Eine so unmittelbare, und wenn nicht ein besonderes Unglück eintritt so höchst sichere Gelegenheit kann ich unmöglich vorbeigehn lassen mein theurer Freund ohne Dir einige Lebenszeichen zu geben. Du hast uns sehr sparsam zugemessen die Mittheilung die uns so sehr erfreulich gewesen wäre – ich meine soviel ich weiß alle Deine deutschen Freunde – und zu einer Zeit wo es Dir an Muße nicht gefehlt haben kann. Indeß wir trösten uns damit daß Du Deine guten Ursachen mußt gehabt haben hiezu wie zu allem andern. Denn dies laß mich Dir zuerst sagen daß Alle auf die Du je hast rechnen können als auf solche die Dich wahrhaft lieben und zu schäzen wissen, mich an der Spize und zunächst die herrliche Voss auch ganz unverändert geblieben sind in ihren Gesinnungen  korr. v. Hg. aus: sichund wo die Vorwizigen zum Tadel bereit waren an jenen Glauben an die Unveränderlichkeit eines wahren Menschen sich gehalten haben ohne den es keine Liebe giebt und ohne den nichts menschliches einen sonderlichen Werth hätte. Ueber den Wechsel Deiner äußern Verhältnisse hat mich meine Kenntniß | Deiner Denkungsart und Deiner Kraft leicht getröstet. Aber ich läugne nicht, das Gerücht – denn wieder weiß ich nicht ob es eine Nachricht ist – daß Du wieder in politischer Thätigkeit seist hat mir große Freude gemacht. Es hätte Dir doch schlecht geziemt in den großen Krisen Deines Vaterlandes den bloßen Zuschauer abzugeben. Ich weiß nicht wie weit Du von hiesigen Dingen unterrichtet bist sonst schriebe ich dir eine kleine Zeitung. Um den Tod unseres guten Spalding weißt Du gewiß. Das Glük den Tod recht kommen zu sehn was wir uns so oft wünschten um mit Besonnenheit zu schließen ist ihm freilich nicht geworden aber es ist der schönste schnelle Tod der mir vorgekommen ist, recht in der Art des Daseins in welcher sich sein Wesen am reinsten aussprach, in einer so heitern Stimmung als er den ganzen Winter nicht gehabt hatte und nur eben mit dem Sommer wieder zu finden anfing. An dem Tage seines Todes war ich so elend als ich mich nie besinne gewesen zu sein. Ein böser Magenkrampf hatte mich in 7 Monaten bei den harten Anstrengungen indem ich keines meiner Geschäfte je aussezte und oft im Paroxismus 2 Stunden hinter einander Vorlesungen hielt, fast aufgerieben. Ich bin seitdem durch den Magnetismus dessen höhere Erscheinungen indessen bei mir nicht eingetreten sind geheilt wenigstens habe ich seit fast einem Jahr keinen Anfall gehabt. | Ich seze über den ursprünglichen Text geschriebengehe übrigens fast unter in Geschäften von denen ich doch keines möchte fahren lassen. Am wenigsten interessirt mich wol was mir am meisten Geld giebt das Departement für den öffentlichen Unterricht, zu dessen Chef ich Dich nach Humboldts Abgang gern gehabt hätte. Aber doch hier sind die wenigen interessanten Geschäfte an denen ich Theil nehme der Zeit wol werth die man an den currenten Sachen verschwenden muß. Nur verrükt finde ich es daß man mich in das Unterrichtsdepartement allein und gar nicht in das für den Cultus gesezt hat wo ein Ferment wie ich sehr nöthig wäre. Das Vorlesungen halten bringt mich sehr vorwärts; ich habe wirklich Aussicht noch eine Art von gelehrtem Theologen zu werden und fange an mir eine Schu- le zu bilden aus der viel Gutes hervorgehn kann. Ich habe nun schon zweimal Geschichte der Philosophie gelesen zu meiner großen Belehrungund könnte mit mehr solchen Monographien wie der Heraclit im Museum auch aus der dunkeln Zeit des Mittelalters hervortreten. Zwei kleinere griechische den Anaximandros und den Diogenes von Apollonia habe ich schon ausgearbeitet für die Akademie. Dann habe ich auch eine Art von speculativer Philosophie vorgetragen unter dem Titel Dialektik und ich hoffe daß schon durch das erste Mal der Grund wenigstens zu einer ziemlich klaren Darstellung gelegt ist. Aber freilich meine litterarische Thätigkeit liegt ganz und ich sehe noch nicht ab wann ich den Platon werde vollenden können. Ich tröste mich darüber denn ich bin doch zum Schriftsteller am wenigsten gemacht. Der hiesige wissenschaftliche Kreis hat bedeutenden Zuwachs erhalten durch die Universität; aber den bedeutendsten durch einen Mann der der Universität nicht angehört sondern ursprünglich für Staatsgeschäfte berufen war, nemlich Niebuhr. Ich weiß nicht ob Du ihn persönlich kennst. Ich habe nie eine so bewundernswürdige Gelehrsamkeit gesehn | und ein so vielseitiges und tiefes kritisches Talent, und selten ein so schönes Gemüth; ich würde auch hinzusezen einen so großen Charakter wenn er nicht unter den Einwirkungen eines schwächlichen Körpers stände. Gräfin Voss ist hier und erwartet täglich ihre Niederkunft. Ich habe das Glük gehabt ihr näher zu kommen, und muß sie täglich mehr lieben und achten. Auch meine Frau theilt dieses Gefühl und die Gräfin zeigt sich ihr sehr gütig und freundlich. Wahrhaftig ich weiß nicht ob ich schon als Ehemann an Dich geschrieben habe, leider aber ist nun nicht mehr Zeit Dir meine Frau oder unsere Ehe zu beschreiben. Ich verstehe auch von  korr. v. Hg. aus: hierihr eben so wenig zu reden als von mir selbst, und überlaße es auch ungern Andern weil Niemand sie recht kennen kann als ich; am meisten weiß wol für jezt die Herz von ihr. Zwei Kinder meines lieben Freundes hat sie mir mitgebracht und zweie, beides Mädchen hat sie mir geboren. Meine Schwester die Du einmal gesehen hast lebt auch noch bei uns und so bilden wir eine ganz ansehnliche Familie. Von Dir ist auch einmal und sehr ernstlich erzählt worden Du seist verheirathet aber falsch wie es scheint.

Von den großen Verhältnissen schreibe ich nichts; es läßt sich darüber doch nicht superwordnur sprechen. Die Litteratur ist fast todt. Das Katholischwerden aus Weichlichkeit ist mir zu verächtlich und Streitigkeiten wie die welche Schelling gegen Jakobi führt ekeln mich an. Hätte doch Jakobi aus seinem freilich in speculativer Hinsicht nicht bedeutenden aber sonst doch sehr schönen ja selbst lehrreichen Buche die einigen Stellen weggelassen die den argwöhnischen verbissenen Menschen reizen mußten, so hätte er uns ein ärgerliches Schauspiel und sich selbst doch gewiß viel Verdruß erspart. Nun lebewol und laß von Dir hören sobald Dich keine wichtigen Gründe davon abhalten. Die Herz hat mir die herzlichsten Grüße an Dich aufgetragen

Schleiermacher

Zitierhinweis

3785: An Carl Gustav von Brinckmann. Berlin, Sonnabend, 4.7.1812, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007450 (Stand: 26.7.2022)

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