Herrn / Professor Schleiermacher / Berlin [Bl. 2v]

Herrlichster Freund,

In der Erwartung, daß Sie von Ihrer Reise aus Schlesien glücklich zurückgekehrt sind, schicke ich Ihnen einen Eleven zu, von dem wir schon in Gegenwart des jüngeren Sack gesprochen. Dieser wird ihn vielleicht schon bei Ihnen eingeführt haben, als seinen Freund von Göttingen aus. Und so wäre [eine] Empfehlung überflüssig. Doch da ich nur allein die Ursache bin, daß er noch nach Berlin kömmt, und da Sie nur allein die Ursache sind, warum ich so dringend dazu gerathen: so halte ich's doch für notwendig, Ihnen einige Worte darüber mitzutheilen.

Carl Iken war von seinem 6ten bis ins 15te Jahr in meinem Institut. Damals hatte er die Idee eines Arztes zum Mittelpunkt seiner Bestimmung. | 1v Mit dieser ging er nach Göttingen. Über zwei Jahre ging er ihr nach, und wurde endlich gewahr, daß er gar nicht zum Arzt tauge. Seine Blödigkeit und seine Empfindlichkeit bei Leiden anderer, waren die Haupthindernisse. Er wählte also vorm Jahr Philologie, um sich dem Lehrfach zu widmen. Nun hielt ich Göttingen nicht mehr für den Ort, wo er zugleich praktisch Erziehung und Lehrmethode lernen, und eigentlich freiere Ansichten über den Geist und menschliches Treiben gewinnen könne. Da ihm besonders etwas Bremisches, Steifes, übermäßig Bescheidenes, und besonders der Druk seines Hauses, um eines viele Jahre lang kränklichen Vaters willen – noch anklebt: so hielt ich in der Fremde Umgang mit gebildeten, zuvorkommenden Familien, wo besonders Freiheit herrscht, wo die Weiber zu | 2gleich mit einwirken p für das einzige Mittel, ihn etwas umzuformen. Daß ich  korr. v. Hg. aus: ihrIhr Haus und Sie hauptsächlich dachte, vermuthen Sie wohl. – Er ist Ihres Schutzes würdig. Ein gar guter ehrlicher Schlag von Menschen. Seine größte Liebhaberei ist Musik, er spielt Bratsche und Flöte ziemlich fertig. Einige philosophische Kollegia und besonders Philologie, Aesthetik wären ihm notwendig; dann Gelegenheit in Schulen einzelne Stunden zu geben. Und da hoffte ich, durch Ihre gütige Empfehlung bei irgend einem Direktor, diese zu finden. Er braucht es nicht aus Noth zu thun. Aber es ist ihm der Ruf zur Empfehlung hieher notwendig, daß er schon anderwärts Unterricht gegeben. –

Mit herzlichen Grüßen an Ihre Lieben Hausgenoßen – und von meiner Elise

immer und ewig Ihr Freund M.

Br. 13. Okt. 11.

Zitierhinweis

3694: Von Wilhelm Christian Müller. Bremen, Sonntag, 13.10.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007590 (Stand: 26.7.2022)

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