Eine ganz unerwartete Erscheinung war mir Dein lieber Brief, und der Anblik des Geldes machte auf mich, in meinem gichtischen LeidensZustande eine tiefe Erschütterung – – den innigsten Dank sagt Dir mein ganzes, ich, um so mehr da ich für das angegangne Vierteljahr mir nichts erwartet habe – –! ich will dir ehrlich gestehen – daß ich die 15 Thr welche Du mir durch Nany schiktest – als Du nach Ruegen abgereist warst – für ein halbes Jahr gerechnet – da ich dich bey Gelegenheit der conditionen bat – mir bey Vermehrung deiner Familie lieber weniger Unterstüzung zu geben – ich theilte das Geld – hätte aber doch aller Erbärmlichkeit und Genügsamkeit ungeachtet nur bis in die Mitte Februar gelangt – nur das unentbehrlichste zu bezahlen – denn zu Weinachten konte ich nicht alles berichtigen – – werde es nun aber nachholen – – bey meiner Art zu leben – wäre ich | 7v gewiß ausgekomen – wenn ich nicht (ich sehe Dich hier lachen) eben seit Michaely 8 Stunden die Woche weniger habe – – ein großer Defect! aber für meinen Kopf der die vielen Anstrengungen gar nicht mehr verträgt sehr gut; ich habe jezt nur 12 Stunden und der Pohlnischen Gräfin ihre 3 – wofür ich 6 gr bekome – verliehre ich auf Ostern – da sie wenn Unruhen es nicht verhindern abgeholt wird.

Für Deine Nachrichten den herzlichsten Dank – Seit du mir Anfang August geschrieben – habe ich gar nichts gehört – auch nicht von einer Nichte die Ihr aus Ruegen mitgebracht habet – wahrscheinlich eine Tochter von der Kathen –! Der guten Nany Gesundheit hat also wirklich wie ich es befürchtete gelitten sehr lieb wäre es mir wenn sie den Weg über Gnadenfrey nähme – und hier über Nacht bliebe – damit wir Uns recht ausplaudern könten – wenn sie nicht körperlich zu schwach ist diese Reise jezt zu unternehmen. | 8

Im August fieng ich an Nanys Epistel zu beantworten – wie die Inlage zeiget – nachher – da unsre alte Pflegerin so schleunig und wunderbar ihren Abruf erhielt – dieses mancherley zur Folge hatte – und – jene Anfragen von W(?) wiederholt wurden – verlohr ich alle Schreibseeligkeit – im November schrieb ich an Dein gutes Weib – recht aus der Fülle meines Herzens und bat sie Dir den Inhalt mitzutheilen – welches hoffentlich geschehen ist – bey Gelegenheit der Weinachtsfreude habe ich viel an Euch Alle gedacht – war aber nicht im Stande zu schreiben. In diesem Jahr hatte ich wenig gesunde Stunden wie schon erwähnt – Gichtschmerzen und Schwäche wechselten ab – so daß ich oft muthlos werden wolte Autorfußnote (vom linken auf den unteren Rand und den linken Rand von Bl. 8v überlaufend)d.h. sie spaziert seit mehreren Jahren – im Körper herum! Diesesmahl hatte dis Reißen in den Knochen der Kinladen sich so hartnäkig gesezt – daß es mich lange am ordentlichen Eßen hinderte – nur Suppe konte ich genießen – auch das reden fiel mir sehr schwer habe aber gar nichts – als Wärme – und Hollunder und dergleichen angewendet. | 8v

Gdfr d 9t Febr

Meine Sehnsucht Alle meine Lieben wieder zu sehn auch ganz besonders die Kinder wächst mit jedem Tage – um so mehr – da ich öfters Gelegenheit habe, in meiner Stube solche Kleinen zu sehn – die sie von ihren Bekanten sich hohlen. – Das Frühjahr wird wohl wegen dem politischen entscheiden – unterdeßen hoffe ich stark – entweder – daß Ihr Alle Ihr Guten mich dieses Jahr besucht – oder daß Du mein lieber Freund und Wohlthäter die alte Lotte selbst zu Euch abholst – sonst möchte es wohl – da dieses Jahr keine Schwestern weder nach Sachsen noch nach Berlin reisen – mit mir nichts werden – – über das leztere es sey im Früh- oder SpätJahr hoffe ich einige Wochen vorher was bestimtes von Dir zu erfahren. Gott segne Dich und Dein ganzes Haus, für alle Liebe und Treue die Du an mir beweisest. Dein gutes Weib und Eure Kinder drüke ich im Geist an mein liebend Herz – Dich umarme ich im Gefühl inniger Liebe und Dankbarkeit – Anders – von dem ich dir lezt schon sagte grüßt dich herzlich

Lotte

Zitierhinweis

3827: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Gnadenfrei, wohl Anfang Februar bis Dienstag, 9.2.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007655 (Stand: 26.7.2022)

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