Berlin d 7t. Jan. 1814.

Sie wissen gewiß liebster Graf wie man bisweilen eine erschrekliche Ab neigung gegen das Schreiben bekommen kann. Abgerechnet daß diese oft ohne allen Grund ist so hat sie doch bei mir gar viel Gründe gehabt. Zuerst mochte ich gar nicht gern über die öffentlichen Angelegenheiten reden. Sie wissen es gab eine Zeit wo man gern schwieg und dann wieder eine wo man ungern in die Weite reden mochte. Denn ehe der Brief an kam konnte alles ganz anders sein – und nun die große Angelegenheit in einem sichern und ruhigen Gang zu sein scheint und auch der Sirene welche sie in den Rhein hinunter ziehen wollte glüklich widerstanden hat komme ich mir auch vor als unter die meisten Menschen nicht passend mit meinen Ansichten. Ich vermisse überall das recht klare Hineinschauen in den Geist und die Forderungen der Zeit, das geschichtlich schöpferi sche Talent; ich sehe überall daß man die Zukunft verdirbt dem Moment zu gefallen, und die ungeheuerste Verschwendung mit Menschenkräften und Menschenleben wie mit dem Eigenthum. Doch an den lezten Punkt und an die ganze innere Administration will ich lieber gar nicht denken. – Sie wissen wol man giebt Ihnen Schuld Sie hätten Sich völlig isolirt und Ihr Gouvernement zu einer eignen unabhängigen Monarchie constituirt (neuerlich noch habe ich das in solchen terminis gehört, daß mir bange war vor einer großen Explosion gegen Sie) aber ich kann es Ihnen nicht verdenken wenn Sie das mögliche thun um so wenig als möglich in diesen ungeheuren Schlund hinein zu werfen. Ueber den neuen Finanzminister halte ich mein Urtheil noch zurük; seine ersten Schritte scheinen mir sehr verschiedener Auslegungen fähig aber freilich die Form auf keinen Fall zu loben denn es muß schon eine ungeheure Noth sein wenn sich ein recht licher Mann eine solche Gewalt | geben läßt, und der in dem Edict aus gesprochene Saz daß die Staatsdiener Leute sind die vom Staate Wohl thaten genießen ist mir ein solcher Greuel, daß ich gern gleich öffentlich dagegen öffentlich geredet hätte, wenn eine Möglichkeit gewesen wäre durch die Censur zu kommen. – Die Einrichtung seines Ministerii kann ich ihm nicht sehr verargen; die Finanzsachen eignen sich noch am ehesten dazu in Bureaus zu  über den ursprünglichen Text geschriebenverhandelt zu werden, der Unterschied gegen bisher ist so sehr groß nicht, und vielleicht will er es denen die bisher in scheinbar unab hängigeren Verhältnissen am Finanzruder saßen zur Ehrensache machen nicht in die Bureaus zu treten um ihrer los zu werden. Ich seze voraus, daß Sie ganz gegen den Mann sind und eben deswegen will ich ihn etwas in Schuz nehmen. – Dann wollte ich auch über meine eignen höchst ver drießlichen Angelegenheiten weder reden noch auch wenn ich an Sie schreibe davon schweigen. Wahrscheinlich haben Sie doch davon gehört, und ich sage Ihnen nichts darüber wenn Sie mich nicht besonders dazu auffordern. Nur so viel; es hat  über der Zeilemir eine solche Stimmung zurükgelassen, daß mich nach nichts sehnlicher verlangt als nach irgend einem ruhigen Unterkommen außerhalb des preußischen Staates. Es ist nur ein Unglük daß ich auf Anerbietungen gar nicht rechnen kann theils weil es über haupt so wenig Gelegenheiten giebt für uns arme Reformirte theils weil man nirgends glauben wird, daß ich aus einer äußerlich so vortreflichen Lage sollte fortgehn wollen. Indeß ist nicht lediglich der Mißmuth über die erlittenen Kränkungen Ursach dieses Wunsches, sondern ich sehne mich sehr nach mehr Muße um noch einiges ausarbeiten zu können da meine sehr geschwächte Gesundheit mir nicht die Aussicht giebt bei ei nem sehr beschäftigten Leben nebenbei noch fertig machen zu können was mir doch gewissermaßen auf dem Gewissen liegt. Bei einem Versuch den ich gemacht habe bin ich zu spät gekommen und ich weiß nun nicht wo ich meine Angel auswerfen soll. Nach den Rheingegenden die mein Vaterland sind von väterlicher Seite und wo es ja eine reformirte Kirche giebt steht mein Sinn am meisten |

Sehr lebendig hat es mir geahndet am Neujahrsabend daß ich den nächsten, auf welche Art es nun sei, nicht mehr hier zubringen würde. Wir haben ihn diesmal nicht mit unsrer Freundin verbracht, die noch immer ihre Schwester und Nichte bei sich hat und den blessirten tauge nichtsigen Neffen. Sie befindet sich sonst jezt recht wohl, nur fangen an die weiten Wege ihr leider etwas beschwerlich zu werden und wir sehen sie deshalb nicht so oft als sonst. Unser häuslicher Kreis ist jetzt durch unsere  über der Zeilemeine Schwester aus Gnadenfrei vermehrt, die gewiß mehrere Monate, vielleicht ganz hier bleibt; sonst ist alles beim Alten, Frau und Kinder gesund und frisch; und alles wäre vortreflich wenn ich nicht seit den fatalen Geschichten die Freudigkeit in meinen Geschäften ganz verloren hätte, und wenn meine Gesundheit etwas besser wäre.   Graf Wilhelm ist mir eine recht erfreuliche Erscheinung hier; er und die Gräfin sind un verändert gleich gütig gegen uns und wir bringen bisweilen sehr angeneh me Abende mit einander zu. Graf Louis verehre ich in seiner herrlichen anspruchslosen und gewiß sehr wichtigen Thätigkeit; ich hoffe daß die Liebe der ganzen Provinz ihm dafür lohnt und auch die Liebe der armen Danziger ihm lohnen wird. Die beiden Brüder die im dänischen Kriege verwikelt sind bedaure ich daß ihre gerechten Hofnungen von der Rolle die ihr Corps spielen würde so ganz getäuscht worden.

Nun Gott befohlen liebster Graf, bleiben Sie mir freundlich gewogen, und Gott erhalte Sie in Ihrer schönen Wirksamkeit. – Noch eine Frage verzeihn Sie mir. Die Agentur der Ostpreußischen Landschaft hier zahlt gar keine Pfandbriefszinsen man sagt aber daß in Königsberg einzeln wol gezahlt würde. Die Armen Casse meiner Kirche hat etwa hundert Thaler oder etwas drüber an Zinsen zu fordern und wir müssen wirklich unsere Unterstüzungen einschränken weil uns diese Einnahme entgeht. Wissen Sie mir nicht einen Weg anzuweisen um diese Coupons zu realisiren? Es wäre mir ein rechter Dienst.

Ganz von Herzen Ihr allergetreuster Schleiermacher.

Zitierhinweis

4012: An Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten. Berlin, Freitag, 7.1.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007458 (Stand: 26.7.2022)

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