Halle den 23tn April 16.

Wenn ich jetzt plötzlich vor Ihnen stände, theuerster Schleiermacher, müßte ich warlich erwägen, daß ich in der bedeutendsten Zeit meines Lebens, so lange des Freundes zwar nicht vergessen, aber doch so lange ihn ohne Zeichen meiner innigen Liebe und Verehrung gelassen. Sollten Sie es aber nicht aus eigner Erfahrung wissen, daß wir mehr in trüben Stunden als in den heitersten zur schriftlichen Mittheilung aufgelegt sind? So wenigstens ist es mir ergangen, und wie man den neuverehlichten Freund wohl die ersten Tage mit langen Besuchen verschont, so müssen auch Sie mir in diesem Fall mein langes Schweigen zu gut halten. Das ist eben das schönste an dem Glücke wie es mir zu Theil geworden, daß sich davon wenig sagen noch weniger schreiben läßt: komm und siehe möchte ich Ihnen recht ernstlich zurufen, und wenn Ihre vorjährige Reise ins Alexisbad Ihnen den Wunsch es bald wieder zu besuchen erregt hat, so könnten meine Wünsche gar lieblich in Erfüllung gehen, denn auch ich habe mir fest vorgenommen, nicht das Bades sondern des Gebirges wegen diesen Sommer ein Paar Wochen mit meiner Frau dort zu zubringen. – Nach langen widerwärtigen Zögerungen ist mir das Glück endlich recht hold geworden. Bis Anfang Dezember mußte [ich] dem Schneckengang unsrer Heere folgen, erst in Hanau erhielt ich den oft vergeblich nachge suchten Abschied, erst von Fulda aus konnte ich endlich meinem Sinne folgen und ritt nun trotz Schnee und Gebirgen so wacker zu, daß ich noch am 24ten mich meiner Braut als Angebinde selbst darbringen konnte. Meine Manungen ja hübsch alles nöthige zu beeilen, wozu ich die Ihrigen als eine trefliche Autorität hinzugefügt hatte, konnten nicht verhindern, daß die Hochzeit bis Anfang März hinausgeschoben wurde. So bin ich denn nun schon ein alter Ehemann zu nennen und meinem Zeugniß um so mehr Gewicht beyzulegen, wenn ich mich einen überaus glücklichen und zufriedenen Menschen preise. Auch scheint mein Beispiel nicht ohne glückliche Folgen zu bleiben, denn einige Junggesellen meiner Bekannt schaft machen seitdem, jeder nach seinen Verhältnißen | 86v saure und süße, alle aber sehr heyrathslustige Mienen und wie man denn nothwendig gern Proselyten macht, so möchte ich für mein Leben gern dem herrlichen Wucherer so ein Glück wie das meinige zuwenden. Es scheint aber nicht als ob er das Rechte schon gefunden. Meine häuslichen Einrichtungen würden Ihnen hoffe ich nicht misfallen besonders wenn ich Ihnen sage, daß ich aus reinem am Rhein eingesogenen Patriotismus mir für meine Freunde einen hübschen Vorrath Rüdesheimer 11ler zugelegt habe; auch der Umstand ist nicht zu verachten, daß das Presbyterium in einen Anfall von Grosmuth Rienäcker und mir die freye Wohnung im sogenannten Predigerhause aus eignem Antriebe angeboten hat, in einigen Wochen ziehe ich hinüber, denn noch wohnen wir bey Wucherer. Sie müssen wis sen, daß es jetzt in Halle entsetzlich schwer hält eine leidliche Wohnung zu finden, denn seitdem Wittenberg sich zu uns geflüchtet ist es hier so voll Professoren, daß man kaum weiß wo man hintreten soll, dazu kommt noch die unendliche Menge von Studenten die man erwartet; doch im Ernste es ist erfreulich und rührend zu sehen wie auch die längst abgestorbenen wieder Lebenszeichen geben, die Häuser abputzen, besser essen viel mehr trinken und ganz übermüthig werden.

Nun soll ich noch, auf Dohlhoffs Geheiß, eine Anfrage an Sie thun. Sie wissen daß durch Vereinigung der beyden hiesigen Reformirten Gemein den, der Staat circa 6 bis 700 rth gewinnt: da dies in westphälischen Zeiten geschehen so meint Dohlhoff es sey wohl nicht unmöglich das Ganze oder doch einen Theil dieser Summe zur Verbesserung unsrer Ge halte zu bekommen, wozu ich als der geringste meiner Brüder von Herzen Amen sage. Mit der Thür beym Minister ins Haus fallen geht aber nicht: es sollte also vorläufig privatim an jemand in Berlin geschrieben werden, um zu hören ob sich etwas ausrichten ließe und wie es anzufangen. Dohl hoff kennt niemand, mir ist Nikolovius eingefallen. Ich frage Sie also ist das der rechte Mann dazu, der nicht allein wisse wie dergleichen anzu greifen sondern auch, im Fall er der Sache seinen Beyfall gäbe, sie kräftig unterstützen könnte und kann man darauf rechnen, daß er privat und offizielles Schreiben zu unterscheiden wisse. Oder wenn er es nicht ist, wüßten Sie | 87 einen Bessren vorzuschlagen? Hierüber bitte ich um recht baldige Antwort, denn der Zeitpunkt scheint allerdings günstig.

Lassen Sie es den glücklichen Freund nicht entgelten, daß der in Frank reich verdrießliche, auf der Rückreise von Ungeduld gefolterte, dann überglükliche Bräutigam und Ehemann Ihnen lange nicht geschrieben. Sie sollen sehen daß zu allen Tugenden die der Ehestand in mir täglich ent wickelt sich auch die schönste Ordnung gesellt, zu der meine Frau mich ohnehin täglich anhält und worin ich es schon zum Erstaunen weit ge bracht habe

Ob Sie mit unsres lieben Steffens Wünschen und Hofnungen bekannt sind? er hat ein paarmal an mich geschrieben und der immer unheilbarer werdende Zustand seiner Angelegenheiten, seine Unzufriedenheit mit dem dortigen Wesen und seine, doch wohl nur auf Augenblicke, erwa chende Sehnsucht nach Halle oder nach dem Rheine, haben mir unend lich wehe gethan. Ich weiß nicht wie das enden soll, wenn ihm nicht bald geholfen wird, und Schuckmann ist so hart ihm das einzige Mittel, einen Gehaltsvorschuß zu versagen. Schreiben Sie ihm doch ja, wenn Sie es nicht kürzlich erst gethan.

Machen Sie meine Ahndung und meine Wünsche wahr, daß wir uns diesen Sommer hier oder noch viel besser am Harze sehen, denn seit dem Demobilmachungs Edict darf ich an keine Reise nach Berlin denken, um so weniger da Dohlhoff seit längerer Zeit kränkelt: er leidet an einem nicht zu überwindenden Jucken am ganzen Leibe ohne irgend einen Hautausschlag, ähnliche Zufälle sind hier überhaupt epidemisch gewe sen.

Meine Frau grüßt von Herzen, so wie auch ich Ihre liebe Frau, Nanny, Caronline und Reimer's viel tausendmal grüße. Gott erhalte Sie gesund und gedenken Sie mein.

Blanc.

Wo bleiben die Festpredigten? an jedem Feste werde ich schmerzlich an diesen Mangel erinnert.

Zitierhinweis

4263: Von Ludwig Gottfried Blanc. Halle, Dienstag, 23.4.1816, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007446 (Stand: 26.7.2022)

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