Liebster Graf ich wollte ich könnte einmal von Ihnen einen vertrauten Brief mit einer sichern Gelegenheit erhalten um zu hören was Sie denken. Denn ich hoffe daß Sie Sich in Ihrer einsamen Ruhe nicht der öffentlichen Angelegenheiten entschlagen, sondern daß Sie recht ernsthaft über die gegenwärtige Zeit denken. Was soll denn werden? Soll der Staat ersticken an der immer zunehmenden Menge von Staatsdienern die bald nichts als sich unter einander werden zu verwalten oder zu beaufsichten haben? Oder soll er auszehren an der sinnlos stokenden Circulation auf der einen Seite und an der Verschwendung auf der andern? oder soll er verfaulen durch die absolute Unthätigkeit aller innern Organe? Diese drei Todesar ten sehe ich ganz gleich möglich und gleich nahe bevorstehend, zum Leben aber keine Hofnung! Das über den ursprünglichen Text geschriebenDaß man alle versprochenen Verbesserungen auf die Lange Bank schiebt, ist nicht Verlegenheit wie man sie am zwek mäßigsten machen soll – denn diese würde nicht hindern irgend einen vorläufigen Schritt zu thun, der ohne nachtheilige Consequenzen zu in volviren am leichtesten aus der Verlegenheit helfen könnte. Sondern es ist böser Wille oder wenigstens absoluter und wissentlicher also höchst straf barer Mangel an aller Reaction gegen den bösen Willen. Es giebt eine Parthei, die ich in ihrem schändlichen Gegensaz | gegen das wahre Wohl der Nation nicht anders als die Hofparthei zu nennen weiß weil sie dort wenigstens ihren Brennpunkt hat. Zwischen dieser und dem Volk hielt sich die Regierung lange in einer Art von u  ität Neutralität. Auch das war schwach genug, allein nicht besser zu erwarten; aber nun scheint sie sich in verfluchter Apathie ganz und gar den Klauen dieser Parthei hinzuge ben. So lange diese Parthei existirt und kein gesezmäßiges Gegengewicht hat kann aller Ministerwechsel nichts helfen. Also danach sehe ich auch nicht aus. Die neuen Provinzen, von denen häufig Deputirte hier gewesen sehen dieses sichtliche Verfaulen und haben noch dazu Ursache, mit der persönlichen Behandlung höchst unzufrieden zu sein. Was soll sie also an Preußen heften daß sie nicht bei dem ersten Anstoß von außen, der so leicht kommen kann abfallen? Nichts als feste Vertrauen erregende Schritte im Inneren die aber bald kommen müssen, recht bald. Woher? Der Dritte Stand kann nichts thun, weil er keinen gesezlichen Vereinigungspunkt hat. Das Volk darf man nicht in Bewegung ze über den ursprünglichen Text geschriebensezen, und es würde auch ein vergebliches Unternehmen sein. Es giebt Niemand der den Staat retten kann als der ächte alte höhere Adel wenn er sich in wahrem Gemeinsinn, nicht zu Aufrechthaltung alter Vorurtheile, verei nigt, auf die bestehende Gefahr aufmerksam macht und in fester Stellung auf die Erfüllung der gegebenen Versprechungen dringt. Wäre die Preß freiheit wirklich ver | liehen worden so könnten wir auch etwas thun; nun sind wir völlig gebunden und müssen die passivsten sein, wenn wir nicht revolutionär sein wollen.

Ich habe mich lange Zeit gestemmt gegen die trübere Ansicht der Din ge; allein es ist jezt fast nicht möglich noch Hofnungen zu hegen. Und auch in der Ferne sieht es nicht besser aus. Dem Kronprinzen ist befohlen worden an den Ministerial-Conferenzen Theil zu nehmen; er hat zu sei nen Geschwistern gesagt „ich weiß nicht was sich der Vater denkt! was soll ich mit den alten Perüken machen!“ Es ist in seiner Gegenwart die Rede gewesen von Constitutionen und er hat gesagt „eine Constitution machen? Nein das wollte ich mir sehr verbitten“ – Das sind Aussichten über der ZeileAeußerungen die nicht die beste Hofnung erwecken. Ich kann Ihnen nicht läugnen, daß ich sehr trübe bin, und daß ich mich freuen würde wenn ich ein Heil außer Preußen für Deutschland sähe. Allein das sehe ich auch nicht. Viel mehr scheint mir von der Erhaltung Preußens sogar die Ruhe und Freiheit des protestantischen Deutschlands abzuhängen. – Man sagt gewisser als je daß Gneisenau seinen Abschied nimmt. Ich halte es für eine Thorheit und für ein Unglük. Hätten wir eine Verfassung so möchte er sich im merhin zurükziehen, er würde doch einen wohlthätigen Einfluß behalten; jezt aber lähmt er sich ganz bis etwa ein Krieg ausbricht. – Herr von Schuckmann glaube ich hält sich durch die sklavischste Abhängigkeit vom Finanzminister. Auf das Kirchen und Schulwesen giebt er vor einen großen Werth zu legen, thut aber so gut als gar nichts darin. Die Com mission hat keine Resultate gegeben | und die Trennung der internorum und externorum zwischen den Consistorien und Regierung muß die Läh mung vollenden. Auch unsere Universität ermüdet an vergeblichen Vor stellungen über die dringendsten Bedürfnisse.

Was sagen Sie denn zu der heiligen Allianz? und zu der neusten Schrift stellerei des Kaisers Alexander wobei er aber eigentlich nur der Sekretar der Frau von Krüdener ist? Mich erinnert es sehr an die Zeit, wo die große Nation das Dasein Gottes und die Unsterblichkeit der Seele aner kannte. Wenn eine tüchtige fromme Regung zum Grunde gelegen hätte so hätte das Instrument etwas bußfertiger müssen abgefaßt werden und viel weniger sentimental. Für die neuentdekte Landsmannschaft mit den Kamtschadalen bedanke ich mich übrigens doch sehr.

Nun, Gott bessre es liebster Graf und nun sei auch genug geklagt. – Die Gräfin Friedrich habe ich müssen abreisen lassen ohne Brief; aber ich kann des lieben Rectorats wegen manchmal in ein Paar Tagen über keine halbe Stunde Herr werden. Nun hoffe ich diese Jeremiade soll Ihnen Els ner bringen, mit dem es mir übrigens auch unglüklich gegangen ist indem wir uns öfter verfehlt haben. – In meinem Hause ist alles wohl; ich bin es nur leidlich aber das kann in dieser Jahreszeit nicht anders sein. Unsere Freundin Herz ist aber in großem Elend: ihre Schwester aus Prenzlau ist zu ihr gekommen, und bei ihr sehr krank geworden. Wann sehen wir uns denn einmal liebster Graf? Ich habe schon allerlei Projecte gemacht nach Preussen zu kommen; aber ich weiß noch nicht wie es sich wird machen lassen.   Empfehlen Sie mich allen Ihrigen auf das unterthänigste und herzlichste. Gott befohlen aufs beste.

Schleiermacher.

B. d. 27t. Febr. 16

Humbold hat sehr deutliche Schritte gethan um das Ministerium der aus wärtigen Angelegenheiten zu bekommen, scheint aber abgeblizt zu sein. Daß Hänlein nach Frankfurt geht ist ein wahres Meisterstük der Dumm heit.

Zitierhinweis

4239: An Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten. Berlin, Dienstag, 27.2.1816, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007461 (Stand: 26.7.2022)

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