Bremen den 1. Merz 16.

Ihnen allervortrefflichster Freund danke ich zuvorderst für den köstlichen Genuß des ächtplatonisch humoristischen Gastmals – Ihrer Flugschrift gegen den Faselgörgen Schmalz. Wir sahen Sie so ganz in Ihrer freundli chen Sokrates ähnlichen Laune, wie Sie es so gutmüthig und christlich mit dem Verirrten meinen, und doch sieht man ihn, trotz aller Beschönigung seiner Übereilung, wie einen begossenen Hund, den Schwanz zwischen den Beinen, nach Hause laufen. War wirklich sein Platz bei der neulichen Feier ledig? Die Nemesis ist doch eine herrliche Göttin. Ihnen wünsch ich Glück zum Siege – der gute König wird ja wohl gewiß zur Einsicht der Wahrheit kommen – Die Zeit hilft der Wahrheit auf den Thron, wenn sie der König liebt, wie Ihr herrlicher König es doch wirklich thut. | 38v

Ich habe beiliegende Abhandlung an so viele Örter geschickt, daß ich in der That nicht weiß, ob ich sie Ihnen auch geschickt habe. Wenn es nicht geschehn ist, so muß ich Ihnen etwas von ihrer Veranlassung, Zweck und Wirkung sagen. Ich reise mit hiesigen Hülfsmitteln im Juli in die Hospitäler. So menschenfreundlich auch alte Sendungen von allen Ecken her waren, und so wohlthätig für die Kranken, so lag mir doch das Schicksal derer mehr am Herzen, die als Verkrüppelte nicht wieder, wie Gesunde ins Bürgerliche Leben eingreifen können, die Arm- und Beinlo sen, Blinden und Lahmen. Die Übrigen heilten auch schon durch die mil de Luft, Jugend und einige Stärkungsmittel. Ich schrieb also in Aachen beikommende Stimme der Menschheit. Sack und GeheimRath Rei mann fanden es für gut, mich damit nach Paris zu Gneisenau, Pfuel und Hardenberg | 39 zu schicken. Ich wurde gut aufgenommen – Zu den allge meinen Wünschen, welche ich als Einleitung brauchte und wovon damals noch wenig in Anregung war, und wozu mir Gneisenau noch wenig Aus sichten gab, weil der zu großmüthige K. v. R. und Wellington entgegen waren. Hardenberg nahm diese rohe Abhandlung günstig und Gneisenau hieß mich, sie verbreiten. Von Hamb und mehreren Orten ist mir die erfreuliche Antwort geworden: daß man deswegen Geld nach Frankfurt zur Versorgungskaße geschickt habe – Und Fürst Hardenberg schreibt mir vom 8 Februar daß zu meiner Zufriedenheit: „er mir die beruhigende Versicherung gebe, theils daß nach allen nunmehr eingekommenen Nach richten die Resultate weit weniger ungünstig sind, als Sie auf den ersten Augenblick glauben mußten, theils daß für die Pflege der Kranken und für die Unterstützung der Invaliden jede Vorsorge getragen wird, die sie nur erwarten dürfen, und auf welche sie die gerechtesten | 39v Ansprüche sich erworben haben. Diese Angelegenheit ist eine Sache der Nation und Sie dürfen mit Vertrauen erwarten, daß sie, die mit allgemeiner Theilnahme ihre Selbstständigkeit wieder erkämpft hat, auch gegen diejenigen, welche die Opfer dieses Kampfs geworden sind, ihre Pflicht gewissenhaft erfüllen werden.“

Was ist doch dieses für eine herrliche Zeit, wo die Großen so human sind, und man human seyn darf. Ich wünsche Ihnen Glück zu einer sol chen Regierung.

In wenigen Tagen wird wieder an Lieben Frauenkirche ein neuer Pre diger gewählt – die alte Stelle welche Ihnen angeboten wurde. Der damals gewählte hat die Schwindsucht – und wird in wenig Wochen sterben. Er war schon schwach, wie er kam.

Wir gedenken Ihrer oft, und wünschen Sie hier. Smidt hatte noch vo rigen Sommer die Absicht, Sie hierher zu ziehen, zugleich als Director der Schulen. Ich wage es aber nicht, ernsthaft daran zu denken; es müßte der Schmalz triumpfiren. Nicht wahr, dann kommen Sie zu Ihrem ewig warmliebenden Freund M?

Zitierhinweis

4241: Von Wilhelm Christian Müller. Bremen, Freitag, 1.3.1816, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007600 (Stand: 26.7.2022)

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