Gnadfr d 12 Aprill 1812

Seit dem 31ten Merz an welchem Dir die treue Herz gewiß mein Brieflein eingehändigt hat – weist Du daß ich nun endlich seit 33 Jahren Breslau wiedergesehen 10 Tage bin ich dort gewesen da ich ganz unentgeldlich hin und her komen konte – durfte ich auf das sehr veränderliche Wetter keine Rüksicht nehmen – ich bin mehrentheils gefahren da Madame Adolph und eine Verwandte der Wunstern wo ich logirte mir wechselsweise den Wagen liehen. Ganz überschüttet von Liebe und Wohlwollen so vieler guter | 3v Menschen – Adolphs Muellendorf die am Gedächtniß überhaupt am Geist sehr verlohren – der alte Wunster – die edle Schmidt die wie ich dir schon oft geschrieben Dich inigst liebt und schäzt – diese und Freunde und Verwandten der beiden Schwestern – waren so der Kreis in welchem ich mich die treflichen Gass nicht zu vergeßen – täglich befand, auch war ich bey Buerde und Bertram welche Dich Beide herzlich grüßen. Deines Besuchs und Predigt wurde wie Du leicht denken kanst wo ich war sehr liebevoll und beifallend gedacht – auch bey Brassert wo durch ein ziemlich geübtes | 4 Orchester das Requiem und einige italienische Arien singen hörte – wie ich dort hin gekomen solst du gleich hören – durch die herrlichen Menschen Steffens und Raumers diese waren mit ihren lieblichen Frauen der Zuwachs neuer erhöhter FreudenGenüße die ich in Breslau (weil du mir nie was davon schriebst gar nicht ahndete[)] – – den 4ten Tag meines Dortseyns – las die Wunstern den Cathalogus der dort lesenden Professors – so bald ich jene Nahmen hörte fielen sie mir als Deine | 4v Freunde – und ihre Frauen als mir durch dich längst bekante Wesen auf – kaum hatte ich die gute Wunstern darauf aufmerksam gemacht – als sie des andern Tages mit mir hinfuhr – wie liebevoll ich dort aufgenomen wurde – Gott wie unter Menschen mich befand – die schon lange zusamen gehören. Des andern Tages aßen wir bey Steffens wo auch ihre Geschwister waren – denselben Abend – waren sie bey Uns – auch Brandes und den Tag vorher ehe ich bey Brassert war – hatten wir einen herrlichen Abend bey Raumers. | 36 Die lieblichen Frauen – sangen mir einiges von Novalis – Raumer spielte dazu –! Daß mann viel von Dir sprach darf ich dir nicht erst sagen – von Eurem Wesen in Halle – von Nanny daß ich alle 4 sehr liebgewonnen aber Steffens mir besonders merkwürdig – ist – Gott! möchten doch Alle die das System welches er im lesen darstelt sonderbar ja schädlich finden – ihn unter Bekanten sprechen hören – sie würden finden – daß er das einzig wahre, wenn nicht ergriffen denn wir jagen ihm alle nur nach – doch nur des beßeren Strebens werth achtet – – ich habe ihn bey mancher Freundin vertheidigt – die freilich alles nur vom hören hat – und kein | 36v Wir haben auch einmahl bey Gass einen herrlichen Abend gehabt – kamen vor 12 uhr nicht weg denn die Menschen hatten einen solchen Zauber in der Unterhaltung daß ich an keine Uhr dachte – unterdeß hatte es sehr geregnet – und das lange gehen in der Näße zog mir eine Heiserkeit zu – die meine ganze Reizbarkeit aufregte – doch hoffe ich bald damit zu Ende zu sein übrigens war ich noch 2 mahl mit den lieben Leuten in Geselschaft. Beide haben viele Feinde in Breslau weil Er anfänglich in Geselschaften zu laut gesprochen über das was ihm mißfält – doch die Verständigen verdenken ihm auch diesen frühen Eifer nicht. | 37 Gass und Steffens – haben mir versprochen – mich diesen Somer oder Herbst hier zu besuchen – worauf ich mich sehr freue –!

Dank! Herzlichen Dank für deine lieben Zeilen nebst Geld – kanst Du mir irgend etwas mehr als Geschenk – durch Gass damit es nicht porto macht zu komen laßen – so nehme ichs mit innigem Dank an nur daß Niemand von Euch darunter leidet! – Gott schenke Allen meinen lieben Berlinern – Gesundheit und innern Frieden – grüße Dein gutes Weib – und die Kleinen Alle mit dem | 37v Kuß der innigsten Liebe.

Meinen GeburtsTag habe ich ganz allein mit den Schwestern Wunstern und Schmidt verbracht – in Stein wo ich einen Tag ausruhte grüßen sie dich herzlich. Beide hatten in Breslau Geschäfte – nahmen mich mit – und haben mich gestern her geschikt – Deine Freunde in Breslau halten es für möglich Du köntest noch dis Jahr dort besuchen

Ob Du dis crusimuri wirst lesen können steht dahin – ich werde es aus guten Gründen an Nany adressiren – Steffens läst dir sagen er sey nicht gewohnt einige Briefe zu schreiben ehe Antwort komt

Lotte

Zitierhinweis

3774: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Gnadenfrei, Sonntag, 12.4.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007653 (Stand: 26.7.2022)

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