Berlin d 11t. Mai 11.

Freilich liebster Freund haben Sie sehr Ursach über uns zu klagen. Ich will mich auch gar nicht weiter rechtfertigen, Sie wissen wie es geht. Daß ich viel zu thun habe brauche ich Ihnen nicht vorzuzählen; indeß glauben Sie doch vielleicht nicht daß meine Collegia soviel Zeit wegnehmen als sie wirklich thun. Ich habe zu meiner Exegese nur sehr unzureichende Notate; ich muß fast so vorarbeiten was das einzelne betrift als ob ich die Briefe nie erklärt hätte (bei den Römern wird es noch ärger werden denn da habe ich auch keine Silbe aufgezeichnet) und vergleiche jedesmal den Koppe den Grotius und den Oecumenius, ein andermal sollen Andere daran. Die Ausgabe arbeitet sich so freilich vor aber nur sehr allmählig. Zur Dogmatik verglich ich als ich sie das erste mal gründlich las den Quenstaedt, jezt den Gerhard; die Einleitung war ganz neu indem ich alles hiehergehörige aus der philosophischen Theologie beigebracht habe | zum Aufschreiben bin ich aber gar nicht gekommen und muß mich auf Pischon verlassen der zu meiner Freude sehr gut nachschreibt. Und nun gar die Dialektik diese kostet eine schmählige Zeit. Der Entschluß hatte lange in mir gewurmt ich bin aber doch froh daß er zum Durchbruch gekommen ist. Als ich anfing waren mir erst die Hauptmassen klar, nun verbreitet es sich allmählig mehr ins Einzelne, und ich hoffe das Ganze soll gut werden. Ich lese vor 60 Zuhörern etwa und mag wol die Mediciner ausgenomen diesmal das stärkste Auditorium haben. Nun nehmen Sie dazu daß ich seit Neujahr mit wenigen Unterbrechungen am Magenkrampf auf eine zum Theil furchtbare Art gelitten habe so daß ich oft mehrere Stunden ganz erschöpft von dem im Krampf vollbrachten zweistündigen Lesen auf dem Sofa liegen mußte. Die Ansprüche des geselligen Lebens kann und will ich auch nicht ganz abweisen und so sehn Sie wol wie ich überall ins Gedränge kommen muß.   Mit Ihrem Graf Stosch ist es mir übel gegangen[.] Er fand mich nicht als ich ihm superworder mir Ihren Brief brachte, ich fand ihn zweimal | nicht in seinem Hotel, wir sahen damals keine Leute da meine Frau noch Wöchnerin war und als ich ihn bei erster Gelegenheit einladen wollte war er fort. Der zweite, den Sie mir geschikt haben, Herr Günzburg, hat hier mit seinem Vorhaben eine Art von Aufsehn gemacht was ich bestens gesucht habe zu beschwichtigen. Recht orientiren kann ich mich aber auch noch nicht darin denn diese Art von Mischung von Christenthum und Judenthum auf die er es doch eigentlich anzulegen scheint will mir nicht zusagen, und an eine solche Verb über den ursprünglichen Text geschriebenVerwandlung des jüdischen Gottesdienstes wie er sie wünscht ist wol auch nicht so bald zu denken. Ueberdies scheint man von oben her die Aufhebung besonderer jüdischer Schulen sehr zu wünschen und so fürchte ich daß er auch äußerlich mit seiner ganzen Idee durchfällt, war mir leid thun sollte

Mit Ihrer Universität ist es ja nun ganz gewiß und es wird aufs stärkste daran gearbeitet. Ich weiß nur wenig authentisches davon, denn die Sache ist in einer besonderen Conferenz verhandelt worden. Bredow hat Ihnen gleich selbst geschrieben und nun ist leider auch entschieden daß Heindorf hinkommt, was ich für sehr nachtheilig halte und aus allen Kräften dagegen protestirt haben würde wenn ich gefragt worden wäre. Wir | verlieren ungleich mehr als Sie gewinnen, und es wäre auf jeden Fall besser gewesen den treflichen Becker der jezt noch in Paris ist nach zu schikken. – Nicolovius fragte mich Gestern in der Sizung ob auf Sie wol zu rechnen wäre für die Universität; ich gab eine unbestimte Antwort weil ich Ihre Meinung nicht weiß. Sagen Sie mir doch recht bald etwas bestimtes darüber. Meine Meinung ist diese, daß es sehr schön wäre wenn Sie etwas läsen für die Universität und für Sie. Aber es ist mir wichtiger daß Sie wieder Prediger werden, und Rath, Pastor und Professor alles dreies ordentlich ist zu viel, das sehe ich an mir der ich doch als Rath viel weniger zu thun habe als Sie. Wegen des Universitätspredigers hatte ich früher mit Nicolovius gesprochen. Wir meinten beide da die Universität eine völlige Parität darstellen soll: so würde man dann einen katholischen ebenfalls einsezen müssen, und das wäre schwierig. Nun aber habe ich gehört daß ein katholischer schon da ist, und so ginge es wol desto eher. Ob Ihrer in dem Bericht in dieser Hinsicht erwähnt ist weiß ich nicht. Mir wäre es immer lieber wenn Sie an Hermes Stelle kämen, durch eine eigentliche Gemeine würden Sie doch glaube ich mehr Einfluß auf den Geist der Stadt gewinnen und das wünschte ich so sehr.

Ihre Predigten habe ich noch nicht eigentlich gelesen | aber von dem Thee schon desto mehr getrunken und auf Eure Gesundheit dabei angestoßen. Schulz habe ich auch seit seiner Rükkunft nur einmal ganz flüchtig gesehn und er hat mir noch wenig von Ihnen und dem dortigen Leben erzählen können. Ich wünschte ich käme recht bald dazu wieder nach Schlesien zu reisen, um Ihr Leben recht zu sehn. Wollte Wunster jezt sterben und man wollte mir seine Prediger und ConsistorialRathStelle geben und mich zum ersten Professor der Theologie machen so ginge ich mit tausend Freuden nach Breslau. So wenig ich sonst glaubte dort leben zu können: so schön denke ich mir kann es jezt werden mit der Universität. Doch das sind Träume.

Reimer ist auf der Messe, die Seinigen sind wohl und grüßen. Manon oder vielmehr Stavenhagens, Mann Frau und Kind werden nächstens hier erwartet. Reimers Badereise nach Schlesien ist so ein Gedanke gewesen von dem jezt nicht mehr die Rede ist.   Sie sprechen auch dort von einer Rheinreise wie wir jezt von einer Reise nach der Schweiz für ⎡nächst über den ursprünglichen Text geschriebenkünftiges Jahr sprechen. Ich habe versprochen wenn die Universität in Flor bleibt und ich drei Semester Honorar ersparen kann (dies halbe Jahr habe ich 62 Friedrichsd’or eingenommen, ohnerachtet es soviel testimonia paupertatis (?) daß alle Professoren darüber seufzen) so | will ich es möglich machen.

Verzeihen Sie mein schlechtes Schreiben, es ist auch Eile! – Tausend Grüße an Wilhelmine. Noch eine Bitte. Lassen Sie mir doch aus dem reformirten Kirchenbuche meinen Taufschein besorgen Behufs der Einkaufung meiner Frau in die Wittwen Casse er ist Anno 1768 zu suchen, und schikken Sie mir ihn gelegentlich.

Die Meinigen sind Alle wohl und grüßen herzlich. Daß wir Luise Willich, die Schwester meines seligen Freundes bei uns haben habe ich Ihnen wol schon geschrieben.   Adio und lassen Sie uns recht bald wieder von Sich hören.

Schleiermacher


Noch Eins. Das MilitärDepartement will die Sache wegen der Militärschule jezt an die Regierungen spielen wahrscheinlich um bessere Bedingungen zu erhalten als wir ihnen vorgeschlagen haben. Sie werden alle unsere Verhandlungen erhalten; laßt Euch nur ja nicht prellen und den Communen unnüze Lasten aufladen.

Zitierhinweis

3630: An Joachim Christian Gaß. Berlin, Sonnabend, 11.5.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007488 (Stand: 26.7.2022)

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