Breslau, den 17 Apr. 1814.

Du must Dich billig wundern, mein liebster Schleiermacher daß ich Dir so lange nicht geschrieben habe. Aber ich kann Dir nicht verhelen, daß ich mich immer in Verlegenheit sahe was ich Dir antworten sollte, so oft ich auch Deinen Brief in dieser Absicht zur Hand nahm. Aber länger will ich es doch nicht anstehen laßen und zu Dir reden als zu meinem alten und theuren Freunde, Dein öffentliches Verhältniß ganz vergeßend, und so, daß die Mittheilung nur unter uns beiden bleibe. Denn wenn ich auch von andern verkannt werde und dar­über ganz ruhig bin, so kann ich doch nicht dulden, daß es von Dir geschehe. Es will sonst sehr bedenklich werden, an irgend Jemand zu schreiben, der Mitglied des Departement ist, da ein großer Theil der Mißverständniße zwischen diesem einer Seits und der Universität und geistlichen Deputation andrer Seits, seinen Grund hat in der unglükklichen Insinuation, die von hier dorthin priva tim gemacht worden und die dort nicht selten mehr Einfluß haben, als die amtlichen Berichte. Man kann nicht leicht irgend etwas sagen oder schrei ben, das nicht sofort gehörig erweitert und gehörigen Orts angebracht würde. Dabei geht alles von persönlichen Rükksichten und einer kleinli chen Leidenschaftlichkeit aus. Geschieht etwas bei der Universität, so wird nicht gefragt, was es sei, sondern wer etwa daran Theil habe. Erläßt die Deputation eine Verfügung, so sieht | 91v man solche nicht als den Be schluß eines Collegiums an, sondern als den Aufsatz des Concipienten, der doch für sich nichts, sondern nur etwas als Organ und Glied des Ganzen sein kann. Eine ordentliche Tätigkeit für das Kirchen- und Schul wesen ist man von den ehemahligen Ober­Consistorien nicht gewohnt gewesen; was also jezt geschieht, um wenigstens einiger maßen Ordnung und etwas Lebendigkeit hervorzubringen, das wird ziemlich auf meine Rechnung geschrieben, da ich der einzige von auswärts her versezte (hier zu Lande Ausländer genannt) bin, von den Guten mit einem Lobe und von den Schlechten mit einem Tadel, welche beide ich gar nicht verdiene. Ich darf gestehen, wie es mein tägliches Vornehmen ist, nur das Gute zu bewirken und dabei weder Ansprüche zu machen, noch nach persönli chen Rükksichten zu verfahren, und gleichwohl bin ich den Catholiken verhaßt geworden, ohne es den Protestanten recht zu machen. Das leztere hast Du mir selbst ein mahl geschrieben. Dabei kann freilich nichts Tüch tiges bewirkt werden; aber alles würde anders sein, wenn das Departe ment rükksichtsloser und kräftiger verführe. Die bekannte Verfügung, deren Du auch gedenkst mit dem Zusatz, „man habe Grund zu glauben die Sache sei meist von mir ausgegangen“ d.h. mit andern Worten so ist es dort denuncirt worden, kann Einen Irthum enthalten, wie wohl sich noch darüber streiten ließe, nach | 92 dem Reskript des Departements ist aber darin auch viel Gutes, worauf wir halten sollen, welches nun gar nicht möglich ist, weshalb es denn nicht anders sein kann, als daß die beßre Disciplin auf den hiesigen städtischen Gymnasien, die wir hervorbringen sollen, nicht zu bewirken ist. Und wer sind diese Angeber? Es sind die allerschlechtesten, die das Departement streng in ihren Schranken halten oder ganz wegschaffen sollte. – Es ist ohnehin kein Gehorsam mehr in der Welt und alle Verfügungen der Staatsbehörden werden von denen, wel chen sie gelten, schon mit der innern Ueberzeugung entgegen genommen, man brauche sich nicht daran zu kehren; wohin muß dies führen, wenn von oben her nicht anders verfahren wird.

Von diesem Handeln nach Nebenrükksichten kann ich Dir noch ein andres Beispiel geben. Das Gymnasium in Schweidnitz hat auch einen Nebenweg an das Departement gefunden und sich ohne viel Mühe eine jährliche Zulage von 1000 rthr aus unsrem Schulfonds bewirkt, ohn ­erachtet wir Noth und Mühe genug haben werden, wenn nur etwas Er trägliches aus dieser Anstalt werden soll. Dagegen haben wir für das hiesige reformirte Gymnasium, das sich durch Disciplin und Fleiß vor allen Anstalten des RegierungsDepartements auszeichnet und mehrere tüchtige Lehrer hat, auf einen Zuschuß von 500 rthr nur auf eine be stimmte Zeit angetragen, um einen alten 80jährigen Profeßor pensioniren und einen andern berufen zu können; erhalten aber zur Antwort, es brauchten nicht alle Lehranstalten an einem Orte | 92v in gleich gutem Zu stande zu sein, und wenn eins zurükkstände so hätte das Publikum dafür die andere. Welches doch nothwendig gemacht hat, daß wir noch ein mahl darüber berichten musten und ich denke jezt mit beßrem Erfolge.

Nicht anders geht es bei der Universität. Diese besteht aus drei ganz heterogenen Elementen, den alten Frankfurtern, den Catholiken und den neu berufenen Profeßoren. Diese wollen sich weder mischen noch verei nigen und da das Departement noch zwischen diese und sich selbst die vortrefliche Organisirungs-Commißion, die schon seit langer Zeit nur aus Einem Mitgliede besteht, (weil es füglich nicht weniger sein können) ge stellt hat und fortdauernd mit großer Aufmerksamkeit erhält, so giebt dies Anziehungen und Abstoßungen, die lächerlich genug wären, wenn die ganze Sache nicht den höchsten Ernst erfoderte und das Departement nicht offenbar einige vorzöge und andre zurükksetzte und oft genug bei des ohne Grund, oder auf den Grund der beliebten Privatinsinuationen. So wenig ich mich in diese Angelegenheiten mische und mich sehr fern von den handelnden Personen halte, so habe ich doch diesem Schiksal auch nicht entgehen können. Besonders aber ist es mir ungemein erfreu lich gewesen zu erfahren, daß die Einrichtung des akademischen Got tesdienstes vorzüglich deswegen noch nicht statt finde, weil ich die Sache aus Eitelkeit und um es den übrigen Geistlichen zuvorzuthun betrieben habe. Geärgert | 93 habe ich mich darüber nicht; es ist aber natürlich, daß ich mich nicht weiter darum bekümmre, da ohnehin durch die Geschikk lichkeit des Departements die Sache so eingeleitet ist, daß sie sich unfehl bar ganz zerschlagen muß, oder die Unterhandlungen mit den Catholiken darüber in diesem Jahrhundert nicht zu Ende kommen werden.

Für das Kirchenwesen geschieht bei uns am wenigsten, oder um es rein herauszusagen gar nichts. Und so kann auch mein Wunsch kein andrer sein, als daß es völlig auseinander weichen möge und das je eher je lieber, so wäre doch Hofnung, daß noch etwas neues entstehen könne.

Doch ich bin des Schreibens über diese Dinge müde und will Dir nur noch die Versicherung geben, daß ich von dem allen die Schuld nicht einzelnen Mitgliedern des Departements beilege, wohl aber weiß und be klage, daß das Ganze sich in Verhältnißen findet, worin es nichts thun kann. Dafür sehe ich auch keine Aenderung in der Zukunft, denn immer werden die Geistlichen und Schulangelegenheiten die vernachläßigte Par tie im Staat bleiben, die ein mahl dazu verdammt zu sein scheinen, immer einer ungeschikten Leitung übergeben zu werden. Man sagt hier der Mi nister Kircheisen würde Chef derselben werden und ich glaube es, weil er dazu der untauglichste ist. In solchen Umständen siehst Du wohl, daß meine Geschäfte mir wenig Freude | 93v machen und daß ich ihrer manch mahl sehr überdrüßig bin. Ich will Dir daher – doch unter uns gesagt – nicht bergen, daß mein Entschluß gefaßt ist, wenn Gott mir ein mahl wieder zu einer Kirche und Gemeine helfen sollte. Bis dahin muß ich ausharren.

Ob ich lesen werde weiß ich heute noch nicht. Zur Dogmatik, die ich angeschlagen habe, hat sich einer gemeldet und an Lust sie zu lesen fehlt mirs gewiß nicht. Hätte das Departement nicht so streng bestimmt, daß nur Studenten zu unsern Hörsälen zugelaßen werden sollten, so würden sich leicht Candidaten und junge Geistliche finden, die Dogmatik bei mir zu hören. Aber jezt wird es wohl nur bei diesem einen und so auch bei meinem guten Willen bleiben, da die Dogmatik erst im vorigen Semester gelesen und bis jezt erst ein Theologe inskribirt ist.

Ueber die öffentlichen Angelegenheiten mögte ich gerne mit Dir reden, denn des Schreibens mögte darüber leicht mehr werden als der Zeit und der Lust dazu. So viel aber will ich doch nicht verschweigen, daß jezt meine Sorge erst angeht und daß es mir sehr zweifelhaft ist, ob die neue Zeit, wonach sich alles sehnt, so nahe bevorstehe, als viele glauben. Auf dem Wege, der jezt eingeschlagen wird, kann sie nicht kommen und die warhaften Schöpfer, die würdig sind sie zu bilden und das künftige Heil der Welt zu gründen sehe ich auch noch nicht. Und so ist mir sehr war scheinlich, daß noch etwas kommen muß, woran wir nicht dachten. | 94

Zeit und Papier gehen zu Ende, ich muß also was ich Dir noch sagen wollte, eiligst zusammenfaßen.

Hast Du Deine Vorlesung in der Akademie über die Kunst zu überset zen nicht drukken laßen, oder kanst Du es nicht noch thun? Es wäre wohl gut und gerne mögte ich sie lesen.

Das neue Gesangbuch von Scherer ist fertig. Eine tüchtige und mit vielem Fleiß vollendete Arbeit, so weit ich sie durchgesehen habe. Nur scheint mir die Sammlung zu groß (über 1000 Lieder) denn eine Voll ständigkeit die nichts zu wünschen ließe ist weder zu erreichen noch auch eigentlich zu wünschen. Nach meiner Ueberzeugung wären einige 100 Lieder hinreichend, diese aber müsten die Gemeinen auswendig wißen. Die Vorrede könnte auch populärer sein, doch Du must die Sammlung selbst sehen.

Was macht Reimer? Ist er nicht zurükkgekommen. Grüße doch ihn und seine Frau und vergiß nicht mir zu sagen, wie es ihnen geht. Was hast Du wegen einer Badereise beschloßen und wohin wirst Du gehn? Ver nachläßige Deine Gesundheit nicht; dazu muß immer Geld sein. Wenn wir auch 1/3 vom Gehalt verlieren sollten, so denke ich doch meine Frau und Kinder auf einige Zeit wegzuschikken, wie wohl ich noch nicht weiß wohin. Ich hoffe wir bekommen ein mahl einen ordentlichen Sommer und den muß man nicht verpaßen. | 94v

Heute wird Glogau übergeben, nachdem durch die Blokkade über 2000 Menschen durch Krankheiten davor aufgerieben, ganze Dörfer zum Theil ausgestorben sind und die Gegend umher verwüstet ist. Blumen stein hat sich dabei so blamirt, daß das Publikum ihm jezt auch die Er oberung von Magdeburg und Hamburg auftragen und ihm das Bürger recht in Polkwitz schenken will.

Den Blanc kenne ich noch wohl. Hebt ihn doch auf für uns. Möller soll große Lust haben wieder nach Westphalen zu gehen und ich glaube er thäte recht wohl daran, denn die Zulage, die ihm das Departement ge geben hat, wird ihn nicht anders machen als er ist.

Wir sind gesund, nur die Kinder plagen sich mit einigen Frühlings übeln; sonst ist der Junge tüchtig und gedeiht sehr gut.

Noch ein mahl, laß, was ich Dir geschrieben habe, unter uns bleiben. Wir grüßen Dich und die Deinigen herzlich. Lebe wohl und antworte mir bald.

G.

Viele Grüße an die Röder von uns.

Zitierhinweis

4024: Von Joachim Christian Gaß. Breslau, Sonntag, 17.4.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007505 (Stand: 26.7.2022)

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