B. d 2t. Jan. 1813

Ja wohl mein theuerster Graf habe ich Ihnen unendlich lange nicht geschrieben aber die Wahrheit zu sagen, wenn man erst besondere Praecautionen mit einem Briefe nehmen muß so vergeht die Lust weil nichts recht der Mühe werth scheint auf eine solche Art gesagt zu werden. Es ist mir gerade zu Muth als wenn ich einem Tauben ins Ohr schreien oder auf eine Tafel schreiben soll daraus wird auch immer wenig. Nun aber Besorgniß eintritt daß beim ersten gründlichen Frostwetter die Communication kann abgeschnitten werden kann ich doch nicht umhin eine Art Abschied von Ihnen zu nehmen.   Meine Ansicht über die neuesten Vorfälle glaube ich kennen Sie. Nichts kann uns helfen wenn wir in unserer erbärmlichen Passivität und innern Nichtigkeit verharren, und ich halte nun erst den Staat recht gründlich für verloren und für ebenso unfähig als unwürdig in seiner gegenwärtigen Form die Stellung in Deutschland und in Europa anzunehmen die ich eigentlich immer als seine wahre Bestimmung ansah. An wem eigentlich die Schuld liegt | daß die bessere Seite nicht herausgekehrt wird das wissen Sie vielleicht besser als ich denn ich bekümmere mich um die ganze Nachtseite des Geschäftsganges gar nicht. Doch ich wollte zunächst gar nicht von öffentlichen Angelegenheiten reden sondern nur von Ihnen und mir, und bin so hineingekommen ich weiß nicht wie. Ich denke mit der größten Bangigkeit an Sie liebster Freund da die ausgelassenen Flüchtlinge nun wol bald Ihr Territorium erreicht haben werden. Es ist unbegreiflich daß man einen solchen Haufen in dem alle Subordination aufgelöset ist noch seine militärischen Rechte behaupten läßt, und nicht jeden der Excesse begeht als Vagabonden oder Straßenräuber behandelt, und hoffe von einem Tage zum andern daß man die Gensdarmerie vermehren und vollständig bewafnen und den Polizeibehörden die ausgedehntesten Vollmachten geben wird aber umsonst. Das arme Preußen! ich möchte meine blutigen Thränen weinen wenn ich daran denke. Indeß ich denke wir werden auch hier nicht verschont werden wenn sich wie doch wohl wahrscheinlich ist der Krieg im Frühjahr erneuert. Lassen Sie uns recht guten Muth behalten liebster Graf nemlich den daß aus der Verwüstung endlich etwas recht gutes hervorgehn wird – denn ein anderer bleibt wol kaum übrig! – und daß wenn eine Menge Unschuldiger leiden doch auch viele den Lohn ihrer Thaten Unthaten und Nichtthaten erndten werden. | Das fiat justitia et pereat mundus scheint sich jezt recht im Großen entwickeln zu sollen. – Wunderlich ist es wie man bei diesen Aussichten noch immer so gelassen fortarbeiten kann als ob nichts wäre. Sie haben ganz recht, der Boden bleibt stehn und man muß ihn nuzen so lange als man kann. Ich lebe auch recht auf der Kanzel denn da habe ich es mit dem ewigen zu thun, auch auf dem Katheder denn das ist die unmittelbare Werbung auf die welche noch über das Reich der Nemesis hinaus zu leben und die schöne Zeit zu sehen und mit zu bilden bestimmt sind. Aber im Departement ; über den ursprünglichen Text geschrieben, wo alles auf eine weitere Zukunft berechnet ist, im nächsten Zustande nichts wird ausgeführt werden können von allem was wir beschließen, und was für einen besseren Zustand doch alles viel zu unvollkomnes Stückwerk ist. Wir sind fleißig, wir können auch nicht einmal gradezu klagen über Mangel an Interesse aber hie ein wenig und da ein wenig wird alles verdorben oder zerschnitten nach kleinlichen Rüksichten und manches was grade am nöthigsten wäre wie zE der gymnastische Theil der Erziehung muß lediglich dem überlassen werden was aus einem sich glüklicherweise immer weiter verbreitenden Instinkt ganz ohne den Staat geschieht. Ueber meine persönliche Situation kann ich sonst nicht klagen; ich fange an bisweilen in wichtigen Dingen gebraucht zu werden stehe mich mit meinen Collegen so gut als nöthig ist und ausgenommen daß eine gewiße Clique mich den Tugendbundprediger nennt scheint | auch die Feindschaft ziemlich nachgelassen zu haben was ich zum Theil der natürlichen Wandelbarkeit aller Dinge zu Theil einem sehr zurükgezogenen Betragen zu verdanken habe. An der Universität kann ich mich meiner Thätigkeit und dessen was ich selbst dabei lerne recht sehr freuen, und ich denke manches wird auch bald zur öffentlichen Mittheilung reifen. Da haben Sie mein Compte rendu liebster Graf. Von meinem Hauswesen brauche ich Gott sei Dank nichts zu sagen beide Kinder gedeihen uns recht zur Freude; mit der älteren gehn die Fortschritte langsam und ich hoffe mehr von dem neuen Jahr wo der Knabe zu Plamann gehen wird.   Eines noch darf ich Ihnen nicht verhelen; es komt mir vor als ob es auf unsere Freundin freilich sehr unmerklich nachtheilig wirkt daß sie so wenig Verbindung mit Ihnen hat. Es fehlt ihr ein belebendes Princip welches durch nichts anderes ersezt werden kann; sie ist weniger heiter, leicht zu trüben Ansichten geneigt, und seltner als sonst in ihrer besten liebenswürdigsten Stimmung. Thun Sie doch was Sie können um ihr zu Hülfe zu kommen.   Und nun liebster Graf, leben Sie wohl und möge es Ihnen besser gehn in diesem Jahr als ich zu hoffen wage, und auch von den Abwesenden Gutes gehört werden. Empfehlen Sie mich den Ihrigen auf das angelegentlichste, und fahren Sie fort uns freundlich und gewogen zu sein. Von ganzem Herzen der Ihrige.

Schl.

Zitierhinweis

3820: An Alexander Graf zu Dohna-Schlobitten. Berlin, Sonnabend, 2.1.1813, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007455 (Stand: 26.7.2022)

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