Berlin d 4t. April

Diese Bücher, liebste Schwester, waren bestimmt zu einem Weihnachts geschenk für unsere Kleinen und es ist die Nachläßigkeit, größtentheils meines Buchbinders, daß sie wirklich noch nicht fertig waren als Arndt zu Euch reiste. Jezt ist nun auch nicht einmal der zweite Theil etwas neues, und wenn Deine Kinder sie schon haben sollten, so disponire anders dar über. Sonst wird es ihnen gewiß ein angenehmes Besizthum sein; unsere wenigstens haben ein Exemplar schon ganz gelesen. Die Mährchen könn ten freilich noch besser und anschaulicher sein; aber sie geben den Kin dern doch Bilder, prägen sich ihnen ein, und sind ganz unschädlich für den Sinn und das moralische Urtheil was sie noch nicht haben.

Unendlich lange habe ich Dir nicht geschrieben liebste Lotte; von un serm ganzen Leben und auch von meinem Zustande bist Du doch von Zeit zu Zeit | 67v durch unsere Jette unterrichtet. Nun sind wir von dem ersten schönen Wetter gelockt glüklich wieder draußen in unserm Garten, und mein erstes am Tage ist ein Gang man kann wirklich schon sagen im Grünen denn alles treibt gewaltig und in ein Paar Tagen blüht schon der Faulbaum. Von Arbeiten ist dagegen noch gar nicht viel geworden woran aber die Weltbegebenheiten mehr Schuld sind als die Natur. Gott was für Blut wird nun wieder vergossen werden lediglich aus Schuld unverstän diger Großmuth! und wie lange haben wir nun gewiß auf keinen Frieden zu rechnen! Doch es ist gar zu offenbar Gottes Finger in dieser Geschichte als daß man zweifeln dürfte es werde sich daraus, wenngleich durch schwere Prüfungen, alles Schöne entwikeln worauf wir bis jetzt vergeb lich gehofft hatten. Die halbe Arbeit des vorigen Krieges nach außen sowol als nach innen muß erst ganz gemacht werden; und wenn das jezt schon geschehen sollte, so konnte es wol durch keine andere Veranlas sung kommen wie denn auch Vielen auf keine andere Weise die Verwor fenheit der Franzosen deutlich werden konnte als durch das was jetzt geschehn ist. Für das häusliche | 68 Leben glaube ich nicht daß uns so bald wieder solche Zerstörungen bevorstehen als in den lezten Jahren und gewiß werde ich nie eine Veranlassung haben mich wieder so von Frau und Kindern zu trennen, wenn gleich wir höchst unvorsichtigerweise uns einen verborgenen Feind in den Rücken sezen indem wir leiden daß der König von Sachsen wieder in Dresden eingesezt wird – aber schrekliche Zustände kann und wird es in andern Gegenden genug geben.

Dich werden in Deinen bevorstehenden mütterlichen Freuden diese Verwirrungen hoffentlich nicht stören. Wie gern wir daran Theil nehmen, das denkst Du Dir wol. Aber theils kann ich gar nicht dafür einstehn ob meine Gesundheit mich nicht nöthigen wird wieder ein Bad zu suchen und dann darf ich früher nicht reisen sowol des Geldes als auch der Collegen wegen theils würde es überhaupt große Schwierigkeiten haben mitten aus den Vorlesungen wegzureisen. Und nun da ich durch das Weg gehn der Jünglinge gleich einige Hundert Thaler verliere werden wir über haupt das Reisen einstellen müssen. Wärst Du doch gekommen vor dem Jahr! oder kämst noch diesen Sommer nach der Hochzeit um die Lücke nicht so mittelbar zu fühlen im Hause. Du hast doch keine rechte Vor stellung | 68v von unserm Leben wenn Du uns nicht einmal mitten drin siehst, und das ist doch recht nothwendig für Dein schwesterliches Mitgefühl. Setze doch alles daran um es möglich zu machen

Unsern Arndt wirst Du hoffentlich viel sehn und Dich an ihm erfreun. Du wirst gewiß sein frisches Leben und seinen gemüthlichen Sinn unver mindert finden. Unter Euch ist er gewiß noch mehr in seinem Element als hier wo bei aller Freundlichkeit und bei aller Offenheit über die Princi pien des Lebens doch ein solches Vertrauen wie ich eigentlich zur Freund schaft fordere ihm nicht abzugewinnen ist; ich meine mich nicht allein sondern ich glaube es hat es Niemand von ihm. Ich wollte er fände nun eine bleibende Lebensstätte, wiewol ich noch nicht recht begreife wie das zugehn sollte – und dann auch wieder ein eignes Hauswesen. Liebste Lotte das ist doch und bleibt das erste im Leben und täglich danke ich Gott für meine Jette und für die Kinder, und nur der Gedanke daß sie mich doch nicht recht lange haben werden macht mich dabei wemüthig.

Grüße doch Dein ganzes Volk aufs herzlichste wie Dich hier alles grüßt. (Unsre Freundin Herz die eine Zeitlang viel gekränkelt hat zieht nun auch in unsere Nähe in den Thiergarten – An Deinem Geburtstage werden wir Dein ganz besonders gedenken).

Dein treuer Schl.

Zitierhinweis

4130: An Charlotte von Kathen. Berlin, Dienstag, 4.4.1815, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007540 (Stand: 26.7.2022)

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