Potsdam d 9 Octbr 1814

Guten Morgen mein lieber einziger alter Friz! Ohngeachtet ich noch keine Zeile von Dir hierher bekomen – so werde ich doch des schreibens an Dich nicht müde, so wenig wie des Hoffens daß doch endlich ein paar Zeilen herzlicher Liebe voll an die alte Lotte aus der Feder fließen werden – ich sage einige – denn wenn du schon vor 15 Jahren mich in deinen Bogen langen Episteln versichertest du hättest alle Briefe Predigten und Philoso phie mehr in Dir – und sie kommen dann doch diese Briefe voll Salz und Würze wie meine seelige Freundin Zimmermann sagte – so kan ich wohl mit Recht – jezt von dem ernsten GeschäftsMann – und doch zärtlichen Hausvater und Bruder auf einige Zeilen Anspruch machen – um so mehr da ich ja so genügsam bin – – ich habe seit meiner lezten schriftlichen | 17v Unterhaltung mit Dir – noch vieles recht liebliche in jenen Heiligthümern gefunden – die ich so bald ich komme Deinem lieben Weibe noch einmahl zum Durchlesen bringen will – dafür aber – habe ich das Zutrauen zu Jette – sie wird mir etwas von Deinen Briefen an sie – hier in meiner Einsamkeit erlauben einen doppelten Gewinn habe ich dabey – erstlich die Freude – in Deinem Innern – zu lesen – Du lieber schweigsamer Mensch – – und dann sind dergleichen Unterhaltungen geistvoller genußvoller – als sonst zer streuende Bücher die ich mir wirklich anschaffen – – wenn meine Herschaften oft abwesend sind – also wäre es eine große Ersparniß – da das lesen Monatlich 8 gr kostet – – Woltest Du denn mein Lieber – mir auch die Briefe der alten Jette anvertrauen – da ich die Deinigen wie ich Dir gesagt zu meiner großen Freude | 18 gelesen habe – – bitte – bitte – suche mir doch – das Paquet zurecht – – Ihr werdet doch wohl bis zum 23ten dieses in der Stadt sein – – bitte – bitte laßt mich das wißen, Ihr habt nun Zeit vorher noch an mich zu schreiben – – – ich komme zum GemeinAbendmahl – – und will den Abend hernach mit Euch verleben – seid Ihr aber noch draußen – dann bleibe ich über Nacht bey der Garven – und komme erst zur Predigt. – Wahrscheinlich, werde ich wenn sie zur Hochzeit reisen mit fahren und sie werden mich bey Euch absezen, weil sie die 3 Kinder mitnehmen, nur die Kleine 2jährige hier laßen – aber jene Zeit trift weder Predigt noch Abendmahl bey Dir oder der BrüderGemei ne. | 18v Seit meiner lezten Epistel war ich schon 2mahl bey der Gräfin – einmahl allein während die Kinder anderwärts mit den Eltern waren – welches sie gar sehr freundlich aufnahm, daß ich diese freie Stunden ihr schenken wolte – sie lud mich gleich ein, nach einigen Tagen mit den Kindern zu komen – welchen sie Geselschaft an den Eulertschen und an dern verschafte – – die Frau ist wirklich ganz treflich – warhaft religioes – und doch auch inerlich gebildet – eine liebliche Auswahl – Frauen habe ich dort gefunden – – die Alle sehr gütig gegen mich waren – – unter denen Frau von Niesemeischel mir vorzüglich gefält. Diese Woche haben wir einige Abende recht lieblich verbracht: d.h. der Oberst aß zu Hause – man sprach mancherley | 4 Er war herzlich aber auch ernst mit den Kindern – ließ sich nach Tische von der Ältesten vor spielen – bestimt immer selbst die Stüke – unterdeß sizt er mit der Frau auf dem Sopha – oder auch allein auf dem, seinen, – – nach dem MittagsEßen gieng er mit den Kindern herun ter, schaukelte sie selbst – kurz er ist ganz liebenswürdiger HausVater wenn Du nur nicht denkst – daß ich mich verliebe – Nein, so ist es nicht – ich freue mich nur die Leutchens so recht bürgerlich glüklich zu sehen – ich sehe dich schon wieder lachen – es ist ein alter Ausdruk den Du wohl früher auch hattest – – ich weiß nicht ob ich es schon geschrieben – glaube aber nicht, daß der | 4v Oberst mich vor einigen Tagen recht angelegentlich gefragt – ob mir es in seinem Hause gefiele – er vertraute mir seine Kinder ohne Bedenken – – und verließe sich auf meine Grundsäze und Ordnungs liebe die den Geist der Gemeine bezeichneten – er wolle nun mit dem Lehrer die Änderung machen daß er nur schreiben – rechnen behielt – ein Andrer lehrt sie zeichnen und noch ein Dritter Musik – – ohngeachtet mich das Schweigen von Gnadenfrey in eine angenehme Spannung sezt – habe ich doch mein Ja von mir gegeben – und glaube nicht zu vorschnell gehandelt zu haben – – es geht mir wirklich recht wohl in allem Betracht – da sie aber noch 4 über der Zeile3 Lehrer halten müßen – und alle diese Stunden theuer bezahlt werden – mir übrigens so viel Liebe und Aufmerksamkeit ge schenkt wird habe ich nicht das Herz mehr als 100 Thr | 5 zu fordern – mit ihm der mich fragte konte ich gar nicht reden – und bat es zu laßen bis Frl Forestier komt – sie drang sehr in mich – und ich habe ihr weiter keinen Bescheid gesagt als unter 100 Thl nähme hier Niemand eine condition ann – und da sie von meinen kleinen Talenten erst in der Folge sich überzeugen könten wolten wir es dabey laßen – sie war sehr freundlich – und meinte es würde ihrem Mann gewiß so recht sein – Wenn ich hier zu demütig ge handelt – ist es freilich mein Schade, aber nach meiner inern Ueberzeu gung konte ich nicht anders – – wenn ich auch das erste Jahr mancherley brauche – – was bedeutend ist so wird doch nachmals ein Stillestand in Anschaffung großer Stüke sein – – | 5v ich habe gestern mit der Post an meine gute Pritviz geschrieben von der ich seit einem halben Jahre nichts weiß und ihr die ganze Geschichte gemeldet.

Diesen Vormittag gehe ich in die französische Kirche Chadowsky, hat hier viel Lob – – und da ich noch keine Predigt in dieser Sprache gehört bin ich begierig wie mir das gefallen wird. Habe die Güte, theile diese Epistel der Herz mit so bald Du Gelegenheit hast damit sie sich meines mir wirklich recht angenehmen Seyns hier im Hause überzeuge – denn was ich nicht mit der Frau sprechen kann – das genieße ich in der Un terhaltung mit Andern, und lebe recht wohl und heiter – und ziehe bald nach der Stadt, daß Du nicht elend wirst und gieb mir baldigst Nachricht, über das Wann! und schreibe bald

Deiner alten Lotte

Zitierhinweis

4078: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Potsdam, Sonntag, 9.10.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007668 (Stand: 26.7.2022)

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