Ich muß mich gegen Sie über den gestrigen Vorfall erklären: ich mag überhaupt nichts auf dem Herzen behalten; und was ich sagte, als meine Geduld endlich riß, mochte Ihnen fast unverständlich seyn. Ich hatte den ganzen Tag verlohren, war durch Besuche, Gesellschaft, Geschwäz, höchst fatigirt, wollte keine Erklärungen anfangen welche allgemein hätten stören können, und so äusserte ich mich allerdings wohl fast unverständlich.

Wer seinen Arzt für eine äusserst sorgfältige Behandlung, und für wohlthätigen Rath mit Bezahlung abzufinden glaubt, hat wohl kein Recht eine Fortsezung dieser Wohlthaten zu erwarten, dazu steht die Bezahlung, welche ein Privatmann anbieten kann in gar keinem Verhältniß auch für einen Arzt der gemeinsten Art, und der gemeinsten Gesinnung: Fürsten und Vornehme, die überhaupt nie anders danken, mögen mit ihrer reichlichen Bezahlung ihren Zweck erreichen bey wem es ihnen gelingt.

Die erste Pflicht in einem solchen Fall ist gewiß Beleidigung des Abwesenden nicht zu dulden.

Daß Kohlrausch mein Arzt ist, wissen Sie; das wußten Sie. Ich entfernte mich schon einmal als über jene fatale Geschichte die Rede war (bey Spaldings), als noch nichts weiter als der Anfang da war, und doch schon eben so als jezt geredet ward, aus dem Kreise der Redenden, mit Gefühlen die Ihrem Auge gewiß nicht unsichtbar bleiben konnten. Daß Mayer Ihr Arzt sey wußte ich, und äusserte kein Wort über sein Betragen, welches ich auch jezt nicht qualificiren will: aus keiner andern Ursache als aus Achtung gegen Sie. Ich zweifle nicht – denn dies ist ja ganz unabhängig von diesem allen, – daß Sie ihm als Arzt danken was ich Kohlrausch zu danken habe. Diesem lezten danke ich eine Herstellung meiner Gesundheit auf vielen Punkten: und kann hinzusezen daß alle früher consultirte Ärzte mehr verdorben als gebessert hatten.

Daß in Ihrer Erzählung und Ansicht der Einfluß einer verdrehten Darstellung herrschte, hätte jedem klar seyn müssen der bey der Sache so partheylos gewesen wäre, wie ich es wirklich war: daß Gruner in demselben Sinn geredet hatte, hätte Sie wenigstens abhalten sollen einen solchen Ausspruch zu thun wie Sie thaten: am leichtsinnigsten ward er durch Ihr – er scheint das. – Ich denke man darf, und muß manchmal, nach klarer Einsicht von jemanden sagen, er hat sich wie pp betragen: aber nie darf man sagen, er scheint. | 2v Die Geschichte des Billets läßt doch nur zwey Ausdeutungen zu die beyde dem andern, militairisch genommen, gleich ungünstig sind: wie hätte ich mir erlaubt sie, ich sage nicht Ihnen ins Antliz, oder Ihnen zur Seite; auch nur gegen einen dritten zu machen, nicht der Person sondern Ihretwegen.

Auch gestern hat mich die Scheu öffentlich gegen Sie zu verstossen, abgehalten, so laut wie es sich gebührt hätte die Pflicht vorzunehmen welche ich dem Abwesenden eigentlich schuldig war.

Ich weiß daß Sie mich nicht haben beleidigen wollen, und davon ist die Rede nicht. Auch kann ein solcher Vorfall der vielseitigen und lebendigen Achtung nicht Abbruch thun, welche Sie jedem einflössen müssen; an sich ist sie erfreulich, und in einer trüben Zeit ist es doppelt viel werth den der sie gebietet in seiner Nähe zu sehen. Aber dann ist da auch um so wehmüthiger, einen solchen Vorfall, den Ausbruch eines leichtsinnigen, und jede Rücksicht auf die man Anspruch machen kann vegessenden Muthwillens zwischen sich und dem, zu dem man sich durch mehr als betrachtende Achtung hingezogen fühlt, treten zu sehen

Niebuhr.

Montags.

Zitierhinweis

3625: Von Barthold Georg Niebuhr. Berlin, Montag, 8.4., 22.4. oder 29.4.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007603 (Stand: 26.7.2022)

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