Gdfr 1811

Sieh, wir feiern Dein Fest! Wir freun Uns des schönen Tages – doppelt feierlich mir!!! So kan ich dir mein guter Einziger am Ende dieses festlichen Tages in Warheit zurufen –! In den MorgenStunden von 7–9 habe ich mit meinen Stubenschwestern in Beisein der guten Pflegerin gefrühstükt mich der Begebenheiten vor 29 Jahren im Rükblik auf unsre verewigten Eltern erinert – und im Hinblik auf Dich meinen Wohlthäter Dir zum Schluß unsres Gesanges zugerufen Laß ihm noch ferner tausend Guts zu stetem Wohlergehn usw. – Die gute Pflegerin zog Dir aus eignem Antrieb einen Vers – aus einem geschriebnen Buche – deßen sie sich bey dergleichen Gelegenheiten bedient – ich schreibe Dir ihn hier ab.

O möchte meinem lieben Herrn mein Gang zum Preise sein Denn Gott, der ja mein Licht und Stern möcht ich so gern erfreun O! wäre mir beim gehn und stehn der Jesus Sinn stets anzusehn | 12v ich bitte dich ach mach mich mehr zu deiner Freud und Ehr.

Alle Schwestern 10 an der Zahl – grüßen dich herzlich freuten sich Heute noch besonders Deiner Bekantschaft – so auch die Schilden und die trefliche Vorstehern welche Du nicht hast kennen lernen – diese Beiden habe ich zum erstenmahl so lange ich sie kenne – zum erstenmahl Gestern Nachmittag in der Schilden Stube zum Caffé gebeten – wir waren sehr traulich zusamen – die Boijol hätte ich dir gewünscht bei Deinem Zuge im SchwesternHaus kennen zu lernen – die Trefliche, ist viel zu wenig neugierig daß sie wäre zur Pflegerin oder Forrestier gekomen dich zu sehen! sie ist ganz das Gegenstük zur Schilden aber ihre sehr gute Freundin – wäre ich so mit von der ArbeiterZunft ich würde auch viel bei ihr sein – aber aus dem gemeinen Haufen heraus da muß man sich mit dergleichen Besuchen in acht nehmen sonst könen leicht Mißverständniße entstehenAutorfußnote (am linken Rand)⎡doch wenn ich etwas bey ihr zu thun haben kann – so weile ich um desto länger ­­ – wenn das Glük mir so wohl will sie allein zu finden daß man sich auf Unkosten der Schwestern unterhält – und dergleichen wiewohl die Trefliche keinen Mißbrauch dieser Art riecht(?) – über die meisten Sachen schweigt sie sich aus | 13 ja ja – darin hat l’incomparable (so nenen wir sie Elise und ich wenn wir von ihr sprechen) viel ähnliches mit Dir – aber die wenigen Worte die sie spricht sind ganz köstlich – in ihr ist der Stolz und die Demuth vereinigt – von welcher Du so schön sprichst.

Werden deine Kinder dich Heut besonders begrüst haben! Die 3 Jetten – jede in ihrer Art – werden sich deines Daseyns erfreut haben – ob wohl Louise noch bey Euch ist? was für Menschen werden sich diesen Abend zum The eingefunden haben dies alles möchte ich am liebsten Heute Abend noch wißen! Gott! wie lange werde ich noch warten müßen ehe ich von Euch etwas höre. Schlafe recht wohl, recht sanft! –

Nur einige Worte sagtest Du mir bey deinem Hierseyn daß ich mich wegen Bücher an Gasz wenden solte – aber nicht – ob er mir aus seinem Schatz etwas borgen wird – oder von Streit – mir schikken – ich habe ihm darüber geschrieben – aber mich freilich auf Dich berufen – daß Du schon mit ihm geredet – wenn er mir jezt | 13v durch die MarktBrüder nichts schikt – dann schreibe ich gleich wieder – sonst bekomme ich nichts mehr in diesem Jahre – welches mir doch gegen die Ergerungen sehr Noth thut – kürzlich fielen mir Seumes Werke mein Somer im Jahre 1805 – wieder ein – von welchem ich aber nichts erwähnt – ich bekomme ja zuweilen das Morgenblat in die Hände – worin ich allerley aufgezeichnete finde – den Gelehrten zwar nicht neu denn es ist das vorjährige – aber für mich seltene Erscheinungen – nehmlich Wanderungen der Phantasie in die Gebiete der Warheit – von der Verfaßerin des Walthers – und Herman von Una – Gräfin von Frondsberg sehr gut recensirt – ich lese gern etwas zur Zerstreuung – muß aber gut geschrieben sein nicht gradezu nur verliebtes Zeug – Liebe darf hervor schimern – verständige Liebe – – doch – ich lese dergleichen in solchen Augenblikken – von 12–1 wenn ich gegeßen habe oder vorm Abendeßen bis zur Stunde – auch wohl nachher – wenn ich keine vernünftige Unterhaltung habe – doch keinen ganzen Abend – imer muß etwas recht ordentliches voran oder nachfolgen

Zitierhinweis

3706: Von Charlotte (Lotte) Schleiermacher. Gnadenfrei, Donnerstag, 21.11.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007650 (Stand: 26.7.2022)

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