Liebste Lotte habe ich Dir wirklich nicht geschrieben seit wir uns an meinem Geburtstage gesehen haben? ich habe es wirklich gedacht; allein Du mußt es wol besser wissen als ich. Mir ist wirklich viel zu Gute zu halten; ich stecke in Arbeit und Verdrießlichkeiten bis über die Ohren, leider kann ich gar nicht sagen, daß das neue Jahr sich auf eine gesegnete Weise angefangen hat; ich bin in einem Abquälen, und doch kommt vor lauter Kleinigkeiten nichts ordentliches zu Stande. Jette hat auch jezt sehr viel zu thun, da Ehrenfried seit Neujahr nicht mehr zu Plamanns geht sondern mit Jette im Hause unterrichtet wird; sie ist immer dabei prä parirt und repetirt und kommt sehr wenig dazu sich selbst ein halbes Stündchen zu leben. Daß Nanny den Auftrag Dir vor Weihnachten zu schreiben so kurz und schlecht ausgerichtet hat, ist sehr zu tadeln; aber sie ist eben wol auch durch Harschers Anwesenheit im Hause, die aber Gott sei Dank wol bald aufhören wird, auf eine merkwürdige Art ange griffen und zerstreut. Kurz es thut sehr Noth liebste Lotte daß Du bald einmal selbst kommst um den Faden wieder anzuknüpfen, und ich denke da es über | 7v Zwei Monate her ist daß Du auf so ganz kurze Zeit hier warst kannst Du es wol bald einmal bewerkstelligen.

Dein Weihnachtsabend hat mich auch in Absicht auf dich gefreut, du hast doch offenbar gesehn daß man Werth auf Dich legt. Warum aber hast Du davon nicht geschrieben daß die Freude der Kinder so kurz gedauert hat und unglüklicher weise ihr schönes Service gleich zerschlagen wurde? Die Schmalz die gestern bei uns war hat uns das erzählt.

Daß Du den Antrag zu Dohnas ablehnen würdest hatte ich wol ge fürchtet, und von vielen Seiten ist auch nichts dagegen zu sagen; ich hatte aber doch geglaubt, es sollte Dir etwas schwerer werden als der Fall gewesen zu sein scheint. Mich kann es recht jammern daß es nicht geht; ich hätte gar zu gern die Verbindung  über der Zeile ⎡mit der herrlichen Familie auf diese Weise erneuert gesehen.

Auf ausführliche Erzählungen von uns kann ich mich nicht einlassen. Gesund ist im Grunde alles, nur daß Jette sich ihr Nasenbluten noch nicht ganz abgewöhnen kann und daß Lotte Hochwächter wirklich sehr krän kelt. Ich bin ganz wohl bis auf eine schlimme Nase die mich aber etwas in Verlegenheit sezt weil ich Morgen in einer öffentlichen Sizung der Aka demie eine Vorlesung halten soll und es doch nicht füglich | 8 mit der be pflasterten Nase thun kann. Die Kinder sind Gott sei Dank alle frisch.

Ich habe nur einen flüchtigen Augenblik vor zu Bette gehn wahrge nommen, damit du einmal wieder etwas von uns hören möchtest.

Komme nur ja recht bald einmal dann wird auch das Schreiben wieder in Zug kommen. Wenn nicht eher so solltest Du Dich doch zu Nannys Geburtstag einrichten; aber dann auch ein Paar Tage bleiben sonst habe ich gar nichts davon, weil ich mitten in der Woche wirklich fast nur die Theestunden und das Mittagessen frei habe. Die Voss haben wir recht lange nicht gesehen ihr Mann ist hier, und das mag wol zum Theil die Ursache sein. Eugen Röder wird Dir wol wenn er Dich anders gesehen hat, erzählt haben, daß wir einmal zusammen da gewesen sind. Die Rö ders waren damals aber nur Abend bei uns aber seitdem haben wir auch Niemand von ihnen wieder gesehn.

Alles im Hause würde herzlich grüßen wenn Jemand wüßte daß ich schreibe

Nun lebe herzlich wol meine gute alte und bitte Gott daß er uns etwas mehr Ruhe schenken möge.

Dein alter treuer Bruder F. Schl.

B. d 23t. Jan. 15.

Zitierhinweis

4107: An Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Berlin, Montag, 23.1.1815 , ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007675 (Stand: 26.7.2022)

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