Bremen den 18 Jul 11.

Hochgeschätzter – geliebter Freund

Seit meinem unendlichen Verlust, ist mein einziges Kleinod, was der neidische Himmel mir gelassen hat, in Gefahr, mit unterzugehen. Meine Elise, die unbegränzt liebende Schwester, die nach ihrem körperlichen Zustande keinen Trost, Stütze und Freund in einem Manne erwarten kann, hat im herrlichen Bruder alles verlohren, was für sie in der Welt zu hoffen war. Diese täglich erneuerten Wunden haben ihren Körper sicher geschwächt. Eine Reise ins Bad, oder zu Freunden – schien ein Rettungsmittel. Der Arzt zieht das letzte vor. Wir wählen daher dismal nicht schöne Gegenden, sondern ächte Menschen, besonders wahre Freunde des vergötterten Bruders – diese allein wirken in der Theilnahme wohlthätig auf das kranke Gemüth. Zugleich entfernt sie sich eine Zeitlang von den zu stark erinnernden Gegenständen und von ihren wichtigen Geschäften des Unterrichts und der Erziehung ihrer Mädchenschule: Weil der Mitgenosse den Genuß erhöht, nehmen wir ihre herzlichste Freundin, die zum Theil von ihr selbst gebildet ist mit, ein sehr liebenswürdiges ächtweibliches Geschöpf. Wir reisen mit einem Pferd und einem kleinen Wagen, | 18v um durch nichts aufgehalten und getrieben zu seyn – und gehen quer durch Lüneburgische, da wir einige Freunde, Prediger p besuchen – über Dömitz, einen Ruheplatz bey einem Gönner – über Wilsnack bei Imanuel Meier, über Brandenb bei einer alten herzlichen Freundin des D. Meier – Berlin bei Hofpostsekretair Schmit zu logiren. Bei der letzten Freundin haben wir uns ein Logis ausgebeten – wenn es nicht der Regierungsrath Wilmanns anders verabredet. Ich lege den Brief an ihn hierbei, weil ich Ihre Ordnung kenne. Ich hätte das Gegentheil thun sollen; aber ich kenne ihn von Haus aus, weil er seit seinem 6ten Jahr mein Eleve gewesen ist – und seine genialische Nachlässigkeit noch dieselbe ist. Sie haben also die Gewogenheit ihm den Brief zuzuschicken – und wo möglich mit der nächsten Post an Herrn von Marwitz zu melden, daß wir gegen den 8. August in Berlin einzutreffen gedenken – und daß er unsern heißen Durst nach Menschen, nach solchen warmen Freunden, wie er ist, befriedigen möge, daß Er nach Berlin komme, weil uns die Zeit zu kurz zugemessen, um zu ihm zu kommen, und Er Adolfs Briefe kopirt mitbringen müsse und dagegen die seinigen an Adolf aus unsern Händen empfangen solle. Herzliche Grüße an Ihre Geliebten. In meiner dunklen Ahnung, daß ich Ihnen hier einst wieder gleiche Dienste erweisen kann – worüber mündlich vieles zu besprechen – muthe ich Ihnen diese Beschwerlichkeiten zu – aber mit unendlicher Hochachtung und Liebe

Müller

Zitierhinweis

3654: Von Wilhelm Christian Müller. Bremen, Donnerstag, 18.7.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007588 (Stand: 26.7.2022)

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