Berlin, den 12. Februar 1811.

Mein werther, unglücklicher Freund!

Wie lange schon hätte ich Ihnen gern geschrieben, und immer ist es nicht geschehen. Ich wollte mich gern dabei recht pflegen und weiden in ununterbrochen langem schmerzlichen süßen Andenken, und dazu fand ich die Zeit nicht, und habe sie auch jetzt nicht. Aber länger will ich es nicht aufschieben, Ihnen herzlich zu danken für alle Mittheilungen auch aus seiner und Ihrer Leidenszeit. Sie hätten sich nur nicht scheuen sollen wenn Sie wieder in's Erzählen kamen, sondern immer fortfahren; ich kann eben so wenig genug haben als Sie, und alles was ihn mir auf irgend eine Weise vergegenwärtigt auch in dem traurigsten Zustande, ist mir liebe Nahrung. Wir haben ihn verloren in irdischem Sinne, aber wir behalten ihn in höherem; sein edles verklärtes Bild wird uns immer begleiten. Auch Sie müssen Ihre väterliche Sorge und Mühe nicht verloren achten. Freilich hätte er noch herrliche Früchte tragen können für die Welt, und wenn es ihm vergönnt gewesen wäre als Hausvater aufzutreten, so würden wir etwas selten Schönes gesehen haben. Aber er selbst, die innere Ausbildung seines Geistes, war doch vollendet, und was kann ein Vater Schöneres wünschen? Und in wie vieler Menschen Herzen lebt er auf eine herrliche Weise! Marwitz ist einer der edelsten Jünglinge, und die stockende Stimme, das thränenvolle Auge, womit er zuerst mir Ihre Anzeige in den Zeitungen vorlas, ist allein ein schönes Denkmal. Ich habe ihm Ihren ersten Brief ganz mitgetheilt. Er verdient wohl, das Schicksal unseres Verewigten ganz zu kennen, und ist unfähig irgend einen indiskreten Gebrauch von etwas zu machen. Von Karoline, von meiner Schwester, der vertrautesten Freundin von jener, schweige ich; der ganze hiesige Kreis seiner Freunde, den Sie wohl einmal kennen lernen sollten, ist ein herrlicher Tempel für sein Andenken. Die Aerzte Reil, Horn und Heinrich Meyer rühmen ihn einmüthig, und bedauern seinen Verlust für die Kunst. Jener Aufsatz verläßt in diesen Tagen die Presse; ich freue mich darauf, und hoffe es soll daraus recht Vielen einleuchten, wie viel an ihm auch von dieser Seite verloren gegangen ist. Reil hat gesagt, Adolph wäre der Einzige bis jetzt, der den Magnetismus ordentlich angesehen hätte. Der Verlust, den seine Schwester erleidet, ist freilich noch ein ganz eigenthümlicher; ich weiß sie mit nichts zu trösten, als daß sie ihn auch auf eine ganz eigenthümliche Weise geliebt hat. Das Uebermaß des Schmerzes werden ihr die Töne, mit denen sie ihn hinübergesungen hat, sanft ableiten. Ach Sie sind doch glücklich und zu beneiden, daß Sie einen solchen Sohn gezeugt haben, so wie ich mich glücklich fühle, daß er sich zu mir gefunden hat, und daß ich von bedeutenden Stufen seiner Fortbildung ein Augenzeuge gewesen bin. – Harscher ist durch seine Krankheit gewissermassen abgestumpft, ich hoffe Ihr Brief soll ihn wieder aufregen; ich habe ihn seitdem noch nicht gesehen. Für Giesebrecht, den ich grüße, ist es mir lieb, daß er unseren Theuren auch noch recht erkannt hat. Sagen Sie ihm, ich hätte an seinem Bruder eine recht erfreuliche Bekanntschaft gemacht. Die Zeichnung, von der Sie mir schreiben, wissen Sie doch, haben Sie mir nicht mit eingelegt? Sie wäre mir etwas sehr Liebes gewesen, und ich mache noch Anspruch darauf wenn es möglich ist. Auch wir haben hier oft sein Gesicht einem Christuskopfe verglichen – aber als Ecce homo glaubten wir es nicht so bald zu sehen! –

Für Ihr anderes Geschenk danke ich Ihnen herzlich; sagen kann ich Ihnen noch nichts darüber, denn ich sehe nicht in ungebundene Bücher, und habe es noch nicht zurück.

Was ich wegen der Stelle des Dr. Meister gesagt habe, will ich weder abläugnen noch zurücknehmen. Meine hiesige Position hat sich freilich seit ich Giesebrecht sah sehr verändert. Ich habe 3200 Thaler fixes Gehalt und freie Wohnung, wozu denn noch die Emolumente von den Kollegien kommen. Sie sehen, daß ich dafür in Bremen wohl nicht zu entschädigen bin, und wenn ich nur darauf sähe, müßte ich geradezu Nein sagen. Allein es ist in meiner Lage manches was mir nicht zusagt, und recht wie durch eine besondere Fügung befindet sich der Geschäftszweig, in den ich mit verflochten bin, jetzt in einer solchen Krisis, daß, wenn sie übel für die Sache abläuft, ich mich gern auch mit bedeutendem Verlust in jene schöne Ruhe eines ganz geistlichen Lebens zurückziehen würde. – Nur nach zweierlei frage ich. Meine Familie ist nicht klein; ich habe Frau, drei Kinder und meine Schwester, und habe noch entfernte Glieder meiner Familie zu unterstützen. Wir leben gern einfach, aber gemüthlich, und knausern können wir alle nicht. Hier habe ich, wenn ich mich auch von allem Geschäftsleben zurückziehe und bloß auf Kanzel und Katheder einschränke, immer noch etwas über 2000 Thalter und freie Wohnung. Das ist das Mindeste, womit wir uns hier auszureichen getrauen. Bremen ist gewiß nicht wohlfeiler als Berlin. Glauben Sie also, daß ich dort ohne Nahrungssorgen werde bestehen können? – Zweitens: Was hat die Veränderung Ihrer politischen Lage für einen Einfluß auf den geistlichen Stand? steht er irgend unter französischen Behörden? und in welchem Maße wird besonders auf ihn geachtet? Ich kenne mich dafür, daß ich jede verständige Vorsicht am rechten Ort gebrauche, und von dem thörichten Schnippchen in der Tasche schlagen, womit sich so viele Menschen ihre Existenz ohne Nutzen verderben, halte ich nichts. Aber ich kann nicht gedeihen, wo ich mich auf kleinliche Weise gepeinigt fühle. Und es könnte leicht sein, daß man auf mich noch mehr achtete, als auf Andere, theils weil ich von hier käme, theils weil ich hier schon einmal wiewohl auf ganz gehaltlose Art bei dem Marschall Davoust angegeben war und in seiner Tablette der verdächtigen Subjekte stand. Beantworten Sie mir die- se Fragen, theurer Freund, recht ehrlich, so will ich danach meinen Entschluß fassen. Von Herzen der Ihrige

Schleiermacher.

Zitierhinweis

3592: An Wilhelm Christian Müller. Berlin, Dienstag, 12.2.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007587 (Stand: 26.7.2022)

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