An H. Prof. Schleierm.

Bremen den 7. Jun. 14.

Gestern erhielt Elise ein Briefchen von Nanny, woraus wir die Nachricht erriethen, daß Sie nach Langenschwalbach wollten, um das Bad zu ge brauchen. Vermuthlich wollen Sie in die Gegend des neugewonnenen al ten Rheins. Der Ort aber ist schlecht; in einem engen Thal zwischen kahlen Bergen liegt das schlecht gebaute Städtchen, wo auch die Woh nungen nicht sonderlich behaglich sind. Der Brunnen ist ohngefähr wie der Pyrmonter und Liebensteiner. Da der letzte aber in dem sehr hüb schen Werrathal am südwestlichen Abhang des Inselbergs, in einer poe tischen Umgebung, und gemeinlich sehr heiterer Gesellschaft adelverleug nender Thüringer und fränkischer Städter, die Schillers, Göthes und Jean Pauls Lüfte athmen. Der Ort Liebenstein ist ein gefälliges Kunstprodukt mit freundlichen Spatziergängen bereichert. Und der Brunnen selbst ist nach Adolfs Urtheil sehr heilsam. Er hoffte seine Wiedergenesung da, und wünschte nur den April zu erleben, um hinreisen zu können. So glaub ich, würde Ihnen auch der Ort am | 30v wohlsten thun, den mein Adolf in Rück sicht der Stärkung der ganzen Organisation mit Hülfe des Wassers, der Luft und des Geistes – für den ersten hielt. – Gesetzt Sie entschlössen sich dazu, so wollte ich Elisen das höchste Fest machen, was sie noch in der Welt wünscht, mit Ihnen an einem angenehmen Ort zusamen zu seyn – mit ihr nähmlich auch dahin zu gehn; wenn Sie NB. im Anfang Juls, wo meine Ferien anfangen, dort seyn könnten. – Wollten Sie dann noch an dem Rhein eine Nachkuhr halten, so würden Sie vorher gestärkt desto mehr Genuß haben.

Doch noch Eins, was Sie noch näher angeht, ob gleich unsere Gewinn sucht uns den Wunsch eingiebt, den nämlich, Sie noch nach Bremen zu ziehn. Ich sah aus Ihren letzten Zeilen keine heitere Stimmung, keine Freude über die Schicksalwendungen. Sollten Sie eine Gleichgültigkeit ge gen die Monarchie haben und eine Liebe zur Republik, die wir jezt wieder geworden sind, faßen können und zu einer beinahe | 31 ganz unabhängigen Lage eines Bremer Predigers: so wäre es uns beinahe jezt wieder möglich, Sie hieher zu ziehen. Der Pastor Gams, ehemaliger Schwedischer Gesand schaftsprediger in Paris, aus Straßburg gebürtig, mit einer Französin ver heirathet, war bisher der einzige Lutherische Prediger an der Ansgari Ge meinde. Schon deswegen hatte er von der großen einzigen Lutherischen Gemeinde am Dom immer etwas Druk auszuhalten. Denn er war wäh rend des Streits über die Kirchengüter von einem etwas despotischen Rathsherrn dahin gebracht, der durch die Vertheilung der Gemeinde ihre Kraft zu sprengen hoffte. Seit die Franzosen vertrieben sind, hat sich seine Lage verschlimmert; er hatte sich überall als partheiischer Anhänger ge zeigt, und nach aufgedrungener Pflicht äußerlich amtlich den Heuchler gespielt. Dies wandte ihm die Gemüther ab, und er geht nun als Prediger nach Straßburg, welches doch wohl ein halbes französisch seyn soll, also sein rechter Boden. | 31v

Da ich nun die vernünftige Meinung hege, dieser kleine Theil der Ge meine kehrt zur Mutter zurück, und die reformirte Gemeinde nimmt wie der einen äußerlich gestempelten Reformirten Prediger: (Ich hoffe, Sie wissen meine eigene Glaubensmeinung in Harmonie zu bringen) so ist uns sogleich eingefallen, Schleiermacher könne an dieser Stelle viel wir ken, und sich dabei wohl befinden. Es stehen noch zwei Prediger an der Kirche, gute ehrliche Männer, aber als Prediger nicht bedeutend. Die Ge meinde hat durch Häfeli und Gams, der, die französische Deklamation abgerechnet, ein ziemlich guter Prediger war – Sinn für Religion und Kirche behalten; und hat immer für diese guten Prediger viel Außeror dentliches gethan. Die feste Besoldung wird 1000 Rth seyn und ein hüb sches neues Haus. – Schreiben Sie mir bald Ihren Sinn, um meine Vor bereitungen fortzusetzen oder einzustellen.

Die Hamburger Franzosen sind nun durch – aber lautdrohend, daß Ludwig XVIII wieder herab müße, und daß sie in einem Jahre wieder hier seyn werden. Wehe uns bei so viel gefallenen Marwitzen. – Sie spre chen vielleicht jezt den feurigen Steffens, dessen Bruder wieder zurück kehrend bei uns gewesen ist. Unser Freund D.

Zitierhinweis

4033: Von Wilhelm Christian Müller. Bremen, Dienstag 7.6.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007596 (Stand: 26.7.2022)

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