Götemitz den 22st May 1811

Durch manche Worte Ihres Briefes, hochgeschätzter Mann, werd ich erschreckt, wie wenn man, innerlich mit sich selbst beschäftiget, unversehens in einen Spiegel sieht und sein Bild erkennt.

Gerade das was Sie mir von dem Berufe des Mannes sagen habe ich mir – auch in dieser Zeit, oft vorgehalten, ohne sicher zu wissen was davon mein besondrer Theil seyn würde, ohne bisjetzt mit voller Sicherheit wählen und angreifen zu können. Ich habe wohl manchmahl recht im Ernste geträumt in einem heiligen Berufe für Menschheit und Vaterland zu seyn, wenn ich doch eigentlich nur in meinen Gefühlen lebte, und mich selbst allein darin befriedigte, mich wohl zu tief in mich selbst hinein, von Geschäft und Arbeit weg verlor: und ich glaubte darin, nach dem Erwachen vielleicht oft schon etwas gethan zu haben, wenn ich mich recht in das Leben und sein Treiben hinein werfen wollte. Aber ein solcher Wechsel des Gemüths und des Lebens tödtet | 4v die Stille den Ernst und das leise ruhige Wirken des höchsten Berufs: das fühle ich erst jetzt recht.

Welchen Stand des Lebens ich mir gewählt habe wissen Sie; und was es heißt darin mit ganzer Seele eifrig und glücklich seyn – was ich erst geahndet habe – das wissen Sie vor allen.

Gewiß es könnte das genung, völlig genung seyn; aber es bleibt wohl noch Zeit und Rath zu einem anderen, wenn auch nicht höheren doch weiteren Berufe: und wie ich in diesen hinein soll, ob ich hinein soll, von welcher Seite zu welchem Zwecke, ob ich es könne, und müsse, und dürfe, – das ist es, worüber ich, wenn je, gerade in dieser Zeit eins – völlig eins werde mit mir, worüber Sie Rechenschaft von mir fordern.

In dem, wozu mich vor allem, Herz und Sinn treiben ist es aber schwer es von sich selbst zu erfahren, ob man würdig sey, – ob mancher Hauch manche Bewegung der Seele werth sey, Hauch und Seele der Welt zu werden, durch Zeit und Leben zu gehen?

Doch soll ich es erfahren, soll, was ich | 5 erfuhr, sich bestätigen, soll es fest und ewig sich in mir gestalten, und soll ich fest und sicher darin bleiben darin mein ganzes Leben, wirken, sinnen und denken als in einem schönen heiligen Berufe so kann mir das nur gewiß und heilig überzeugend werden, durch das Glück und die Gunst dieser Zeit, durch mein innerstes geheimstes Schicksal

Das ist, ich fühl es ganz gewiß, der einzige, der schöne Weg für mich zu Gewißheit zu Kraft und Vollendung, wie in vielen andren so vor allem in diesem Herrlichen und Hohen. So werd ich finden – o so hab ich gefunden – wonach zu ringen mir nach anderer Arbeit und That – Frevel und Verderben ist. So werden [diese] mir aber auch feststehen im klaren reinen Grunde, und über das mag das Leben dann hingehen, wie die Wolke hinspielt über den Grund der sie hält.

Ich habe manchmahl in manchen Dingen die Mühe gescheut, ich gestehe es Ihnen gerne: in dem was zu lernen war ward es mir schwer immer festzuhalten an dem fortgehenden und ununterbrochnen | 5v ich habe oft der Kürze wegen die ganze Masse mit einem mahle nehmen wollen – und darüber nichts gefaßt oder mich überhoben – das alles sind Fehler, böse Fehler und Verderben wenn sie einwurzeln – die von Grund aus den Mann entehren – aber gewiß ich werde von allem Bösen rein, und werde es immer mehr und mehr, je mehr ich es in mir erkenne, und strafe: – je tiefer die Stille und Milde in mich dringt in der ich athme und lebe.

Es giebt noch einen Beruf des Mannes, vor allem dessen der noch weniger durch Pflichten und Sorgen für andere, die ohne ihn nicht fort- kommen können, – festgebunden ist an die Verhältnisse, an der Stelle in der er einmahl steht – einen Beruf den das Schicksal vielleicht einmahl dringender fordert – auch auf diesen bin ich gerüstet, wie man es im Voraus seyn kann und muß.

Ich habe zu Ihnen gesprochen wie es mir mein Herz eingab: und ich bin gewiß Sie erwiedern auch diesmahl mein Vertrauen wie groß Sie es schon thaten. Leben Sie recht wohl

Fr Furchau

Zitierhinweis

3636: Von Adolf Friedrich Furchau. Götemitz, Mittwoch, 22.5.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007476 (Stand: 26.7.2022)

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