Berlin, d. 5t. Aug.

Es freut mich sehr zu hören lieber Freund daß Ihr euren Reiseplan nach unsern Wünschen abgeändert habt, und da Euer Aufenthalt auf jeden Fall noch in die Ferien fällt: so hoffe ich wir werden über recht vieles recht ruhig und fleißig mit einander plaudern können. Eigentlich also wäre das Schreiben gar nicht mehr nöthig und meine Faulheit konnte sich aufs herrlichste beruhigen. Ich h über den ursprünglichen Text geschriebenbin aber heute zum Unglük gar nicht faul son dern es treibt mich ordentlich ohngeachtet der Ungewißheit ob mein Brief Dich noch in Breslau trifft, und Du mußt schon aushalten. Bisweilen thut es mir doch leid daß ich nicht mehr im Departement bin, auch deshalb weil ich Deine Amtsthätigkeit so hübsch stillschweigend begleiten konnte und nebenbei doch auch von dem kirchlichen Wesen und Treiben mehr erfuhr als jezt. Dann auch nun Schwedisch Pommern preußisch wird, würde ich mir gern jene Provinz erbeten haben, wo es viel zu thun giebt und wo ich vielleicht manches leichter hätte bewerksteligen können, und es auch den Leuten leichter machen. Auch mit Nicolovius auf den ich so sehr viel halte bin ich durch diese Ver | 5vänderung ganz außer Berührung gekommen. In Ansicht der Zeit spüre ich fortwährend noch nicht viel Hülfe, was aber großentheils daran liegt, daß in den Angelegenheiten der Akademie bis jetzt alle Ordnung gefehlt hat, die ich erst hineinbringen will. Nun nimm dazu daß ich in unserer Sommerwohnung keine eigene Arbeitsstube haben konnte, da wir zwei Nichten unserer superwordmeiner Frau bei uns hatten, so daß ich im Anlauf aller Störungen war so wirst Du begreifen daß ich den Sommer über auch gar nichts wesentliches geleistet habe. Ich habe nur theologische Moral und Geschichte der alten Philosophie gele sen, ohne für eines dieser beiden Collegien ein neues Studium zu machen, an der Ethik habe ich so wenig gearbeitet daß es nicht der Rede werth ist ich steke noch immer in der Lehre vom höchsten Gut und was fertig ist, ist doch auch noch nicht einmal recht fertig. Mit Bekker habe ich den Dionysius Halicarnassenus gelesen (zum Behuf einer künftigen Rhetorik an die ich schon stark gedacht habe) aber ganz flüchtig so daß ich nichts darüber zu Papier gebracht habe. Dann habe ich angefangen den ersten Band des Platon zum Behuf eines neuen Abdruks durchzugehen womit ich noch beschäftigt bin; eben so habe ich ein Paar Abhandlungen die in den Memoiren der Akademie gedrukt sind überarbeitet Du kannst Dein Exemplar davon hier in | 6 Empfang nehmen, und einige akademische Klei nigkeiten habe ich machen müssen für die Leibnizische Sitzung die Preis aufgaben und jezt eine Abhandlung in der ich dem Sokrates zu vindiciren suche, daß er der Vater der Dialektik ist. Nun mußt Du aber auch be denken, daß ich seit Anfang Juni den Pischon verloren habe. Ich hatte theils Scheu wieder ein solches mißliches Verhältniß anzuknüpfen, theils war auch kein Mensch hier, den ich dazu hätte bekommen können, und so habe ich alles wieder selbst übernommen bis auf die untere Klasse der Katechumenen, wofür ich auch zum Glük schon wieder einen braven Kandidaten in Beschlag genommen habe. Bisweilen kann mich diese Be trachtung wie wenig ich gethan habe ganz mürbe machen da ich ja noch so manches zu thun übrig habe, meine Gesundheit ist gar nicht so schlecht gewesen daß ich es auf diese hätte schieben können; sondern es giebt mir oft das Gefühl daß ich stumpf werde, und daß ich mir vernünf tigerweise nicht viel Hofnung mehr machen kann auf eine recht produc tive Zeit. Das thut mir für viele Arbeiten die noch rükständig sind recht sehr leid. Diese Jeremiaden habe ich Dir voran schiken wollen damit wir die Zeit nicht damit verderben wenn Du hier bist. Noch manches habe ich Dir vortragen wollen worüber ich mich ärgere: doch das sind größ tentheils Berlinismen über die es doch anmuthig sein kann sich gegensei tig auszuschütten. Die höchste Formel für diese Berlinis | 6vmen wäre eine Ehe zwischen Hanstein und der Generalin Boguslawski, Schade daß diese unmöglich ist! Alles Gute fangen sie mit Eitelkeit an und verderben es durch Komödien; alle Welt hält sich darüber auf aber niemand hat das Herz sich thätig dagegen zu opponiren

Von den öffentlichen Angelegenheiten sage ich nichts. Man weiß zu wenig sicheres darüber. Daß Gneisenau an den politischen Conferenzen Theil nimmt ist doch etwas gutes und tröstliches. Daß man über die Aufkündigung des Waffenstillstandes noch nichts authentisches hört ist traurig, und daß man nirgend darüber laut wird wie erbärmlich die Oestreicher agiren die alle ihre Kunst und Kraft in den 4 Wochen des italienischen Feldzuges erschöpft zu haben scheinen. Der rheinische Mer kur soll nun wirklich aufhören: das ist ein herrliches Zeichen für eine künftige Preßfreiheit! Doch genug!

Nanny will durchaus noch dies Jahr zu ihrer Mutter reisen; wenn Ihr nicht mit eurem ganzen Hausstande schon einen über den ursprünglichen Text geschriebenein ganzer Wagen voll wäret, und es sich nicht zu sehr mit eurer Reise verzögert: so wäre es gar schön wenn sie mit Euch reisen könnte und nicht brauchte sich auf die ordinäre Post zu sezen. Doch das ist nur so ein Gedanke – Mittwoch reisen wir von hier ab nach dem Alexis Bade oder eigentlicher nach dem Harz. Meine Frau ist auch nicht ganz wohl und ich denke es soll ihr auch gut bekom men. In den ersten Tagen des Septembers kommen wir zurük; und ich wollte daß Ihr dann auch bald kämet. Die herzlichsten Grüße an Wilhel minen und an unsere Freunde.

Schleiermacher

Zitierhinweis

4161: An Joachim Christian Gaß. Berlin, Sonnabend, 5.8.1815, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007509 (Stand: 26.7.2022)

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