GemeinArt hatte ich sie zum Frühstük geladen – so auch die Leute im Hause (denen ich zu Weinachten nichts gegeben und die doch viel Plakerey wegen meiner Schwächlichkeit haben[)] bewirtet, versteht sich nicht in meinem Zimmer – ich wolte daß sich Alle freuen und fröhlich sein solten und so war es auch – die Block ließ mir sagen ich solte nicht eher ausgehen bis sie mich besucht – – gegen 10 wurden die Kinder herunter gerufen – in einer Weile erschienen Vater und Mutter mit ihnen – – jedes hatte ein Geschenk für die alte Lotte – Alle waren freundlich und Bloks recht bewegt – Er sagte einige Worte mit tiefer Rührung und ich war erstaunt über ihre Güte und seine Aufmerksamkeit. Er brachte mir eine recht hübsche Taße – sie einen ver goldeten Löffel dazu – – Egmond ein schönes Feuerzeug nebst WachsStok – die Andern eine The Kanne – zierliches Fläschchen mit rum – und ein sehr hübsches Glas – – und im Nahmen des Jaskys die Kinder eine recht fein genähte Haube – – um 11 gieng ich zur Gräfin – – welches von unserer jezigen Wohnung wo ich sehr geräumig und bequem bin eine ziemliche Wanderung – – bey Tische erschien eine Brodt Tante – – welche mir ein langes Leben wünschte. | 9 Der OberstLeutnant hatte Cardinal gemacht – – und Alle tranken mir zu! Gott, wie fröhlich wären wir gewesen wenn die bevorstehende Trenung vom HausVater nicht den Jubel sehr gedämpft hätte – – wir waren nachher im Garten – – dan gieng ich in die Versamlung und Abends – war ich mit den Kindern allein – da ich ihnen durch Ver lesung kleiner Erzählungen Freude machte – – vor dem Schlafengehen empfahl ich uns Alle in einem kurzen Gebet der fernern Leitung meines unsichtbahren Freundes – der durch seine große Barmherzigkeit mich in diesen Tagen überschwänglich getröstet – –.

Heute da ich diese Epistel weiter fortseze, ist der 5te Aprill da wir vor 33 Jahren in Gnadenfrey ankamen mit der schönen TagesLoosung – ich habe den Herrn allezeit vor Augen: und bey dem ersten Besuch bey der alten treuen Pflegerin – als sie uns mit der selgen Mutter zum Kaffe bat – – zog sie mir den tröstlichen Spruch: Welche Ihn ansehen und anlaufen derer Angesicht soll nicht zu Schanden werden – – O wieviel und bey hundert fachen Gelegenheiten hat der mitleidige HohePriester nicht diese Worte an mir verherrlichet – – wenn | 9v ich es nur fühlte – daß ich Ihn aus den Augen verlohren seine grundlose Liebe verschmäht – ach Er ist unbe schreiblich gnädig gegen mich armes schlechtes – aber O der großen Gna de – durch Ihn versöhnt – an Ihn verwöhntes Kind! – mein ganzes Wesen ist so durchdrungen von Gottes VaterHuld und Treue – daß ich nicht umhin konte – auch es gegen Dich mein Guter zu äußern –!   Nun mein Bester – noch etwas das äußre betreffend – – Deine gute Jette soll mir ja nichts schenken – – ich bin ohnehin in Eurer Schuld – – es wird sich aber alles finden – – nur Geduld!!! wenn Ihr Beide mir den Ankauf des seidnen Zeuges als das lezte Geschenk nehmlich den zum Pelz – anrechnen wollet – – dis nehme ich mit dem größten Dank an – –   Alles was Nany aus gelegt – wird folgen – – aber nicht augenbliklich – – da ich hier Niemand schuldig bleibe – die reparatur Kosten für die Uhr – – die Louis d’or – nichts wird vergeßen – – und wäre schon darauf zurükgelegt wenn nicht mein GeburtsTag und dann leider meine Uhr wieder zu Schanden – nicht 8 Tage gieng sie – – die Feder war entzwey – und ich habe 2 Thr courant – bezahlt – – wenn sie nicht bald in Stand komt werde ich ungeduldig – – und doch brauche ich sie wegen den Stunden | 8

Den Abend vor meinem GeburtsTage als ich eben die Kinder zu Bett gebracht hatte erhob sich eine prächtige Jarnitscharen Musik – die imer näher kam – und endlich in des OberstLeutnants Zimmer eindrang – sie brachten ihm ein Ständchen wegen des Sieges – mich ergriff es sonderbar – ich glaubte er sey Oberst geworden – er will es aber nicht Wort haben.

Den 1ten Aprill war herrliches Wetter – die ganze Familie fuhr mit noch einer Andern nach dem neuen palais mich nahmen sie auf meine Bitte zur Mademoiselle Schock mit wo ich bis gegen Abend sehr vergnügt war.

Den 2ten war es wieder sehr heiß – nach 4 uhr wanderte [ich] mit meinen Kleinen nach dem neuen Garten [wo] wir alle LieblingsPläze be suchten und eine Menge [Men]schen auch Bekante fanden – – endlich begegneten wir auch den Eltern die von einer andern Seite hingefahren waren – große Freude! angenehmes nach Hause gehen! Den 3ten großes litum wegen dem Ausmarsch – der Oberst fuhr gestern Nachmittag mit Roeder nach Berlin – er wird noch zurük erwartet. Nun mein Lieber ist es Zeit zu endigen. Gott erbarme sich über uns Alle – ja über die ganze Welt – Er weiß am besten warum Er das Ungeheuer wieder in Thätigkeit gesezt – oder es doch zugelaßen hat daß es wieder herscht – ach wer

Zitierhinweis

4131: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Potsdam, vor dem 5.4. bis nach dem 5.4.1815, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007697 (Stand: 26.7.2022)

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