B. d. 13t. Febr 13

Ich benutze die erste sich mir darbietende sichere Gelegenheit Ihnen mein theurer Freund als Antwort auf Ihren mir durch G eingehändigten Brief mit kurzen Worten meine Ansicht des ZeitMoments mitzutheilen, und zwar insbesondere in so fern er sich auf unser unmittelbares Vaterland bezieht.

Gewiß haben Sie nicht erwartet daß es den neuen großen Ereignißen gelingen könnte die Denk und Sinnesweise des Königs umzuschaffen, sowohl er als der Staatskanzler ohne eigne lebendige Haltung werden nur durch den unmittelbarsten Anstoß bewegt. Jener wider Willen aus seiner Ruhe aufgescheucht sagt dem sich überall regenden Leben, übellaunigt zehnfache Prosa entgegen, während dieser leichter gemüthlich bewegt auch schwach genug ist dem beßeren keinen Widerstand zu leisten, was von allen Seiten auf ihn eindringt, und wenn er selbstthätig bildend einzugreifen scheint so geschieht es nur um uns die bisherige Inkonsequenz seiner Schwäche durch die Rükehr zum ersten System als Politik darzustellen. Unter diesen Umständen ist der alte Herr, deßen ich nur mit tiefer Ehrfurcht gedenken kann das einzige selbstthätige Prinzip, der mit unsäglicher Ausdauer, und der geschiktesten Benutzung alles gegebenen, die große Ansicht fest sicher und möglichst schnell | 3v verfolgt. Alles Gute alles zum Ziel fortschreitende verdanken wir der Anstrengung aller seiner Kräfte, wobey er sich als ein wahrer Märtyrer des Rechts gezeigt hat. Dabey darf es uns nicht wundern wenn demohnerachtet alle Maaßregeln nur nach und nach ja sogar stükweise zum Vorschein kommen. Jeder allgemeine Plan der vom größten nach dem besondersten hinabsteigt, scheitert allemahl an der Individualität des Königs, und nur wenn es ge- lingt den Geist vollständig zu verbergen, gestattet er die Form der Maaßregel, so wird alles ihm nach und nach abgedrungen und was auf diese Weise heraus kömmt, entspricht denn freylich nur wenig der Art und Weise wie begeisterte Menschen das Ganze dem Ideal nähern würden. Demohnerachtet ist es nicht zu ändern, und wahrhaft praktisch ist in diesem Augenblick nur das was auf irgend eine Weise dem König auch als Prosa dargestellt und so mit ihm in Beziehung gebracht werden kann. Daß alles was in diesem Sinne möglich ist geschieht[,] deßen seyn Sie gewiß, denn der alte Herr überfliegt jede Schranke seiner eignen Eigenthümlichkeit, als z.B. zu weit getriebene Vorsicht und dergleichen auf eine Weise die mich eben so überraschte als mich diese reine | 4 Liebe zur Sache aufs neue an ihn gekettet hat. Mehr aber kann nicht geschehn, und man muß sich daher ruhig darein finden, daß nicht das vollkommenste geschieht wenn nur überhaupt in der ersehnten Richtung gehandelt wird. Auch wir verschweigen es uns nicht daß jeder verlohrene Tag mit Blut wieder erkauft werden muß, daß durch einen mühseeligen und langwierigen Kampf erst zu Stande kommen dürfte, was man izt ohne alle Beschwerde mit großer Leichtigkeit erringen könnte, allein der Gedanke daß es überhaupt endlich einmahl einen Kampf für das Heyligste giebt, und der Anblik vieler Edlen denen es tiefer Ernst ist um die gerechte Sache und deren Eifern nur wächst durch das Widerstreben der Trägheit, die trösten uns, überheben uns der Klage um das Unvollkommene alles Menschlichen, und erfüllen uns mit der Zuversicht daß Gott will es solle durch uns beßer werden. Auf welche Weise? das wird sich offenbaren, wenn nur jeder an seinem Orte tüchtig das Seinige thut.

Die politische Physionomie ist izt hier fast lächerlich und der Krieg gegen Frankreich das öffentliche Geheimniß, so daß selbst St. Marsan gemeint hat | 4v er könne wenigstens das Geld für die Spione sparen. Alle Rüstungen werden eifrig und tüchtig betrieben auch unterläßt man nicht auf heimlichen Wegen dafür zu sorgen daß sich die hohlen Maaßregeln mit Leben füllen. Eine Erklärung dürfte wohl nicht eher erfolgen bevor die Rußen an der Oder und Alexander und Stein in Breßlau sind. Ersterer hat sich wiederhohlentlich auf das edelste gegen uns genommen und unsere Verhältniße zu ihm sind nun endlich auch durch K. der dazu abgesendet ist bestimmt worden. Oestreichs Unthätigkeit ist man gewiß. Unsere militairischen Maaßregeln werden immer tiefer eingreifen bis zur allgemeinen VolksBewaffnung. So viel vom Allgemeinen, nun noch einiges besondere wie es mir eben einfält. – Friese hat hier viel Gutes gewürkt und ist mit eben so viel Besonnenheit als Geschiklichkeit thätig gewesen. – Prinz August errichtet ein HusarenRegiment welches größtentheils aus Schillianern unter Adolph Lützow bestehn wird und an welches sich alle übrigen ausgezeichnete Männer die in einer höhern Ansicht zu handeln gedenken, auf irgendeine Weise zur Bildung eines andern dazu gehörigen Corps anschließen. – Steffens hat einen großen Theil der hiesigen Studenten ermahnt sich beym | 5 GardeJägerbattaillon als Freywillige zu engagiren und dadurch offenbar einen um so rühmlichern Impuls gegeben, da er dabey erklärte ihr Looß theilen zu wollen. Dennoch hätte ich gewünscht er hätte den Schritt auf eine einfachere Weise und ohne vieles Wortgepränge gethan, wodurch er nicht ganz ohne Grund unter seinen nähern Bekannten in den Verdacht der Affectation gerathen ist, ein Verdacht der sich dadurch vermehrt daß er seinen ersten Entschluß als Gemeiner mitzugehn bereits aufgegeben, und nunmehr Anführer der Studenten seyn will. Noch hat er keine Antwort vom König doch soll sein Schritt gut aufgenommen seyn. Profeßor Barthels und Mitteldorf haben dem König gleichfals ihre Dienste fürs Lazareth und den FeldGottesdienst angetragen.

Schlesien offenbart sich überwiegend in seiner ganzen Schlafheit, es haben sich überaus wenig Freywillige gemeldet, ja die vornehmsten Familien sind so erbärmlich gewesen sich vereint unter die Freywilligen einer eben zu errichtenden Garde Kosaken Eskadron zu versteken. Mit warmem Antheil hören wir wie so ganz anders die Gesinnung im wackern Berlin ist. – G ist hier doch noch auser Thätigkeit und im geheim obschon der König seine Anwesenheit | 5v weiß. Vermuthlich erscheint binnen kurzem die Ordre de bataille, und ein großes Avancement wobey Klüz Maeder(?) Lütten(?) lauter tüchtige Männer Generals werden wollen. Bey dieser Gelegenheit wird wohl auch G. eintreten. Ich komme höchst wahrscheinlich zum alten Herren, deß, wie Sie denken können ich herzlich froh bin. Meinem Bruder Carl der gegen den 1sten kommenden Monats hier einzutreffen gedenkt hat der König gleichfals Anstellung – auch vermuthlich im GeneralStab – zugesagt. – Ueber das ArmeeCommando waltet noch tiefes Dunkel, alle Muthmaßungen stimmen darin überein daß sie Scharnhorst als Faiseur nennen; welches freylich das beste ist, da Handeln und Repraesentation nun einmahl bei uns noch getrennt bleiben müßen, da niemand vorhanden der beydes vereint. Seit heute will man aus guten Quellen die üble Nachricht haben der König werde das Commando unter Scharnhorsts Berathung übernehmen, der Kronprinz und Prinz Friedrich ihn begleiten die übrige Königliche Familie aber binnen kurzem nach Glatz abgehn. –

Was haben Sie zu dem Tode unsers unvergeßlichen Chasots gesagt, wenig Menschen haben es so wohl verdient in den Herzen ihrer Freunde unvergäng | 6lich zu leben als dieser von Recht und Edelmuth durchdrungene herrliche Mensch. Gott gebe uns allen Gelegenheit uns seiner würdig zu beweisen in Thaten wie er sie liebte.

Man hat uns hier die Außicht eröffnet M – v und E – t bald hier zu sehn, worüber ich eine unbeschreibliche Freude haben würde. Mit einiger Theilnahme habe ich viel von Ihnen gehört – Ihnen zu rathen wage ich nicht der Gott der uns so oft durch Sie ansprach, würde Sie schon höher leiten als der schwache Rath Ihrer Freunde.

Ferdinand habe ich hier ganz unvermuthet getroffen. Sie können sich meine Freude denken den wakern Jungen zu umarmen. Er ist izt bey Prietten um sich ein paar Wochen Ruhe zu verschaffen die obschon ich ihn im Ganzen genesen gefunden habe ihm doch nöthig sind. In einigen Tagen denke ich auch noch einmahl auf 24 Stunden nach Hirschberg zu gehn. Vergebens würde ich versuchen Ihnen Philippines herrliches Benehmen in der itzigen Crisis, von der sie wahrhaft fromm begeistert ist zu schildern, meine Liebe und Verehrung für sie war nie größer als eben izt. – Laßt ihr wakern Freunde sie Euch stets | 6v  korr. v. Hg. aus: empholenempfohlen bleiben, wahrlich sie verdient es! Von allen die herzlichsten Grüße an die theuren Ihrigen. Meinem Eichhorn bitte ich diesen Brief mitzutheilen, und ihm in meinem Nahmen zu danken für die Mühe die er sich gegeben mir Geld zu verschaffen. Es ist ein Glück daß sie keinen Erfolg hatte, denn durch die Umstände sind plözlich andere Einkünfte so geschmolzen, daß ich die Schuld nicht hätte berichtigen können, und ich nur mit Mühe meiner Frau kümmerlichen Unterhalt sichern kann. Sagen Sie Ihm für mich habe der gute alte Gott abermahls gesorgt, und mich wider alles Vermuthen doch mobil gemacht. – Meine nächste Muße wende ich an ihn einige Zeilen zu schreiben, denn ich denke des treuen Freundes oft und viel.

Empfehlen Sie mich dem Andenken von Savigny, ganz vorzüglich, und jedem wackeren der sich meiner erinnert. Sie mein theurer Lehrer bitten Sie Gott daß er mir Kraft verleihe in jedem Augenblik so zu handeln, so ganz und tüchtig, wie ich es meine, und wie es eines Christen würdig ist, der sich nicht am Spiel der Kraft ergözt, sondern freudig das Kreuz der Nachfolge auf sich nimt. Gott sey mit uns.

Röder

Zitierhinweis

3831: Von Wilhelm von Röder. Breslau, Sonnabend, 13.2.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007625 (Stand: 26.7.2022)

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