Breslau, den 23 Febr. 1812

Die freundliche Auffoderung unsers Steffens, Dir gemeinschaftlich mit ihm zu schreiben, mehr aber noch das eigne Verlangen, dir zu sagen, wie sehr uns dein lezter Brief erfreut hat, sind die Veranlaßung dieser schnellen Antwort. Wie zusehends sich das Häuflein lieblicher Kinder in Deinem Hause mehrt und Du den empfangenen Segen schon verdoppelt hast! Aber hilf Himmel, wo sollen alle Mädchen bleiben, da sich alles immer mehr anschikt den Jungens, die gebohren werden, einen ganz andern Beruf anzuweisen, als ein Weib zu nehmen und ein eignes Haus zu haben! Am Ende wird man doch die Nonnenklöster wieder hervorsuchen müßen, die man jezt so emsig wegschaft. Armer Freund, ich habe Dich aber doch bedauert, denn recht gerne hätte ich Dir einen Jungen gewünscht, nicht eben, weil Du im voraus Deiner Sache damit schienst so gewiß gewesen zu sein – denn das kanst Du unmöglich umsonst haben, wie Dir Wilhelmine noch auf ihre Weise sagen wird – sondern damit Du auch daran Deine Kraft hättest versuchen können, Deinen reinen und deutschen Sinn auf eine männliche Nachkommenschaft zu bringen. Tröste Dich indeß nur mit mir, denn es scheint, als könnte ich es auch nicht ein mahl mehr bis zu einem Mädchen bringen. Ich hatte noch eine stille Hofnung auf die Badekur meiner Frau gesezt; aber so gut sie ihr auch sonst bekommen ist, der lebendige Erfolg bleibt noch immer aus. Ich bin aber damit zufrieden und am wenigsten kann es mich abhalten, mich recht herzlich mit Dir Deines häußlichen Glükks zu freuen. Der Himmel erhalte, was er Dir beschert hat und segne ferner Deine Studien. Wir grüßen freundlich die glükkliche Mutter und versichern sie von unsrer aufrichtigsten Theilnahme.

Die Synodalordnung ist in den Weihnachtsferien fertig geworden und so gleich abgeschikt. Zugleich aber schrieb ich auch an Nikolovius, den ich lange nichts von mir hatte | 78v hören laßen und gab ihm ganz deutlich zu erkennen, wie es mir bei aller Achtung gegen die übrigen geistlichen Herren des Departements, sehr gerathen scheine Dich bei den neuen Anordnungen des Kirchenwesens zuzuziehen. Da dies gar nicht als etwas unter uns etwa verabredetes angesehen werden kann, so sehe ich auch keinen Grund, es zu verschweigen. Zu meiner Freude hat er es auch gut aufgenommen und mir so gleich geantwortet, es seien alle Regierungen über den Gegenstand gefragt und es sei schon beschloßen, daß auch Du darüber gehört werden solltest. Darum schikke ich Dir den Entwurf nun nicht; zu seiner Beurtheilung aber muß ich noch bemerken, daß die dazu gehörige Gemeinde Ordnung und das Schulreglement noch fehlen, mit welchen die Synodalordnung gemeinschaftlich erst etwas Ganzes werden kann. Die wissenschaftlichen Beschäftigungen der Geistlichen sind in mäßige Grenzen gehalten, weil ich lieber wünsche sie künftig steigern zu können, als in der ein mahl aufgestellten Foderung gleich anfangs nachlaßen zu müßen. Uebrigens ist mein Bestreben gewesen, die Einrichtung so einfach als möglich zu machen und nichts aufzustellen, was als unthunlich so gleich zurükkgewiesen werden müßte. Wie ich Deinen Aufsatz benuzt habe, wirst Du gleich finden, und wenn es mir gelungen wäre Deine Idee ausgeführt, ohne sie entstellt zu haben, so würde ich mich sehr freuen. Die beiden andern Arbeiten will ich in den Ferien vornehmen, ob ich gleich in Ansehung der GemeindeOrdnung noch rathlos bin, weil sie die Basis einer nothwendig herzustellenden Kirchenzucht werden mus. Dies ist eine ungemein schwere Aufgabe.

Das Departement scheint auch mit einer neuen Liturgie umzugehen. Verhüte nur,  korr. v. Hg. aus: dasdaß Ribbek und Hanstein den Geistlichen nicht ihre schlechten Formulare in den Mund stekken. Wir sind gefragt worden, wie es mit der Liturgie bei uns stehe, nicht aber um unsere Meinung darüber. Nach meiner Ansicht muß eine neue Liturgie das Werk der Kirche, nemlich des Clerus selbst sein und ein fixirter Gegenstand aller Synodal | 79konvente bleiben. Erst mus die Geistlichkeit selbst zu einem kräftigen Leben erwachen, ehe es beßer wird, sonst töten sie alles, was ihnen auch als Lebendiges gegeben wird. Was bis dahin zu thun wäre, mögte sich auf sehr wenige Vorschriften reduciren. Scherer aus Jauer hat mich auch besucht und mir die ganze Sammlung zu seinem Gesangbuche mit gebracht. Dies kann eine recht tüchtige Arbeit werden; sie wird aber kaum in Jahr und Tag vollendet sein.

Du hast ganz Recht, Bredow wird uns alle und die Akademie selbst in Verlegenheit bringen. Es ist mir selbst wahrscheinlich, daß er beßer wird und vielleicht auch die Nase noch in leidlicher Form mit aus dem Krampfe bringt, schwerlich aber dürfte seine Sprache dieselbe bleiben. Bis jezt ist er indeßen noch so elend, daß er nicht auf den Füßen stehn kann. Verbergen ließ sich die Sache leider nicht, da Bredow den Schaden schon mit nach Breslau gebracht hat und das lange Verheimlichen sein ganzes Unglükk ist. Berends zum Arzt zu nehmen, dazu war er nie zu bewegen, und die frühern Verhältniße zwischen beiden gestatteten es auch kaum. Jezt steht die Sache verzweifelt, die ganze Stadt, alle Studenten wißen darum und die Catholiken haben längst eine Schadenfreude darüber merken laßen, die mich oft empört hat. Nach der Stimmung unter den Profeßoren zu urtheilen, so wäre es wohl allgemeine Meinung und allgemeiner Wunsch, das Departement möge ihn versetzen, ihn nach Königsberg schikken und Hüllemann hierher kommen laßen. Daß er überhaupt hier bleiben könne, scheint nicht gut möglich zu sein. Ich sehe die Sache als das erste Unglükk der Universität an, weßhalb sie im Fall seiner völligen Genesung, nicht ignorirt werden kann. Neigt es sich damit erst mehr zur Entscheidung, so will ich Dir noch andres schreiben, was hierbei noch scheint beachtet werden zu müßen.

Meinem Collegen Augusti thust Du unrecht. Wir haben längst über die Encyklopädie gesprochen und er hat mir nicht nur sehr gerathen, darüber zu lesen, sondern auch geäußert, er hoffe auf dem historischen Wege dahin zu kommen, wohin du durch die Spekulation gedrungen seist, welches jedoch auf die Encyklopädie eigentlich nicht zu paßen scheint, son- dern wohl mehr von der gegenwärtigen | 79v Behandlung des orthodoxen Lehrbegrifs gelten mag. Jene Aeußerung in Weimar war mir schon bekannt, und bezog sich eigentlich auf das Sendschreiben über den Brief an den Timotheus  korr. v. Hg. aus: daßdas er eingesteht, anfangs als einen Scherz angesehen zu haben, nemlich damit die wunderliche Art zu verspotten, wie damahls über das Entstehen der Evangelien raisonirt ward. Wenn Du ihn kenntest, würdest Du so etwas an ihm natürlich finden. Er ist ein sehr tüchtiger Orientalist, und Kirchenhistoriker; die wissenschaftliche Behandlung der Theologie wird ihm schwerlich je gelingen. Uebrigens habe ich an ihm einen lieben Collegen und dies ist das erste mahl, daß mir so etwas begegnet.

Das Semester ist gleich abgelaufen und ich freue mich mit der Zeit so leidlich zu reichen. Für die Apologetik ist sie mir zu lang gewesen, denn diese habe ich vorgestern geschloßen, theils um sie nicht über ihr natürliches Maas auszudehnen, theils um die ersparte Zeit der Ethik zulegen zu können, wobei ich sonst nicht reichen würde. In beiden Collegien haben die Zuhörer treu ausgehalten, (die Apologetik schloß ich mit 30) und ich wünschte nur mit mir selbst nur halb so zufrieden sein zu können, als mit ihrem Fleiß. Jedoch ists noch leidlich gegangen und ich hoffe, die Moral soll schon werden, wenn ich sie noch einige Mahl lese. Die Darstellung des Christenthums wird zum zweiten Mahl auch beßer gelingen. Ich will nun, was zu beiden gesammelt ist, den Sommer über liegen laßen und die Encyklopädie mit allem Fleiß angreifen. Die angekündigte Homiletik denke ich mit dem zu errichtenden theologischen Seminar in Verbindung zu bringen. Doch darüber künftig mehr. Jezt ist die Zeit zu Ende. Für die Nachricht über unseren akademischen Gottesdienst danke ich, er wird doch hoffentlich diesen Sommer eingerichtet werden können. Wie viel könnte und sollte ich Dir eigentlich noch schreiben. Ich muß es aber schon laßen. Wir haben in dieser Woche Examen und das will auch seine Zeit haben. Heindorf läßt grüßen, er leidet noch etwas am Husten, doch ists erträglich und er kann wenigstens in seinem Hause lesen. Lebe wohl, grüße Dein Haus, Reimers und unsre Freunde von Deinem

Gaß

Zitierhinweis

3749: Von Joachim Christian Gaß. Breslau, Sonntag, 23.2.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007496 (Stand: 26.7.2022)

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