Breslau, den 27 März 1815.

Du erhältst diese Zeilen, mein theurer Freund, durch zwei meiner sehr fleißigen Zuhörer, Jäkel und Schwarz, die auch mit durch mein Zureden den vernünftigen Entschluß gefaßt haben, noch nach Berlin zu gehen. Freilich ist keiner von beiden ein vorzüglicher Kopf; auch haben beide nur geringe Mittel, fast nur Stipendien, ihre Studien fortzusetzen; aber sie waren bei uns immer ordentlich und fleißig und werden es hoffentlich dort auch sein, und so habe ich ihren Wunsch, sie Dir zu empfehlen, gerne erfüllt. Das Honorar wirst Du ihnen wohl erlaßen; kanst Du ihnen aber vielleicht zu einem Freitisch förderlich sein, so thue es, denn ich denke, sie werden es verdienen, wie sie es bedürfen und einst doch ihren Plaz aus füllen.

Zugleich überschikke ich Dir eine kleine Schrift über den Cultus mit der Bitte, wenn Du Zeit hast, doch hinein zu sehen. Was Du gutes darin findest, ist Dein Eigenthum und es wird mir schon lieb sein, wenn Du mich nicht unter Deine schlechten Schüler zählen willst. Die Fehler und die Ungleichmäßigkeit in der Ausführung wirst Du milde beurtheilen, wenn ich Dir sage, daß ich die Zeit dazu meinen Amtsgeschäften eigent lich habe stehlen müßen. Wäre sie ganz nach meinem Sinn gelungen, so hätte ich sie Dir dedicirt; aber es ist mein voller Ernst, wenn ich Dir sage, sie ist mir nicht so gerathen, daß sie deßen würdig wäre. Ich hatte auch die Hofnung, daß zwar nicht von der angeordneten Commißion, doch aber auf andre Weise etwas für unser zerfallnes | 97v Kirchenwesen geschehen mögte und wollte mit wirken, die entstandene Anregung lebendig zu er halten; auch glaubte ich Dies meinen öffentlichen Verhältnißen schuldig zu sein. Ja, ich dachte mir wohl die Möglichkeit, es dahin bringen zu helfen, daß Du aufgerufen wärst, Deine Stimme darüber zu geben. Aber jezt bereue ich fast, das Büchlein geschrieben zu haben, denn seine eigent liche Absicht ist schon vereitelt. Eine ganz andre Angelegenheit zieht wie der die allgemeine Aufmerksamkeit an sich und von der Kirche wird wohl nicht weiter die Rede sein. So etwas ließ sich allerdings erwarten und es ist auch gewiß gut, wenn die Menschen angehalten werden, das angefang ne Werk gründlich durchzuführen, denn was bis jezt geschahe, war nur oben hin. Aber ich fürchte, der lezte Betrug wird ärger werden denn der erste und denke an das alte deutsche Sprüchwort: Gott läßt den Leuten Nüße wachsen, aber er knakt sie ihnen nicht auf.

Wie geht es Dir, mein theurer Freund? So muß ich wohl fragen und Dich recht herzlich bitten, mir ein Wort darauf zu antworten. An allerlei Reden und wunderlichen Gerüchten, Dich betreffend, hat es hier nicht gefehlt. Wir haben aber nichts weiter davon geglaubt, als was Du selbst an Steffens darüber geschrieben hast und das war freilich auch genug. Daß Du aus dem Departement geschieden seist, ist mir aus Berl ge schrieben und hat auch schon in einer süddeutschen Zeitung gestanden. Es müßte aber ganz kürzlich geschehen sein, denn das lezte Reskript über die Abiturientenprüfungen war noch von Dir. (Beiläufig gesagt, Du hast ganz recht, aber glaube mir, es läßt sich hier nicht immer so machen wie man will.) Deine Stellung im Ministerium hat nie viel | 98 getaugt und was Du hättest bearbeiten sollen, ist schwerlich je in Deine Hand gegeben. Darum magst Du Dein Ausscheiden wohl rechtfertigen und es wird kein Hinderniß sein, unter günstigern Umständen, wenn sie je eintreten soll ten, Dich wieder zu rufen. Dahin wird es doch hoffentlich nie kommen, daß Du Berl verläßt und wenn Du meinst, Du würdest Dich nicht für den Staat intereßiren: so wißen wir wohl, daß du das nicht kanst. Es wird auch eine Zeit kommen und ich denke, sie steht nahe bevor, wo wir es alle müßen; denn es bleibt doch zulezt nichts anders übrig, als daß die Völker sich selbst helfen.

Von hier weiß ich Dir nichts zu sagen, was Dich intereßiren könnte. Steffens wird Dir nächstens schreiben. Er ist doch der tüchtigste, den wir hier haben und was man dort auch von ihm sagen mag, glaube mir, die Studenten lieben ihn mehr, als alle übrigen. Sonst aber wäre es ein schlechtes Lob, wenn von einem unter uns gesagt werden könnte, er sei hier allgemein geliebt. Studenten haben wir etwa 280 gehabt; aber wie viele werden davon noch in den nächsten Wochen übrig sein? Was geret tet wurde, kann leicht jezt verlohren gehen und so mit eine ganze Gene ration. Mein Gott, es ist doch schrekklich! – Ich habe vorigen Sommer Dogmatik zum ersten und Moral diesen Winter zum zweiten mahl gele sen, auch angefangen, über die leztere etwas zu schreiben. Eigentlich wollte ich Dogmatik und Moral gemeinschaftlich bearbeiten unter dem Titel: wissenschaftliche Darstellung des Christlichen Lehrbegrifs von sei ner theoretischen und praktischen Seite, nach Deiner Ansicht. Dies schien mir nothwendig, denn was Dich jezt beschäftigt, läßt Dich wohl vor der Hand nicht dazu kommen. Aber ich sehe auch nicht, wie ich die Arbeit vollenden soll, wie wohl ich fast allem Umgange entsage und ganz mei nem Beruf lebe. Aber wenn | 98v Du bedenkst, daß ich im vorigen Jahr 2000 Sachen bei der Deputation bearbeitet habe und die Aufsicht über das Seminar führe; so wirst Du mir glauben, daß ich Mühe habe, mich auf die Vorlesung ordentlich vorzubereiten. Jezt verlieren wir wieder einen Ar beiter aus dem Collegio, der schon als Adjutant einberufen ist und was Wachler sein wird, muß man erwarten. Es ist überhaupt nichts werth, 2 Aemter zu haben und wenn die Universität mahl zahlreich werden sollte, muß ich meines Gewißens halber ausscheiden.

Ich hatte Hofnung, Dich diesen Sommer oder Herbst zu sehen und schon ernstlich an eine Reise nach Berl und Pommern gedacht, könnte ich meine Arbeiten nur einiger maßen unterbringen. Was aber jezt ge schehen mag, weiß Gott und ich fange schon an, mich von dem Gedan ken daran zu trennen. Es wäre auch wohl gut, wenn einer von uns mahl dort sein und mündlich verhandeln könnte, über das was hier geschieht und noch Noth thut. An Süvern habe ich ohnlängst geschrieben, ihn auch nie vernachläßiget, und eben so wenig Nikolovius. Da ich aber weiß, daß es an Zwischenträgern hier nicht fehlt, und daß man dort mehr weiß, als wir hier selbst wißen; so habe ich freilich seltner geschrieben und den reinen officiellen Geschäftsgang durch nichts alterirt. Da aber Jeder wi ßen kann, was ich thue, so mag auch Jeder denken, was er will.

den 30ten. Die Sachen in Frankreich machen sich leidlich, wenigstens scheint es so. Aber damit ist doch wohl nicht alles gemacht, was ge schehen müßte. – Gieb von meinem Büchlein ein Exemplar an Nikolovius und eins an Süvern, empfiehl mich beiden. Schreiben werde ich ihnen nächstens heute ists nicht möglich, da ich eine Geschäftsreise nach Schweidnitz machen muß. – Wir sind gesund und unsre Kinder machen uns viel Freude. Grüße die Deinigen auch Reimers tausend mahl, auch den jungen Sack, wenn Du ihn siehst, auch ihm werde ich gewiß bald antworten. Lebe wohl, mein theuerster Freund, behalt mich lieb und schreib mir bald.

Gaß.

Zitierhinweis

4122: Von Joachim Christian Gaß. Breslau, Montag, 27.3. bis Donnerstag, 30.3.1815 , ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007508 (Stand: 26.7.2022)

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