Schon einige Zeit ehe Ihr erster Brief ankam waren wir nach den Andeu tungen der lieben Kathen darauf gespannt ob nicht bald eine Nachricht einlaufen würde. Ihr Brief kam nun grade so zur rechten Zeit daß ich am Tauftage zu Mittag die Nachricht mit hinaus bringen konnte in unsere Christianen wohl bekannte Gartenwohnung, und daß wir bei Tisch in derselben Stunde die Sie als zur Taufe bestimmt anführten des kleinen Ankömmlings und seiner Eltern Gesundheit mit der herzlichsten Theil nahme und unter den frömmsten Wünschen trinken konnten. Freilich nicht ohne daß es uns wieder recht aufs neue aufs Herz gefallen wäre, wie sehr jung das neue Mütterchen doch eigentlich ist und wir deshalb zwie fach Ursach hatten zu wünschen, daß alles gut ausgehe und gedeihen möge. Eines Theils ist uns nun Ihr zweiter gestern angekommener Brief eine tröstliche Beruhigung daß es mit dem Befinden fortdauernd gut ge blieben ist; und ich danke es Christelchen freundlichst daß sie Sie wieder zum Schreiben angemahnt hat ohnerachtet noch keine Antwort eingelau fen war. Da ich nicht weiß ob Jette in diesen Tagen zum Schreiben kommt,  korr. v. Hg. aus: woso will ich nun in ihre Seele noch eine Ermahnung hinzufügen, daß Christelchen nicht im Troz auf das gute Befinden der mütterlichen Zärtlichkeit zu viel thue mit Selbstwarten und vorzüglich mit Nähren. Jette hat sich eben dadurch bei ihrem ersten Kinde sehr geschadet und hat das eigentlich nie ganz verwunden denn sie müßte ihrer ganzen Anlage nach weit kräftiger sein. Und gemerkt hat sie es auch erst nach mehreren Monaten. Dringen Sie doch je darauf, daß Christelchen sich mehr schont als sie glaubt es zu bedürfen. Der kleine Patron ist gesund, und so wird es ihm auch heilsam sein, wenn er bei Zeiten zu einem regelmäßigen Ver halten angeleitet und nicht verwöhnt wird, damit in ihm nicht das über das Bedürfnis hinausgehende Gelüst zu sehr entwickelt und gehegt werde, woraus hernach gar viel Noth und Beschwerde entsteht. – Nun das habe ich sagen müßen ordentlich um meine Seele zu retten. Gott gebe übrigens ferner Segen und Gedeihen.

d. 30. Mai So ist mir der angefangene Brief liegen geblieben wohl acht Tage, und auch H v Harder der sich in der Zwischenzeit gemeldet hat um [den] Brief mitzunehmen mag wohl bereits abgereiset sein. So geht es in dem Treiben von Geschäften, das jezt etwas arg ist. Um halb 6 Uhr mor gens gehe ich schon zur Stadt, und lese Collegia 3 Stunden hintereinander bis 9 Uhr. Dann kommt das Magnetisieren, weil ich wieder einige wenige Spuren von Magenkrampf gehabt habe seit Gott sei Dank 5 Jahren. Und nur an wenigen Tagen kann ich dann wieder heraus sondern werde von Prediger und Rectoratsgeschäften nicht selten bis Mittag aufgehalten. Zweimal in der Woche muß ich dann Nachmittags wieder herein der Akademie der Wissenschaften wegen, und da ich für zwei meiner Colle gien viel zu arbeiten habe so bin ich ziemlich gehudelt. Abwechselnd predige ich jezt immer auch Nachmittags; und, wiewol ich das Essen bis nachher verspare, sonst kennte ich es gar nicht aushalten, beschwerlich finde ich es auch von manchen Seiten. Es ist mir aber seitdem ich es übernommen habe interessanter geworden als sonst dadurch daß ich mir für die Nachmittagspredigten einen besonderen Zweck gesezt habe, nem lich zusammenhängendere Bibelkenntniß zu befördern und daher auch eine ganz andere Manier befolge. Ich nehme ein ganzes biblisches Buch hintereinander durch in kleineren Abschnitten die ich ganz homiletisch behandele, was große Einfachheit durchaus nothwendig macht. So ist es mir selbst eine eigenthümliche und sehr heilsame Uebung. Daß Sie sich besonders mit dem niedern Bürgerstande vertraut zu machen haben, dür fen Sie für ein großes Glück achten. Sie entgehn dadurch mancher Ver suchung vom rechten Wege und Geiste ab der mancher talentvolle junge Prediger unterliegt, und lernen gewiß auch auf die Weise wie es jezt den wenigsten städtischen Predigern gegeben ist viel Gutes stiften. Das An dere nach außen glänzendere wird dann schon auch kommen.

Was unsere Reise betrifft: so steht die Abreise dazu fest, und es müßte schon etwas besonderes dazwischen kommen wenn nichts daraus werden sollte. Näheres kann ich noch nicht sagen als daß wir wahrscheinlich in zwei Kolonnen ankommen; denn ich denke mit Nanny und vielleicht Ehrenfried etwas später (weil ich des Rectorats wegen nicht eher abkom men kann) und dann über Hamburg und Holstein zu reisen um diese Gegenden kennen zu lernen und einige Freunde wieder zu sehen.

An Arndt habe ich Ihren Auftrag gleich bestellt. Reimer aber ist in Leipzig gewesen, und ich werde ihn seit seiner Rükkunft heute Abend zum ersten Male sehen. Der trefliche Moritz ist immer derselbe, immer frisch und belebend und alle unsere Lieben werden sich seiner gewiß recht freuen. Er meint, er würde noch dort sein, wenn wir hinkommen und das soll mir lieb sein, da ich ihn in der Heimath noch gar nicht gesehen.

Ich schließe um nicht noch einen Posttag zu versäumen. Alles grüßt auf das herzlichste und wünscht ein fröhliches Fest. Empfehlen Sie mich auch Ihrem würdigen H Vater dem ich bald eine bessere Organisation des Gymnasii wünsche, die ihm etwas mehr Muße und Ruhe schenke.

Thun Sie mir doch die Liebe Ihre Briefe nicht zu frankieren. Ich er widre es nicht weil die unfrankirten Briefe genauer besorgt werden wie man sagt und weil ich zehnmal lieber das Geld gebe für die lieben Briefe die ich lese als für die die ich schreibe.

Der Ihrige Schleiermacher

Jette hat auch ein Paar Worte schreiben wollen kann es nun aber doch nicht.

Zitierhinweis

4269: An Adolf Friedrich Furchau. Berlin, um den 23.5. bis Donnerstag, 30.5.1816, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007483 (Stand: 26.7.2022)

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