B. d. 1t. Sept. 1811.

Liebste Schwester, wie wird es Euch Lieben Allen wie vorzüglich Dir und der Pistorius sein daß wir nicht kommen! Ueberraschen wird es Dich grade nicht sehr denn noch nach Deinem lezten Briefe scheinst Du es nicht für sehr gewiß zu halten – aber freilich nun sind unterdeß unsre lezten Briefe g über den ursprünglichen Text geschriebenangekommen die den Tag unsrer Abreise bestimmen, da konnte wol niemand mehr eine Aenderung erwarten! Laß dir nun erzählen wie es ist. Angelegenheiten von unangenehmer Art die zu detailliren gar zu weitläuftig ist rufen mich auf sehr unerwartete Weise nach Schlesien. Dagegen war nun gar nichts zu machen. Nun war aber auch hernach noch als dies entschieden war daß meine Meinung, daß die andern ohne mich reisen sollten.-Auch hatte sich Jette schon einmal hineingefunden obwol mit sehr schwerem Herzen und der Fuhrmann war schon gemiethet als sich auf einmal die kriegerischen Gerüchte die sich seit einiger Zeit schon herumgetrieben hatten und auf die ich wenig gab so bedenklich erneuerten daß ich nachgeben und mich zu Jettens ursprünglicher Meinung wenden mußte. Denn erstlich wäre es leicht möglich daß sie nicht sobald wieder zurük könnte und dieser Gedanke war ihr in vieler Hinsicht uner- | 55v träglich, und er ist mir in einiger auch. Und dann können doch gar leicht Zeiten kommen wo 150 Thaler mehr ein großer Schaz sind, und wo wir uns dann über den liebsten und schönsten Genuß gar hätten Vorwürfe machen müssen. Sieh Liebe so geht es zu daß nun niemand kommt von uns. Nun liegt uns noch schwer auf dem Herzen wie es mit Luisen werden soll. Die Rühs, welche sie vielleicht mitnehmen konnte ist krank, und wer weiß ob und wann aus ihrer Reise etwas wird und ich fürchte Luise wird uns nun sehr ungeduldig werden wenn sich nicht bald eine gute Gelegenheit zeigt

Wie leid thut es mir nun daß ich nicht mehr und öfter habe schreiben können! ich tröstete mich so ruhig mit dem baldigen Sehn – und nun, wer weiß wann uns das bevorsteht! Daß man alles lernen muß entbehren in dieser Zeit, das ist sehr gut und schön; wenn man nur wenigstens seine Einrichtung darauf zeitig genug machen könnte. Indeß ist es sonderbar, daß so sicher auch diese Reise im Ganzen schien, wiewol durch die Amtsverhältnisse immer verzögert, ich doch gar kein sicheres Gefühl davon hatte vielmehr mich einer Ahndung als ob nichts daraus werden k über den ursprünglichen Text geschriebenwürde nie ganz erwehren konnte. Aber man darf doch so etwas nicht bei sich aufkommen lassen. | 56 Daß ich nie weniger Herr meiner Zeit gewesen bin als diesen Sommer weiß Gott, und doch habe ich außer den laufenden Geschäften nichts gethan als ein einziges neues Collegium ausgearbeitet kann ich freilich nicht sagen aber doch angelegt. Dank sei es dem Magenkrampf und den Kuren! Nun war ich seit wenigen Wochen so gesund und frisch als ich seit sehr langer Zeit nicht gewesen bin, ordentlich bis zum sprudelnden Uebermuth; und wie würde es die höchste Spize des Wohlbefindens gewesen sein nun so einige Zeit bei und mit Euch zu leben! Doch das Klagen hilft ja nichts liebste Lotte. Nur laß uns den Schaden soviel wir können ersezen. Heute ist mir nur freilich zu wehmüthig. Es ist mir als ob Rügen nun auf einmal viele hundert Meilen weiter weg gerükt, und als ob es ein höchst mißliches Unternehmen wäre jemals wieder hin zu kommen. Doch still daß es nicht auch klingt wie eine Ahndung. Die arme Sophie die sich gewiß so besonders innig auf die Kinder gefreut hatte! ach es ist recht traurig.

Was uns eingermaßen beruhigen sollte ist daß euer Zustand dort wirklich zu beklommen zu sein scheint um über den ursprünglichen Text geschriebenals daß ein recht gründlich heiteres Zusammensein möglich gewesen wäre. Ihr hattet freilich wol alles vergessen aber es wäre doch fühlbar gewesen, daß Ihr es nur vergäßet. | 56v Der Bruder Eures Zöglings, der einen Augenblik bei uns war, und sich die ganze Familie angesehn hat was mir damals eine sehr überflüßige Operation zu sein schien, hat uns viel Beruhigendes darüber gesagt, daß wie fest und sicher Kathen stände und die geistlichen Herren können ja wol auch zum Glük nie ganz untergehen. Das halte ich nun fest aber eure ganze Lage giebt mir doch ein sehr trübes Bild. Wenn es Euch helfen könnte: so wollte ich Euch beschreiben, wie es in vielen Gegenden unseres Staats besonders in Preußen aussieht nemlich hundertmal ärger als bei euch – Man muß alles Aeußere aufgeben und fest versichert sein, daß es von dieser Seite nur nach den schreklichsten Verwüstungen und Umwälzungen besser werden kann, und muß nur, damit diese kräftig und glüklich bestanden werden, wenn sie kommen, recht auf den Geist wirken. Das thue ich auf jede Art die in meinen Kräften steht; wie lange ich es noch können werde weiß Gott. Aber gern hätte ich Dir von dem Segen gesprochen den ich in dieser Hinsicht zu stiften glaube, und wie ich die Saat glaube kommen zu sehn, und Dir in diesem Gefühl und in meinem Leben mit Jette und den Kindern das volle seltene Glük gezeigt das ich mit vollem Bewußtsein in der zerbrechlichsten Schale trage. – Denn alles andre ist doch nichts. Dein schönes jeziges Leben soll ich also auch nicht mit Augen sehn, und dich fühlen lassen wie ganz und rein ich es verstehe! – Nun es ist nicht anders und muß also auch gut sein. Steht doch jezt Dein Bild so lebendig vor mir daß ich nur wollte Du sähest mich auch so.

Laß uns nun nur die Abwesenheit recht genießen so lange wir das können. Die herzlichsten Grüße an Kathen, und küsse mir all Dein Kindervolk an dem ich mich so gern erfreut hätte. Furchau sage nur daß ich mich seines lezten Briefes sehr gefreut hätte! – Ach es ist doch gar Schade daß wir nicht kommen. Ganz Dein allertreuster Bruder.

Schl

Zitierhinweis

3676: An Charlotte von Kathen. Berlin, Sonntag, 1.9.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007531 (Stand: 26.7.2022)

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