Liebe Schwester ich weiß nicht ob ich zu mehr als einigen Worten Zeit behalte, und ich muß also nur gleich mit dem anfangen was mir das wichtigste ist. Es betrift Deine Knaben. Ich kann die Ansicht daß Du sie noch bis zum 17ten Jahre bei Dir behalten willst gar nicht mit Dir theilen und wünsche nichts sehnlicher als Dich vom Gegentheil so sehr zu über zeugen als ich es bin. Leider kann man das nur im Gespräch recht wo man sich gegenseitig aussprechen kann. Meine lebendige Ueberzeugung aber ist, daß ein Knabe vom 14ten Jahr an nothwendig in einer größeren Gemeinschaft mit vielen seines Alters nehmen leben und eines öffentlichen Unter richtes, der doch in weit größerem Styl ist als der häusliche genießen muß. Diejenigen sind nun freilich glüklich welche in großen Städten leben wo sich diese Vortheile mit dem häuslichen Leben verbinden lassen. Wo das aber nicht möglich ist, da bin ich fest überzeugt daß alle Vortheile die man sich von einem längeren häuslichen Leben verspricht nicht in | 69v An schlag gebracht werden können gegen die Nachtheile. Erstlich von Seiten des Wissens ist es ausgemacht daß nie zu Hause dieselbe Ordnung und strenge Nothwendigkeit im Gange des Unterrichts sein kann wie in der Schule, und darauf beruht lediglich der sichere Gang der Fortschritte und die unschäzbare Gewöhnung etwas zu der Zeit auch zu können wo man es muß. Dann kann auch der vortreflichste Hofmeister nicht so viel lei sten als in einer mäßig guten Schule geleistet wird wo die Lehrgegenstän de zwekmäßig unter mehrere Lehrer vertheilt sind, und einer dem andern in die Hände arbeitet. Wird aber nicht in diesen Jahren zwischen dem 14ten und 17ten eine rechte Gründlichkeit und auch ein gewisser Umfang von Kenntnissen hervorgebracht: so ist das nie wieder nachzuholen. Von dieser Seite ist die Sache wol sehr einleuchtend und vollkommen ent schieden. Weniger wird es Dir vielleicht einleuchten daß es sich von Seiten der Charakterbildung grade so verhält. Man meint im häuslichen Leben werden die Knaben mehr vor Verführung bewahrt und religiöser gehal ten. Es ist aber mit der Verführung gar nicht so arg als man sich denkt, am wenigsten auf Schulen wo wie hier überall zugleich gymnastische Ue bungen getrieben werden. Diese sind das | 70 beste Mittel die zu frühe Ent wiklung des Geschlechtstriebes und die Empfänglichkeit für Verführung zurükzuhalten. Was das religiöse betrift so darf Dir nicht bange sein. Auch ohne viel ausdrüklich dazu zu thun mußt Du den Grund dazu gelegt haben und wirst auch in der Entfernung so wirken, und gewiß besser wenn in der Entfernung die Knaben sich in einem sie fördernden und also Dir gründlich Freude machenden Lebensgange fühlen, als zu Hause wenn Sie dort deplacirt sind. Unschäzbar aber ist daß auf der Schule das strenge Rechtsgefühl gewekt und der Knabe zur Selbstständigkeit geleitet wird. Das ist es beides was den Mann macht. Und gieb nur Acht, alle Männer die zu lange im väterlichen Hause gewesen sind, sind auf irgend eine Art weichlich, unentschlossen untüchtig, ohne rechten Sinn für die gemeine Sache. Mit 17 Jahr aber kann das nicht mehr gewonnen werden; da fühlt sich der Jüngling immer ein Fremdling unter denen die früher diese Schule gemacht haben, und entbehrt auch der Haltung die ihm engere freund schaftliche Verbindungen geben könen

Ich kann nur noch meinen besten Dank hinzufügen für Dein schönes Geschenk das ich kaum wage mit Füßen zu | 70v treten. Ich hoffe Jette hat Dir mehr geschrieben, – wiewol eben von unserm Leben nicht viel zu sagen ist als die stille ruhige Entwiklung der Kinder für die wir Gott nicht genug danken können.

Liebe schweige uns nicht wieder so lange; ich denke wir bessern uns auch allmählig wieder wenn ich frischer werde und Jette mehr Hülfe in ihren Geschäften bekommt.

Grüße alles in Deinem Hause und Furchau meine besten Wünsche zu seiner neuen Bestimmung: denn ich glaube nicht daß ihm diese Anstellung fehlen wird wenn er sie wünscht.

Sage Kathen mit meinen besten Grüßen daß ich heute die 29 gg von Schede empfangen habe.

Dein treuer E(?) Schl.

Zitierhinweis

4041: An Charlotte von Kathen. Berlin, erste Hälfte 1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007538 (Stand: 26.7.2022)

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