Danzig 30. Julius 811.

Wenn ich Ihnen bei meiner herzlichen Verehrung und Liebe für Sie, theuerster Schleiermacher, noch gar keine Nachricht von meinem hiesigen Treiben und Leben gegeben, so geschah es in dem glücklichen Wahne, daß ich doch wohl bald wieder in Ihrer Nähe seyn, und dann das Resultat eines ganzen Jahres in wenigen Worten mittheilen könnte. Diese Hofnung, dieser Wunsch sind denn auch der Anlaß dieses Briefes, und ohne weitere Umschweife will ich blos anfangen bei Ihnen: „ob ich mir nicht schmeicheln darf, noch in diesem Jahre einen Ruf nach Berlin oder Breslau zu erhalten?“ – Die Frage klingt freilich, als ob ich Ansprüche hätte; aber mein Sinn ist nicht so kühn, und nur auf eine Ihrer vorjährigen Äußerungen gebaut. Auch will ich über die mögliche Auslegung dieser Worte nichts weiter sagen, weil Sie gewiß nicht mißverstehen. | 15v

Wenn ich anders von der Section des Unterrichts p in Betracht genommen worden bin, so würde ich freilich lieber nach Berlin, als nach Breslau gehen; aber auch das sind Sie ja von mir überzeugt, daß mir die Erfüllung meines Wunsches das Erste ist, und daß ich meines Herzens und meiner geliebten Frau Wünsche vergeße, wenn mir nur ein angemeßener Wirkungskreis ohne drückende Nahrungssorgen gegeben wird. Die leztern können mich treffen, wenn, wie bisher, der Gehalt lange ausbleibt, oder ich im künftigen Winter des Krieges wegen nicht wieder Privatvorlesungen halten kann. Den erstern aber kann ich nie hier finden. Die ursprüngliche Einrichtung des Gymnasium ist der Zeit und den Schülern selbst nicht mehr angemeßen. Die Stadtschulen sind alle schlecht, nur Eine ist erträglich. Die beiden wichtigsten Profeßuren sind erledigt, also liegt die ganze Philologie, und zur Wiederbesetzung, so wie zu zweckmäßigerer Organisation der Anstalt ist auf lange hin keine | 16 Aussicht; die Zahl der Schüler selbst bis auf 20 geschmolzen, wovon zu Michaël noch 3 abgehen. Zu diesem Allem kommt das unerträgliche Joch der großen Nation, von welchem ich schweigen will nam juberis infandum renovare dolorem. –

Nun scheue ich zwar, wie's mich die Alten und eignes Leben gelehrt, alles rasche und eigenmächtige Eingreifen in mein eignes Geschick, da oft unbegreifliche Mächte über uns walten, und bin bei diesem Gefühle seit 9 Wochen mit mir uneins gewesen, ob ich Ihnen schreiben sollte, oder nicht: Ein dunkles Etwas hielt mich immer zurück. Auch ist mir nicht schwer geworden, einen Antrag, wie ich ehrenvoll wieder nach Leipzig kommen könnte, abzulehnen, weil ich nicht inconsequent seyn konnte. Aber seitdem bin ich von Heidelberg aus, obschon nicht offiziell, angegangen worden, mich um die dortige Profeßur zu bewerben, dafern Wilken nach Leipzig käme. (Von der Nachricht selbst bitte ich Sie nur dann Gebrauch zu machen, wenn Sie zu früherer Ent | 16vscheidung nöthig wäre, und auch dann, wo möglich, ohne Heidelberg zu nennen, weil gar zu leicht weiter davon gesprochen werden könnte.) Da ich nun gar nicht abgeneigt seyn kann, diesem Vorschlage zu folgen, ich aber doch nicht eher einen Schritt thun will, als bis ich weis, ob Sie in Berlin an mich gedacht, so hoffte ich meine bescheidne Anfrage in Ihren Augen gerechtfertigt. – Ich glaube, es wird nicht überflüßig seyn, ein Verzeichniß meiner Schriften beizulegen.

Möchte es mir in Berlin gelingen: dann dürfte ich mich doch vor Allem Ihres und dann so vieler Theuren Umganges erfreuen, und lebendiger und allseitiger mit Allen fortschreiben, als es mir auf dieser Insel möglich ist.

Meine Frau empfiehlt sich Ihnen und Ihrer Gattin mit herzlicher Hochachtung und ich nenne mich von Herzen

Den Ihrigen Hans Karl Dippold

Zitierhinweis

3656: Von Hans Karl Dippold. Danzig, Dienstag, 30.7.1811, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007452 (Stand: 26.7.2022)

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