Bremen den 4. Merz(?) 13

Steffens patriotischer Sinn hat mich so elektrisirt, daß ich Ihnen schreiben muß, wie ich seine Jugend und lebendige Kraft beneide. Doch wenn die Stunde schlägt, soll auch den sechziger niemand der Feigheit beschuldigen. Nur Elise kann mich noch abhalten, ein Großes zu wagen. Ich war einmal vom Pferde gestürzt, wo ich die Hüfte abgebrochen, den Daumen zweimal geknickt & mich ungeheuer verblutet – daß nach 14 Tagen mich die Aerzte aufgaben. Meine gesunde Organisation überstand die gräßlichsten Fieber und Supporation – und mein Wille die ungeheuersten Schmerzen, bei der Herausziehung der Crista coxi – Ich hatte mir vorgesetzt, nicht zu stöhnen, weil mich meine Freunde für einen Sibariten hielten – und man hörte kein Seufzen von mir. Ich weiß also was ich kann – und das war um einer bloßen Unvorsichtigkeit willen. Wenn ich also um einer großen Idee Willen zu leiden hätte, das müßte ja ein wahrer Jubel seyn. Und was hätte ich, wenn es hoch kömmt, zu wagen? was kann ich nun der Welt noch viel nutzen? und am Ende, nach mehreren Krüppeleien, hätte die schauderhafte Scene des langsamen Herannahens des allgemeinen Naturfeindes. Aber zum Untergang des schlimmeren – seinen Lebensrest opfern, das ist was – wobei es schnell über Hals über Kopf zum Alles oder zum Nichts kommen muß. Auf dem bisherigen Fuß mußte ich doch langsam zum Bettler werden. Die Abgaben sind unerschwinglich, die Einnahme nimmt täglich ab, die Schmach ist Geist und Herz zerstöhrend – Man schimpft und flucht im Verborgenen man ärgert sich eben darin über diese Feigheit, zu welcher die Regung der Gerechtigkeit verdammt ist. – Nanny schreibt, wie alles voll Unruhe und Erwartung ist – unser Bild – täglich, stündlich giebts neue Notizen – man läuft von einem zum andern, um etwas Gewißes zu erfahren – öffentliche Blätter lügen, wie die übertriebenen Privatnachrichten. Was soll man glauben, wo wird es hinführen. Izt hört man Kosaken sind durch Berlin gesprengt – der Vicekönig ist nun mit 2000 Mann da angekommen – Alle Preusen stehen auf – der König ist nach Dresden gebracht – dann wieder frei in Preßlau – Izt kommen die rußischen Bären mit ihrem Klimma und vernichten alle unsere Helden – izt soll alles nur Wind seyn – Izt erklärt sich Schweden gegen uns – dann sind sie schon bei Lübek gelandet – das Gerücht reizt die Lübeker | 23v und Hamburger zum Aufstand – zu Lübek fliehen alle französischen Behörden – es ist wahr sie kommen hier durch – in Hamburg kommen 20 Menschen im Spektakel um, die Officianten sind des Lebens nicht sicher. Es ist wahr; denn viele fliehen hier durch – Weiber und Kinder nach dem alten Mutterlande. In allen Städten an der Elbe, in Stade, Buxtehude, Harrburg ist Aufstand – die Mairs werden ermordet; es muß wahr seyn, denn die Berichte kommen an unsern Prefekt. Dieser voll Angst vor ähnlichen Schreckensscenen verbietet alle Zusammenkünfte – alle Klubbs, auch die Vereinung des wissenschaftlichen – unser Museum war schon vorher aufgehoben und versiegelt. Es gehen doppelte Patrouillen auf den Straßen – die angesehnsten Bürger, Gelehrte, Schullehrer müßen des Nachts auf die Wache ziehen. Der Commandant hat der hiesigen Garnison – Elsaßern – die Ordre gegeben, nicht allein zu gehn, ihr Gewehr nicht im Quartier zu laßen, nichts allein zu essen, es möchte Gift im Essen seyn. – Mehrere hiesige Beamten sind weg und gehen in diesen Tagen weg – und noch sind die Russen 50 Meilen von hier. Es sieht aus, als hätte man kein gutes Gewissen. Doch man faßt wieder Muth. Es sind 2000 von Pommern kommende wieder in Hamburg eingerückt. Heute oder morgen wird ein Anführer erschoßen. Das bringt aber die Harburger nicht zur Ruhe; diese und die andern südwestlichen Strandbewohner, werfen jeden ins Wasser, welcher von Hamburg kommt, und nicht sprechen kann. Aber Gott genade die Rebellen – die stützen ihre Waghalzereien auf die baldige Landung der Engländer – denn man hat hier die gewiße Nachricht daß Wellington auf der Themse mit der deutschen Legion gelandet – um noch mehr Truppen einzunehmen – man sagte schon gestern, daß sie an der Weser gelandet – Engländer sind nicht mehr in Spanien nöthig – denn Napoleon giebt Spanien auf – darum schöpft man hier wieder gute Hoffnung. Der StadtCommandant hat es gesagt, daß alle französischen Truppen aus Spanien mit Wagen geholt werden bis an den Rhein. Ich habe einen Pensionär von einem Director der Steuern, ein sehr gebildeter Mann, der alle anderen Franzosen an Wissenschaft und Geist übertrifft – der eben so lebendig von der Vortrefflichkeit der republikanischen Verfaßung als iezt vom Gegentheil überzeugt ist. Aber er treibt alles problematisch – als einen Versuch einer RegierungsVerfaßung. Jenes ging nicht und er schämt sich seiner Exceße – ob das einzige System | 24 beßer und heilsamer fürs Menschengeschlecht seyn werde, muß die Erfahrung lehren. Er sieht diese Organisation als eine neue Erfindung an – genug er treibt seine praktische Politik als eine Wissenschaft, wovon alle übrigen hiesigen Franzosen keiner Idee fähig sind. Dieser treffliche Mann wollte erst auch fort – und sagte mir den Sohn auf. Allein er bleibt auf jene Nachricht wieder. Ich habe schon einige Eleven verlohren. Ich hatte das Vertrauen mehrerer Väter von den fremden Beamten erworben; und so den Schaden, den mir meine unnatürliche Einpfropfung auf einen fremden Baum zuzog, in etwas wieder ersetzt – ja ich sah schon Blüthen und Früchte für mich in der Folge – Ich verliehre durch die neue Wendung wieder. Doch das allgemeine höhere Interesse läßt allen anderen Verlust nur als klein erscheinen. Es wird Ihnen eben so gehn – und vielleicht noch etwas interessanter – Schade nur, daß wir nicht schnell genug die Ereignisse erfahren können – Ich bitte Sie inständigst, laßen Sie doch durch Nanny uns das Neueste mittheilen – Wir nehmen am Schicksal der vielen Guten theil – Ja oft und zwar in der Ungewißheit zu großen – besonders Elise – welche Angst hat sie um Marwitz – und Nanny schreibt nichts näheres, wir kennen seinen Sinn – so wie den Aller Preußen. Gott schütze die Großdenkenden – wäre Adolf nicht in ewiger Ruhe, so wissen wir wohl, was er bei seiner Gesinnung, womit er aus Paris kam, iezt gethan haben würde. Er schalt Elise, als diese einige Thränen über seine Marwitzschen Ideen fallen ließ. Er soll uns aber iezt nicht über unsre Gesinnungen schelten. Elise nimmt so lebendigen Antheil, daß sie oft nicht schlafen kann – frohe und schreckliche oder ängstliche Nachrichten machen ihr aber Erbrechen – Wir wußten schon, daß die ganze große Armee untergangen ist, wir haben auch hier 100 Wege mit einigen halberfrorenen Resten. Die Lazarette sind überfüllt – dies giebt zwar unseren Truppen keinen sonderlichen Muth – 3 Bauren, die sich neulich für Kosaken ausgegeben, wurden beim Kriegsgericht kaum vom Tode gerettet – die Soldaten wünschen Frieden – die Cohorten wollten sogar nicht weiter marschiren – aber man hat ihnen Muth gemacht. Diese Stimmung läßt viel hoffen. Es gehen viele Truppen über Osnabrück nach Magdeburg – da wird ein Großes entschieden werden. Wir harren mit Ungeduld Ihrer Mittheilung entgegen. Nur laßen Sie Nanny den Brief so schreiben und brechen wie diesen. Elise hat für den letzten weil er im Couvert mit grauem Papier war, Einen Thaler bezahlen müßen – Grüßen Sie alle herzlichen Freunde Jetchen, Nanny, Harscher, Wilmanns, dem Sie sagen laßen, daß ich seinen Brief erhalten vom 23. Februar – Es kehrt der Glaube wieder, daß ein Vergeltender über uns waltet – mit diesen grüßt und küßt Sie herzlich

Ihr M.

Zitierhinweis

3833: Von Wilhelm Christian Müller. Bremen, Donnerstag, 4.3.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007592 (Stand: 26.7.2022)

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