Was mich heute vorzüglich treibt Dir zu schreiben lieber Freund, denn zu einem ordentlichen gründlichen Briefe werde ich doch schwerlich kommen, das ist eine Angelegenheit eines jungen Mannes der mich sehr interessirt und dem ich heute Mittag bei einem Mahle welches mir einige ältere und jüngere Freunde an meinem Geburtstage geben nicht unter die Augen kommen mag ohne mein Versprechen erfüllt zu haben. Es ist der ehemalige Officier und jezige Student Mauderode der in einem Verhältniß mit der einen Beyer steht und welcher ich weiß nicht ob weiß oder vermuthet daß der Vater der seine Eröfnung darüber nicht günstig aufgenommen Dir darüber geschrieben hat. Der alte Mann scheint das  über der Zeileohne ihn abgeschlossene Verhältniß als einen Mißbrauch und Bruch der Hospitalität anzusehn und von dem Grundsaz auszugehen daß ein Mann nicht eher Wort geben und nehmen soll bis er sein Mädchen auch ernähren kann, welches doch in vielen Fällen nicht angeht. Ich weiß von Mauderode daß er lange Zeit das Verhältniß | 3v gern unabgeschlossen gelassen hätte daß aber die wie es scheint etwas krankhafte Stimmung des Mädchens das Gegentheil erfodert hat, und daß er sich hernach dem Vater eröfnet hat und es nicht verheimlichen wollte ohnerachtet er eine recht günstige Aufnahme nicht erwarten konnte, ist doch wol sehr lobenswerth und verdient nicht, daß der Alte sie nun gänzlich getrennt hat. Mauderode wird es bei seinen ausgezeichneten Talenten und seinem Ernst und Anstrengung nicht fehlen seinen Weg zu machen und er ist ein Mensch von solchem Charakter daß sich wol niemand einen besseren Schwiegersohn wünschen kann. Er begehrte nun von mir, ich möchte dich doch au fait von der Sache sezen wie sie ist, weil er besorgt des Alten Darstellung möchte nicht etwas sehr einseitig ausfallen. Kannst Du beitragen ihn zu einem gemäßigten und verständigen Verfahren zu bewegen: so thust Du gewiß ein gutes Werk; willst du dich ehe Du Deinen hausfreundlichen Rath giebst erst näher von den Umständen unterrichten so wende Dich nur mit Deinen Fragen an mich ich will Mauderode verhören und stehe für die größte Genauigkeit und Redlichkeit seiner Antwort. | 4

Von Deinem Aufsaz über die Kirchenzucht ist mir nichts zu Gesicht gekommen und da diese Sache sich gar nicht eignet im Unterrichts Departement verhandelt zu werden so werde ich ihn wol auch nicht eher sehn bis die Acten zu bekommen sind d.h. bis die Sache abgemacht ist. Die Hauptschwierigkeit scheint mir die zu sein daß die Unterwerfung unter die Kirchenzucht eine durchaus freiwillige sein muß d.h. daß man es in die Willkühr eines jeden stellen muß ob er sich für seine Person zu einer christlichen Gemeine halten will oder nicht. Das werden viele für zu gewagt halten und den Untergang der Kirche davon besorgen und besonders Schukmann glaube ich wird in so etwas niemals eingehen

Ueber der Synodalsache bin ich noch hoffe aber sie diesen Monat noch für mein Theil zu beendigen. Die erste Form der Sache muß doch eine Art von Uebergangsform sein und die doppelte Person die der Superintendent agirt muß etwas mühsam auseinandergehalten werden. Daran habe ich denn noch eine Weile zu kauen.

Pischon hat mich heute Morgen überrascht mit einem kleinen Bändchen überschrieben „Predigten von Schleiermacher 1812“[.] Es sind zwölf Predigten aus diesem Jahre die er sehr sauber nachgeschrieben hat sodaß sie leicht zu druken sein würden. Es ist mir eine sehr | 4v große Freude gewesen, und es stekt eine ungeheure Mühe darin. Ja lieber Freund ich kann es sehr fühlen wie die Kanzel Dir fehlt und Dir recht herzlich wünschen daß Du bald eine habest. Nur wäre es jezt zu früh ungeduldig zu sein. Denn so lange es noch so viel zu organisiren giebt in der Deputation und Du so allein darin stehst würden Dir doch regelmäßige Pfarrgeschäfte zu viel werden. Ich wüßte es ohne Pischon nicht zu zwingen und meine Departementsarbeiten sind doch mit Deinen Deputationsgeschäften gar nicht zu vergleichen. Verlernen wirst Du es sobald noch nicht.

Ich arbeite mir jezt vor zu Compendien der Ethik und Dogmatik, bis jezt habe ich noch ohne Lücke geschrieben und die erste denke ich dann wo möglich noch im künftigen Jahre fest über den ursprünglichen Text geschriebenfertig zu machen, die lezte aber wol nicht eher bis ich wieder lese. Daß Du wieder Moral liesest ist zuviel, und es ist eine Maxime die hier gar nicht angenommen ist daß alle HauptCollegia jedesmal im LectionsCatalog stehn müssen. Am Ende müssen ja die Zuhörer ausgehn und man fatigirt sich unnüz. Schreibe nur darüber einmal an Süvern.   Heindorf und Steffens grüße herzlich und sage ihnen wie ich immerfort schreiben wollte aber nie dazu käme. Bange ist mir für den ersten noch nicht ich habe ihn schon zu oft so gekannt. Wenn er nur in Breslau genug belebendes Element hat und das Leiden mit der Frau erst überstanden hätte. Aber wie er das in Breslau überwinden will weiß ich freilich nicht. Lebe wol lieber Freund. Wenn ich Mine nun grüßen lasse kann es sie gar nicht einmal freuen weil sie es sich bestellt hat. Aber wenn sie mich schelten will soll sie es ja hübsch schriftlich selbst thun; ich brauche recht wieder einmal einen Brief von ihr.

Schl.

Zitierhinweis

3816: An Joachim Christian Gaß. Berlin, Sonnabend, 21.11.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007499 (Stand: 26.7.2022)

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