Welch ein Mißgeschik tritt schon wieder zwischen uns liebe Schwester. Ich habe mich über mein langes aber wirklich so gut als unwillkührliches Schweigen immer mit dem Wiedersehn getröstet, und nun sieht mir das ganz unwahrscheinlich aus. Wir wissen zwar hier von Euch Insulanern noch nicht ob auch ihr französisches Militär habt, aber wenn auch nicht so ist wenigstens das eurige gewiß desto stärker auf Rügen zusammengedrängt je mehr jenes sich auf dem festen Lande ausbreitet, und wenn ihr schon starke militärische Einquartirung habt: so können wir euch unmöglich auch unser zahlreiches Haus noch zuführen. Doch das sind noch weit  korr. v. Hg. aus: aussehendeausstehende Dinge; wer weiß was bis dahin noch geschieht ungünstiges oder erfreuliches! – Hier sagt man daß die Posten zu Euch gesperrt sind; ich benuze also das Anerbieten einer Freundin, welche mir verspricht durch die dritte Hand einen Brief mit militärischer Gelegenheit sicher zu besorgen. Du wirst rathen was ich Dir erfreuliches zunächst zu sagen | 57v habe. Unsere liebe Jette ist Gestern am 12ten Morgens von einem Mädchen sehr leicht und glüklich entbunden worden. Den Abend vorher war sie noch mit mir zu Fuß bei Reimers gewesen, schlief die Nacht vortreflich und wekte mich um 5 Uhr. Sie hatte mir erlaubt gegenwärtig zu sein; ich war ganz ohne Angst wozu es auch gar keine Veranlassung gab aber es war mir gar rührend zu sehn wie das Weib meines Herzens mit Schmerzen gebar und wie das Kind aus dem sichern aber dunkeln mütterlichen Schooß plözlich in die helle aber verworrene Welt getrieben ward. Mit welcher Innigkeit empfahl ich es Gott als es zuerst gereinigt ward und sich wohl gebaut und wohlgenährt darstellte. Meine Empfindungen haben etwas eigenthümliches weil mir jezt ohnerachtet ich vollkommen gesund bin öfter einfällt wie unwahrscheinlich es eigentlich ist daß ich lange die Entwiklung der lieben Geschöpfe werden leiten können. Elsbeth war mir höchst merkwürdig als sie das kleine Schwesterchen zum erstenmal sah. Das Kind hat immer ein ausdruksvolles Auge aber nie habe ich einen so tiefen Blik an ihr gesehn, und unverwandt strekte sie nach dem | 58 kleinen Wesen hin, und ruhte auch nicht eher sie mußte es mit ihren Händchen betasten, was sie aber auch mit der größten Sorglichkeit und Andacht that. Den andern beiden hatten wir schon das erste Mal vorher gesagt es werde ein Kindchen kommen aus dem Leibe der Mutter, und so war es ihnen auch dies mal vor einiger Zeit angekündigt worden. Hernach behaupteten sie ich hätte ihnen den Tag bestimmt, und zählten fleißig wie lange es noch hin wäre. Aber so zärtlich ist Friede noch nicht mit dem jezigen wie er mit Elsbeth war. Das jüngste sieht ihm übrigens ähnlich wie aus den Augen geschnitten, und aus den ersten Lebensäußerungen profezeihe ich das Mädchen wird ein gar praktisches Wesen wer- den von klarem Verstande rasch und entschlossen etwas herrschsüchtig. Jette hat Lust es auf diese Weissagung Therese zu nennen doch ist noch nichts fest beschlossen. Nur daß es mit Gottes Hülfe an Jettens Geburtstag soll getauft werden.



Ich bin unterbrochen worden und nun eilt die verheißene Gelegenheit so daß ich nichts weiter hinzufügen kann als daß alles fortdauernd möglichst wohl geht. Ich hoffe nächstens auf dieselbe Art wieder schreiben zu können und dann auch einen großen Brief an unsere Luise. Alles grüßt Euch Alle aufs herzlichste.

Der Auftrag den du der Herz gegeben hast ist zwar ausgerichtet wäre aber doch zu spät gekommen und wartet nun bis die Posten wieder offen sind; denn auf gut Glük geht doch dieser Brief auch nur.

Dein treuer Schleier

Sonnab d 15t.

Zitierhinweis

3740: An Charlotte von Kathen. Berlin, Donnerstag, 13.2. bis Sonnabend, 15.2.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007532 (Stand: 26.7.2022)

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