Paris 23 Aug. 15.

Mit den Gedanken täglich bei Ihnen, habe ich es doch von einem Courier zum andern verschoben an Sie zu schreiben. Theils hatte ich die Folgen der Reise zu verwinden, Schnupfen und Husten, die mich länger als ich es gewohnt bin belästigt haben: theils hoffte ich daß für mein Geschäft gün stigere Aussichten aufgingen als die ganz trübseligen der ersten Tage. Bei des ist nunmehr einiger Maaßen erreicht. Die gesammte Reclamation von Kunst- und Literaturwerken ist in den Geschäftskreis des Herrn von Al tenstein gezogen, und so wird durch Eichhorns rastlosen Eifer gewiss erlangt was zu erlangen steht. Nur ist dessen nicht viel, meist durch un sere Schuld. Denn daß für alles Verschleuderte oder Verstreute Ersatz genommen würde, möchte schwer durchzusetzen sein: des Übrigen aber ist um so weniger als unsere Verzeichnisse gewöhnlich nur das enthalten worüber von Denon und seinen Helfershelfern ausdrücklich quittirt ist: oder auch, sie bestimmen die Gegenstände so charakteristisch, Gemälde z.B. nach der Höhe und Breite, daß den | 84v Commissarien (bisher meist Mehlwürmern) fast alles für alles geboten worden ist. Dem allen und obenein manchem erklärten Franzosenpatron, vornehmlich Herrn Alex ander von Humboldt, zum trotz ist für die Rheinprovinzen und auch für andere schon recht viel wieder gewonnen; und da nun nach Preussischem Vorgang auch andere Deutsche Länder zu reclamiren anfangen, Hessen z.B. und wegen des Heidelberger Theils der Vaticana Baden und Baiern, so werden die Lücken in den Sammlungen immer sichtbarer, zunächst in der Gallerie. Die Gegenstände der Reclamation sind wunderlich mannich fach. So unterhandeln jetzt eben die ketzerischen Preußen um den Leich nam eines Heiligen, den die Unterthanen des allerchristlichen Königs aus einer kleinen Stadt am Rheine weggenommen und als Mumie ins Natu ralienkabinet gestellt haben. –

Meine Reise war ziemlich beschwerlich, auch vom Wetter wenig be günstigt. Doch tröstete für mancherlei Ungemach reichlich die Schönheit der Länder, die ich, von Naumburg nach Eisenach, dann quer durch das Kurhessische nach Düsseldorf Achen und Lüttich, durchflogen habe. Hät te ich nur andere Gesellschaft gehabt als meinen Feldjäger, der | 85 mir immer und ewig wiederholte wie der König bei Culm zu ihm gesagt man hier bleiben, gleich mit reiten.

Von den Männern an die mich Niebuhr empfohlen, hat sich bisher der einzige Obert Pfuel meiner angenommen, indem er mich einquartiert hat: die übrigen habe ich nicht einmal sehn können. Der Feldmarschall war schon nicht mehr in Paris.

Einquartiert aber bin ich, wenige Häuser von Eichhorn, rue de l'uni versité n. 30, bei einer Tante und einer Nichte, die weder jung noch hübsch sind aber desto redseliger. Ich habe in den 3 Wochen, die ich hier bin, zwei Mal bei ihnen gegessen, und bin das erste Mal über alte und neue Literatur das andere Mal über Calvinisten und Illuminaten so ex aminirt und lectionirt worden, daß ich schwerlich je ein drittes Mal ver suche, sondern viel lieber mein schweres Geld den weiten Weg über die Seine zu dem Restaurateur trage.

Überhaupt ist mein hiesiges Leben, in geselliger und menschlicher Be ziehung, wieder ganz so arm und trüb wie während meines ersten Aufent halts: um das Leidwesen voll zu machen, sehe ich überall nichts neues um mich her, etwa die Preußischen | 85v Kanonen vor dem port royal abgerech net: sondern schaal und abgestanden ist mir Stadt und Volk. Selbst des unleugbar Schönen und Großen froh zu werden, der Kunstschätze z.B., die eben jetzt in vollendeter Pracht der Aufstellung erscheinen, und mit köstlichen Bildern aus den Zeiten des Cimabue und Giotto bereichert, fehlt in diesem Babel die Ruhe und die Andacht. Und wäre es noch der Tag allein! da kann ich mich retten in tolles und blindes Arbeiten, wozu die Bibliothek, ganz so freundlich geöffnet wie sonst, unerschöpflichen Stoff hergiebt: Aber die Abende hinzubringen, wo ich in der psychischen Unmöglichkeit zu collationiren verdammt bin entweder in die Theater zu gehn die mich anekeln oder auf den Boulevards und im Palais royal her umgetrieben mich glücklich zu preisen wenn ich nicht in Narrentheidinge gerathe die keinem Christenmenschen geziemen: hic labor hoc opus est! Wie ganz anders wäre es mit mir Gestellt, wie gedeihlich und fröhlich würde ich die Fourmontiana copiren, wenn ich bei Ihnen oder der Herz theen könnte! –

Der Gräfin Münster Brief und Paket habe ich in derselben Nacht, in der ich angekommen, dem Feldpostmeister zu eignen Händen überant wortet. Savignys Auftrag ist ebenfalls längst besorgt: nur mag ich ihm das Heft nicht schicken, weil es wohl mehr Porto kosten möchte als die ganze varietas lectionis werth sein dürfte: braucht er mehr so schaffe ich es ihm herzlich gern. Rühs bitte ich Sie

Zitierhinweis

4167: Von Ludwig Gottfried Blanc. Paris, Mittwoch, 23.8.1815, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007445 (Stand: 26.7.2022)

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