Berlin, d 27t. Dec 1814

Ihre beiden Briefe aus Luxemburg, liebster Freund, fand ich im September bei meiner Rükkunft vor und da ich gleich erfuhr daß das Departement die Nothwendigkeit Ihrer Rükkehr auf dem Grund der Vorstellung Ihrer Kollegen schon anerkannt und dem gemäß rescribirt hatte: so wollte ich nicht mehr dorthin schreiben damit der Brief Sie nicht verfehle[,] hinter her habe ich mich immer geärgert zu hören daß Sie noch nicht in Halle wären und dafür habe ich es nun erst jezt durch Wucherer und durch Ihren Brief erfahren[.] Sein Sie mir nun willkommen in Ihren alten Ver hältnissen bis ich Ihnen noch größere und belohnendere eröfnen wie ich ja hoffe daß früher oder später geschehen muß. Wenn ich etwas dabei zu sagen gehabt hätte: so hätte ich Sie zu der hiesigen Hofpredigerstelle vorgeschlagen die nun Theremin erhalten hat. Indeß man wird wol da Stosch täglich schwächer wird bald wieder eine besetzen müssen. – Daß Ihnen meine Predigten gefallen, freut mich sehr. Sie sind nur der zweite von dem ich etwas darüber höre, Gaß nemlich hat mir auch und zwar auf ähnliche Weise darüber geschrieben. Mit unter der ZeileDen | Unterschied zwischen diesen und den früheren als Abhandlungen und Predigten finde ich freilich so stark nicht, daß aber die Sprache in diesen leichter ist ist wol gewiß. Mit den Festpredigten soll es nun so lange nicht dauern da einige schon wirk lich druckfertig sind, und ich es bei den diesjährigen Festen so weit Gott Gnade geben über den ursprünglichen Text geschriebengebe darauf anlegen will sie zu completiren.

Den Verfasser des Glükwünschungsschreiben kann ich der Anonymi tät wegen nicht tadeln wenn er hier oder wenigstens in dem Bereich des Herrn Ministers von Schukmann lebt – ich meines Theils habe ihn wegen der Manieren die in der Schrift herrschen immer für einen Sachsen ge halten – Denn da Herr von Schukmann in der Meinung ich wäre es sich geäußert daß ich ja ein rechter Teufel sein müsse und Reimern ohne ei gentlichen gesezlichen Grund eine Censurstrafe dictirt hat, der sich aber dabei noch nicht beruhigt, auch mich so weit verfolgt als es nur gehn will: so sehen Sie wol der Mann hatte Recht, sich dem Ausbruch einer blinden Wuth zu entziehen, da dies gar kein Fall ist wo es auf eine persönliche Vertretung ankommen kann. Denn ich und sehr viele Menschen hier se hen es gar nicht als gegen die Commissarien gewendet an sondern ganz gegen das Publicandum, das ja auch keine Persönlichkeit hat, finden auch keine Ironie darin sondern was über | die Personen der Commissarien gesagt ist so wie einer schreiben müßte der in der Ferne lebt und die Personen nicht weiter kennt als aus ihren Schriften und den Recensionen derselben. Lebt nun der Verfasser auch wirklich hier so will er doch offenbar für einen Fremden gehalten sein und mußte also auch so schrei ben. Wenn man mich für den Verfasser hält verdrießt mich immer beson ders daß man diese Iro über den ursprünglichen Text geschriebenArt von Ironie darin findet die ich doch auf keinen Fall würde  über der Zeile ⎡oder dürfte hinein gelegt haben, und daß man mir so einen Vorwurf macht den weder ich aus meinem übrigen Leben verdiene noch auch am Ende der Verfasser der Schrift verdienen wollte. Uebrigens kann man diesem, wenn man einen Mann nach seinen Ausdrücken richten darf, wol den Muth zutrauen daß er mit seiner Persönlichkeit hervortre ten wird wenn es auf diese ankommt d.h. wenn die Commission wirklich etwas ausbrütet und etwas gesezlich gemacht werden soll was gegen sein Gewissen stritte.

Was nur Herr von Pirch gegen Ihre Rede hat? Wahrscheinlich dieses daß der König keine Unterthanen bekommen soll die französisch spre chen. Das läßt sich wenigstens mit einiger Consequenzmacherei daraus herleiten. Was thun Sie nun, wenn er Ihnen darüber den Prozeß macht?

Für Münchow weiß ich hier in Berlin keine Aussicht. An der Univer sität sind wir mit Mathematik überladen. Das einzige wäre wenn die Kriegsschule etwa in einem größeren Styl wieder eingerich | tet würde. Dann käme es auf Connexion mit Boyen Boguslawsky und Rühle vor züglich an. – Thadden habe ich erst Gestern Vormittag kennen gelernt und so auf den ersten Anblik hat er mir recht gut gefallen. Stolberg wohnt bei Niebuhr wo ich ihn auch wol gesehen habe er hat sich mir aber nicht weiter genähert und es ist auch schwer etwas mit ihm zu haben wegen seines Gehörs. – Die Organisation von Halle mußte natürlich auf die Entscheidung der sächsischen Angelegenheiten warten, wenn nun erst ausgemacht ist auf welche Art Sachsen verwaltet werden soll wird man denke ich wol vorschreiten. Die Badereise ist mir sehr wohl bekommen, so daß ich ordentlich wieder fleißig sein kann diesen Winter. Ich arbeite an der Ethik, was aber freilich sehr langsam vor sich geht, weil ich zu gleicher Zeit bei Gelegenheit des Lesens die erste lateinische Vorarbeit mache zu meiner Edition des Paulus, und außerdem meine Dialektik in eine solche Ordnung schriftlich bringe, daß wenn ich noch einmal dar über gelesen habe, ich sie dann auch für den Druk bearbeiten kann. Da mit und mit der Akademie und dem Departement ist denn die Zeit über reichlich ausgefüllt. Herr von Schukmann hat gegen meine Wahl zum Secretar der philosophischen Klasse der Akademie protestirt – vorzüglich wol um nicht sich selbst zu widersprechen, indem er gewiß in dieser Zeit mich nach oben tüchtig verläumdet hat oder noch zu verläumden willens ist. Die Akademie hat reprotestirt und es steht dahin, was Herr von Schukmann nun thun wird. Ich sehe seinen Maneuvres mit größter Ge lassenheit zu, und wenn er mich am Ende nöthigt meinen Abschied zu nehmen so hoffe ich doch noch nicht lange zu hungern.   Adio auf baldig Wiederschreiben. Wie hätten wir uns gefreut wenn wir Sie schon in Halle gefunden hätten. Alles im Hause grüßt herzlich. Kommen Sie doch bald einmal.

Schleiermacher

Zitierhinweis

4105: An Ludwig Gottfried Blanc. Berlin, Dienstag, 27.12.1814, ediert von Sarah Schmidt und Simon Gerber. In: schleiermacher digital / Briefe, hg. v. Simon Gerber und Sarah Schmidt. Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin. URL: https://schleiermacher-digital.de/S0007439 (Stand: 26.7.2022)

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