Breslau, den 8ten Decbr. 1811.

Es bietet sich mir eine gute Gelegenheit dar, liebster Schleiermacher Dir die Schrift von Marheinike zu überschikken, die Du vermuthlich hier vergeßen hast, denn ich wüßte nicht, wem sie sonst gehören sollte; auch dächte ich, Du hättest davon gesagt vor Deiner Abreise. Dabei will ich nicht ermangeln, Dir einige Nachrichten von uns mitzutheilen, vorzüglich solche, die Dich intereßiren können.

Mit unsrer Universität scheint es für den Anfang recht gut zu gehen. Fast alle Profeßoren lesen, nur die, welche zu spät anlangten, haben keine Zuhörer mehr gefunden, weil die jungen Leute sich schon früher vertheilt hatten. Dies ist natürlich, zu mahl da die Zahl der Studirenden auch die Catholiken mitgerechnet kaum zu 200 angewachsen und sonach viel geringer ist, als wir wol alle erwartet haben. Solche, die zum ersten mahl die Universität besuchen, sind unter den Protestanten wenige, die meisten haben schon auswärts studirt und scheinen die neue vaterländische Anstalt nur noch auf kurze Zeit durch ihre Gegenwart zieren zu wollen.

Was meine Wenigkeit betrift, so lese ich die christliche Moral privatim und die Apologetik öffentlich. Zu jener mußte ich mich auf Zureden meiner Collegen kurz entschließen, denn man wollte sie wenigstens im Lektionskatalog nicht fehlen laßen. Es ist mir nun auch recht lieb, denn ich habe 22 recht fleißige Zuhörer und offenbar wäre es ein Mangel gewesen, wenn dies Collegium niemand gelesen hätte. | 76v Darneben aber kann ich nicht bergen, daß es mir viel Mühe macht. Denn so herrlich mir das, was ich mir aus Deinem Vortrage darüber notirt habe, auch zu statten kommt; so muß ich es doch für meinen Zwekk ganz anders verarbeiten. Die Studenten, besonders die welche aus Frankfurt kamen, haben von einer wissenschaftlichen Behandlung der Theologie gar keine Vorstellung; alles ist ihnen fremd und neu. Ich habe mich daher bei der Einleitung sehr lange aufhalten müßen, um ihnen nur begreiflich zu machen, wovon die Rede sei. Und obgleich der Gegenstand jezt schneller fortschreitet, so sehe ich gar nicht, wie ich fertig werden will. – Die Apologetik muß ich ganz neu ausarbeiten und die 2 Stunden in denen ich sie lese, machen mir fast mehr Mühe, als die Moral. Es geht aber leidlich; die mehr als 40 Zuhörer, die sich dazu eingefunden haben, erhalten mich bei gutem Muth und es macht mir keine geringe Freude, daß doch den jungen Leuten ein Licht aufgeht und schon mehrere versichert haben, sie erführen nun doch, was das Christenthum sei. Bei diesem scheinbar guten Erfolge will ich es nicht in Anschlag bringen, daß mir meine Vorlesungen wöchentlich 30 Stunden Vorbereitung kosten. Will man selbst etwas ordentliches lernen, so muß man Profeßor werden, das sehe ich wohl, nur leider komme ich zu spät in diese Laufbahn und etwas Tüchtiges kann es nicht mehr mit mir werden. Doch will ich treu aushalten, bis ich 50 Jahr alt bin, dann aber zum Bud gehn, nicht um Papst, sondern um wieder Geistlicher in einer Gemeine zu werden. Ohne Dich würde | 77 ich auch jezt zu nichts taugen, daher ich auch so oft ich auf das Catheder gehe, Deiner gedenke mit großer Liebe und herzlicher Freude, daß wir uns haben kennen gelernt.

Ueber den akademischen Gottesdienst ist noch nichts erfolgt, wie ich nach Deinem Briefe hofte. Die Catholiken haben sich indeß nicht darnach aufgehalten, sondern gleich nach Eröfnung der Universität von der Kirche wieder Besiz genommen und ihren Gottesdienst ordentlich mit einer darauf Bezug habenden Predigt eröfnet. Dies ist ganz recht; aber unrecht finde ich es, daß für die Protestanten keine Einrichtung getroffen wird. Dies ist zunächst die Schuld der OrganisirungsCommißion, die noch ich weiß nicht wozu besteht, da die Universität ihren Senat und Rektor hat, durch welchen sie ohne Zwischeninstanz unmittelbar mit dem Departement zusammenhängt. Da nun ehehin Schulz, der instar omnium war, in Berlin, Bredow fortdauernd und ohne alle Hofnung der Wiedergenesung krank ist, so bleiben nur Skeyde und Neumann übrig, die an sich auch für nichts zu rechnen sind. An diese kann ich mich wegen des Gottesdienstes nicht wenden. Wenn aber vor Neujahr keine nähere Bestimmung erfolgt, so habe ich fast Lust, unmittelbar an das Departement zu schreiben, damit wenigstens Ostern der Gottesdienst anfangen kann. Was meinst Du dazu? Vielleicht hast Du in den Weihnachtsferien Zeit, mir darüber zu schreiben. Die lange Zögerung schadet offenbar der Sache und hat ihr schon geschadet und irgend eine Bestimmung muß doch erfolgen, man mag sie versparen so lange man will. | 77v

Von unsres Steffens Wirksamkeit unter uns wirst Du schon wißen. Er bringt eine heilsame Bewegung in die Köpfe vieler Menschen, nur Schade, daß er wenig vorfindet, woran seine Ideen sich knüpfen laßen, weßhalb Mißverständniße unvermeidlich sind. Etwas Gutes kommt aber aus der Gehrung doch auf jeden Fall hervor. – An Augusti habe ich einen recht herzlichen und lieben Collegen erhalten. Er besizt einen großen Schaz von Kentnißen und wird der Universität sehr nüzzen können. Auch Möller ist als Mensch gewiß im hohen Grade verehrungswerth; er scheint mir aber mehr Geschikk zu haben zu einem Geschäftsmann, als zu einem Profeßor und wollte man Einen Reformirten herrufen, so glaube ich doch, daß man einen tüchtigern hätte finden können. Augusti wenigstens meint, der Blanc in Halle sei weit vorzuziehen.

Die Ausarbeitung der Synodalordnung muß ich bis zu den Weihnachtsferien verschieben, dann aber [soll] sie auf jeden Fall fertig werden. In dem an das Departement zu erstattenden Jahresbericht werde ich noch einige andre das Kirchenwesen betreffende Gegenstände in Anregung bringen. Noch denke ich Dir einen Extrakt von beiden zur Ansicht und Prüfung – wenn Du dazu Zeit hättest – mittheilen zu können, da Du leider officiell nicht zur Kentniß dieser Dinge komst. Hier haben die Leute den Kopf voll von der Aufhebung der Regierungen, dies würde auch eine andre Leitung der Geistlichen und Schulangelegenheiten nach sich ziehen. Wird es keine kräftigere und beßre, so bleibe es lieber wie es ist. – Deine Schwester hat mir geschrieben, sie wünscht ein Frauenzimmer Lexikon und einige kleinere Sachen, die ich ihr besorgen werde.

Wir sind alle wohl und wünschen, daß Ihr es auch seid. Tausend Grüße an die Deinigen und an Reimers. Heindorff läßt grüßen, er hat von allen Profeßoren ziemlich die meisten Zuhörer und es geht ihm wohl. Von Honorar ist dies mahl wenig die Rede gewesen.

Lebe wohl! mit herzlicher Liebe der Deinige Gaß


Zitierhinweis

3710: Von Joachim Christian Gaß. Breslau, Sonntag, 8.12.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007494 (Stand: 26.7.2022)

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